Die Benin-Bronzen an Nigeria zurückgeben 21. April 2022

Das Königreich, die Stadt und die Menschen, die diese erlesenen Bronzen, geschnitzten Elfenbein- und Holzarbeiten sowie Ton- und Eisenskulpturen hervorgebracht haben, sind nicht in Vergessenheit geraten, sondern im Fokus laufender Restitutions- und Rückgabeforderungen. Im Zentrum Südnigerias liegt eines der ältesten Königreiche Westafrikas, das seit dem 13. Jahrhundert von der zweiten Königsdynastie regiert wurde. Ab dem 15. Jahrhundert kontrollierten die Könige den gesamten Handel und alle Produktionsmittel. Sie dehnten die Grenzen des Königreichs weiter aus, sodass ihr Einfluss bald bis zur westafrikanischen Atlantikküste reichte. Bevor es zum Kontakt mit Europa kam, hatten sie durch Handel und kulturellen Austausch auch weitreichenden Einfluss entlang der nördlichen und östlichen Äste des Nigers gewonnen. Allein den Königen oblag in der soziopolitischen und wirtschaftlichen Organisation des Königreichs die Beauftragung der Warenproduktion in den verschiedenen Wirtschaftszweigen. Jeder Zweig war nach dem Zunftwesen organisiert, um die spezifischen Bedürfnisse des Königs erfüllen zu können. Zahlreiche Gegenstände aus Bronze, Messing, Elfenbein, Holz, Eisen und Ton wurden im Laufe der Geschichte für rituelle und ornamentale Zwecke hergestellt. Auch heute noch lässt sich der Einsatz dieser Kulturgüter in den staatlichen und persönlichen Ritualen der Bewohner*innen des Königreichs Benin nachvollziehen. Daher ist die Debatte über die Rückführung und Rückgabe der Benin-Bronzen ohne eine Erwähnung des Königreichs Benin und der Bevölkerung Benins unvollständig.

Als 1897 britische Expeditionsstreitkräfte einmarschierten, plünderten sie sowohl den Königspalast als auch alle Kultstätten des Königreichs und beraubten sie ihrer Sakramentalien und Ornamente. Die Offiziellen der Kolonialverwaltung, die im Jahre 1900 die Herrschaft der Invasionstruppen ablösten, trieben es noch weiter und ließen jeden Winkel der Hauptstadt durchsuchen, um die Kulturgüter des Volkes „einzusammeln“. Während im Namen der christlichen Bekehrung die Bevölkerung vom Glauben an eine Minderwertigkeit der eigenen Religion und Kultur überzeugt werden sollte, machten europäische Geschäftsleute, Kolonialverwalter und christliche Missionar*innen zugleich den betrügerischen Erwerb ihrer Kulturgüter zum ertragreichen Geschäftsmodell. Anschließend verkauften sie ihre Beute an private Sammler*innen und ethnologische Museen in Europa, von wo aus sie schließlich weltweit in Umlauf gerieten.

Provenienzstudien haben gezeigt, dass es zwar Aufzeichnungen über den Besitz und den Verkauf von Benin-Bronzen in Europa gibt, aber keine über die Sammlung und den Erwerb in Benin City, dem ursprünglichen Herkunftsort dieser Objekte. Daran lässt sich die Illegalität einer Aneignung von Kulturgütern eines Volkes ablesen, dessen soziales Gefüge sich entscheidend auf die Nutzung dieser Kulturgüter für wirtschaftliche, soziopolitische und religiöse Aktivitäten begründet. Jedes geraubte Objekt hat eine symbolische Bedeutung. An ihrer Stelle klafft seither eine Lücke zum Verständnis und zur Wertschätzung des kulturellen Erbes des Volkes von Benin. Deshalb haben die nigerianische Regierung, die Könige und das Volk von Benin mit Unterstützung einiger europäischer Freund*innen und Kolleg*innen seit 1935 um die Rückgabe oder Rückführung der Benin-Bronzen gebeten, setzen sich seither dafür ein und führen entsprechende Verhandlungen. Die jahrzehntelange Debatte um die Rückgabe kreist zum einen um die Frage, ob diese Antiquitäten gegen Zahlung einer Entschädigung zurückgegeben werden sollten oder ob für ihren Verbleib in europäischen und amerikanischen Museen eine Gebühr zu erheben ist. Zum anderen wurden Bedenken hinsichtlich der Sicherheit dieser Altertümer geäußert, wenn sie nach Benin City zurückgebracht würden. Diese Haltung begründet sich auf den Standards und der Sicherheit der Nationalmuseen. Auch mit Fragen nach einer etwaigen Legitimität der gewaltsamen Plünderung des kulturellen Erbes vor und während des Kolonialismus sah man sich konfrontiert. Neben den Sicherheitsfragen gab es darüber hinaus auch Bedenken hinsichtlich der Lagerkapazität des Museums in Benin City. Später verlagerte sich die Debatte zunehmend auf Fragen nach möglichen Leihgaben, Ausstellungen und Wanderausstellungen. In einer Phase bemühten sich die Aktivist*innen auch um den Rückkauf einiger Benin-Bronzen. Alle Bemühungen, Erfolge und Belastungen in den Debatten um die Rückgabe und Rückführung begründen sich in dem wichtigen Anliegen der Beniner*innen, die sich ihres kulturellen Erbes beraubt finden.

Im Rückblick auf die bisherigen Bemühungen sind einige der symbolträchtigsten Gesten und bemerkenswerten Persönlichkeiten zu erwähnen, die zur Rückgabe der Benin-Bronzen beigetragen haben. Hervorzuheben ist etwa HRM Oba Eweka II., dessen Bestrebungen um die Reproduktion der 1897 geplünderten Ritualgegenstände das Bewusstsein für deren kulturelle Bedeutung für das Königreich Benin wiedererweckten, nachdem die Benin-Monarchie 1914 wiederbelebt worden war. Angeregt durch die Wiederherstellung des Königtums begann der einem Yoruba-Fürstengeschlecht entstammende Jacob Uwadiae Egharevba mit der Sammlung von Benin-Objekten aus den Überresten der alten Stadt, die im Palast des Oba gelagert wurden. Seine Bemühungen spornten wiederum Oba Akenzua II., den Leiter der Verwaltung der Einheimischen in Benin, dazu an, seine freundschaftlichen Beziehungen zur britischen Kolonialregierung zu nutzen, um die Rückgabe eines königlichen Sitzes anzuregen.

Osaisonor Godfrey Ekhator-Obogie Frontalansicht

Zwar erhielt er nicht den königlichen Schemel, stattdessen bot ihm der Earl von Plymouth, Ivor Windsor-Clive, aber die Insignien von Oba Ovonramwen an, dem letzten Oba von Benin vor dem Einfall der Briten. Die Beiträge von G. N. Miller und Kenneth C. Murray in der Kampagne von 1935 müssen ebenfalls gewürdigt werden. Als Direktor der Abteilung für Altertümer der Kolonialverwaltung förderte K. C. Murray die Entstehung verschiedener Einrichtungen des Nationalmuseums von Nigeria, unter anderem in Benin City. Die unermüdlichen Bemühungen von K. C. Murray wurden von einigen nigerianischen Patrioten unterstützt, wie Ekpo Eyo, Joseph Eboreime und Prof. S. O. Biobaku, dem damaligen Vorsitzenden der Altertumskommission, unter dessen Aufsicht ein Museum in Benin City errichtet wurde. Nach dem gescheiterten Versuch, die Maske der Königin Idia für FESTAC 77 zu erhalten, wurde nach einem Jahrzehnt ein neuer Aufruf gestartet. Diese Kampagne wurde von Oba Erediauwa durch seinen delegierten Vertreter HRH Edun Akenzua geleitet. Er fand einen Verbündeten in Bernie Grant, einem britischen Labour-Abgeordneten, der in London eine Reihe öffentlicher Kampagnen durchführte. Diese Kampagnen zogen sich über Jahre hin und erwirkten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ein breiteres Bewusstsein für die restitutionellen Bestrebungen um die Benin-Schätze.

Mit der von Professor Barbara Plankensteiner kuratierten Wiener Ausstellung begann unter der Schirmherrschaft der Benin Dialogue Group (BDG) im Jahr 2007 eine neue Phase der Kampagne. Damit entstand eine kontinentale Gruppe von Befürworter*innen, die sich mit Unterstützung und in Zusammenarbeit mit dem königlichen Hof des Oba von Benin und der National Commission for Museum and Monuments (NCMM) für die Rückgabe der Benin-Bronzen an die Herkunftsgesellschaften im 21. Jahrhundert einsetzt. Auch die BDG hatte einige Herausforderungen zu bewältigen, aber letztendlich hat sie mehr Unterstützung gewonnen als alle ihr vorausgehenden Bemühungen: neben den zahlreichen Kurator*innen der europäischen Museen, S.K.H. Professor Gregory Akenzua, Professor Abba I. Tijani, den verschiedenen nigerianischen Hochkommissar*innen in Europa, Frau Edith Ekunke, der ehemaligen Direktorin des NCMM, und der Regierung des nigerianischen Bundesstaates Edo, Oba Ewuare II, durch seinen Delegierten Prince Aghatise Erediauwa. Sie alle sind mit dem gemeinsamen Ziel an den Verhandlungstisch gegangen, die Benin-Bronzen „nach Hause zu bringen“. Diese kollektiven Stimmen sprechen von der „Sehnsucht des Volkes von Edo nach den Benin-Bronzen“. Sie sprechen von den geplünderten historischen Aufzeichnungen und der kulturellen Zerstörung, die durch die Ereignisse von 1897 und die weltweite Zerstreuung der Benin-Bronzen in der Folgezeit verursacht worden sind.

Wie steht es nun um die Zukunft der Benin-Bronzen? Der historische Bericht von Sarr und Savoy und die deutsche Erklärung zum Umgang mit den Benin-Bronzen haben die Debatten über Rückgabe und Rückführung entscheidend beeinflusst. Vor ihrem Hintergrund haben die Akteur*innen im Museumssektor und die nationalen Regierungen das Eigentumsrecht der Herkunftsgesellschaft weitgehend anerkannt. Davon überzeugt, haben Institutionen wie das Smithsonian in einem Schreiben ihre Bereitschaft erklärt, den ehrenwerten Weg einer Überschreibung des Eigentumsrechts an Nigeria zu verfolgen. Es ist daher zu erwarten, dass andere Nationen und Institutionen ihrem Vorbild folgen werden.

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