Eine Bibliothek für die Umwelt 09. November 2021 — Dauer 6 Minuten

Umweltzentrum Dresden

Voices Mag: Liebe Frau Nikol, liebe Frau Pohle, wir am Japanischen Palais freuen uns sehr, dass wir anlässlich der Kinderbiennale „Embracing Nature“ den Bestand der Umweltbibliothek des Umweltzentrums Dresden übernehmen konnten. Sie haben die Umweltbibliothek bisher an ihrem alten Standort in der Wilsdruffer Vorstadt betreut. Erzählen Sie uns einmal, was eigentlich eine Umweltbibliothek ist!

Martina Pohle: Wie der Name schon sagt: Eine Umweltbibliothek ist eine Spezialbibliothek für Naturschutz und Umweltschutz. Unser Bestand umfasste insbesondere die Kerngebiete Naturschutz im Sinne von Artenschutz und Biotopschutz, aber auch Umweltschutz in einem weiteren Sinn. Die Sammlung, die jetzt ans Japanische Palais gegangen ist, beinhaltet unterschiedliche Sachgruppen, die untergliedert sind in Wald, Wasser, Energie, Verkehr, Klima, Boden, bis hin zu Umweltpolitik und nachhaltigem Bauen. Außerdem gibt es einen großen Bestand mit Titeln zur Umweltbildung für Kinder und Jugendliche sowie Sachgruppen, die eher ins Private zielen, wie Gesundheit, Haushalt und Garten. Eine Sonderstellung nimmt die sogenannte Fahrradbibliothek ein, die ursprünglich von einem privaten Sammler stammt und eine Vielzahl von Karten sowie Fahrrad- und Reiseführern umfasst.

Woher kommen die Titel der Bibliothek ursprünglich?

Das ist sehr unterschiedlich. Zuletzt haben wir vor allem mit dem Umweltbundesamt zusammengearbeitet, die uns Dubletten zur Verfügung stellten. Außerdem besitzen wir Bücher von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der Heinrich-Böll-Stiftung, ansonsten hatten wir einen kleinen Etat, mit dem wir Ankäufe machen konnten. Nicht zu vergessen natürlich die Spenden.

Und seit wann gab es die Umweltbibliothek?

Claudia Nikol: In der aktuellen Form seit 2011. Zuvor war das Umweltzentrum hier in der Schützengasse 16 umgebaut worden. Das Atrium, in dem wir sitzen und in dem die Bibliothek untergebracht war, wurde damals neu gestaltet. Bis dahin hatte es hier einen offenen Verbindungshof gegeben. Wir wollten den Ort anders nutzen und einen gemeinsamen Raum schaffen, an dem das Wissen der unterschiedlichen Organisationen und Projekte am Haus gesammelt und verfügbar gemacht werden konnte. Damals waren hier eine Vielzahl von Umweltgruppen angesiedelt, Greenpeace, der Nabu, die Grüne Liga und der BUND, und zusätzlich gab es schon damals unsere eigenen Umweltbildungsprojekte. Mit der Bibliothek wollten wir zum Beispiel auch einen Ort schaffen, an den etwa Schulklassen kommen konnten. Es ging nicht nur darum, die Bücher für uns verfügbar zu halten, sondern auch Angebote für Schulen zu machen.

Martina Pohle: Die historischen Ursprünge der Bibliothek liegen aber in den 1990er Jahren.

Claudia Nikol: Ja, das stimmt. Vor 2011 war die Bibliothek hier im dritten und vierten Geschoß untergebracht, die Sammlung war damals viel kleiner und auf verschiedene Archive verteilt. Erst 2011 wurde alles in diesem schönen Lesebereich im Atrium zusammengeführt.

Manche Umweltbibliotheken wurden aber bereits zu DDR-Zeiten gegründet, richtig? Gab es solche Bibliotheken in anderen Städten, und ist das ein spezifisch ostdeutsches Phänomen?

Ja, im Grunde muss sogar man noch weiter zurückgehen. Die Ursprünge unserer Bestände liegen auch in der späten DDR. Damals gab es zum Beispiel keine offiziellen Umweltberichte, die man frei einsehen konnte. Und obwohl das Problem der Umweltverschmutzung in der DDR offenkundig war, wurden Informationen von offizieller Seite immer wieder zurückgehalten – es sollte ja keine Probleme im Sozialismus geben. Deshalb haben viele Leute, die in Umweltinstituten gearbeitet haben, Privatsammlungen zu diesen Themen angelegt. Und aus diesen sind später die Umweltbibliotheken hervorgegangen. Häufig waren diese Leute auch in inoffiziellen Ökologiegruppen aktiv, die Bibliotheken sind dann teilweise aus diesen Gruppen heraus entstanden, zum Beispiel aus der Grünen Liga. Am Anfang hatte einfach jeder seins zusammengetragen.

Martina Pohle: Wir haben damals auch unsere Bibliothek von der Grünen Liga übernommen, jetzt fällt es mir wieder ein.

Claudia Nikol: Die Grüne Liga war Mitgründer des Umweltzentrums in Dresden. Es gab schließlich keine offiziell genehmigten Umweltbewegungen vor 1989. Und die Gründung der Grünen Liga erfolgte 1990, gleichzeitig mit dem Umweltzentrum. Aber wie gesagt, es gibt auch in anderen Städten Umweltbibliotheken, etwa beim Ökolöwe – Umweltbund Leipzig. Das ist ein eigener Verband, der 1989 gegründet wurde und stadtpolitisch sowie verkehrspolitisch eingreift. Dort haben sie eine ziemlich große Bibliothek, mindestens das Doppelte oder Dreifache an Medien gegenüber dem, was wir hier hatten.

Gibt es im aktuellen Bestand noch historische Titel – oder sind die über die Jahre verloren gegangen?

Martina Pohle: Na klar, zum Beispiel die Fahrradbibliothek mit den Fahrradkarten und Reiseführern ist aus der DDR. Und auch einige sehr alte Monografien…

Am Japanischen Palais wird die Umweltbibliothek derzeit im ersten Obergeschoß ausgestellt und kann von unserem Publikum benutzt werden. Wir haben extra dafür Lesetische angeschafft. Nach dem Ende der Ausstellung soll die Bibliothek dann weiter am Japanischen Palais bleiben. Welche Gründe hatten Sie, uns die Bibliothek zu überlassen?

Claudia Nikol: Naja, wir wollten einen Ort für Information, Austausch und Wissensvermittlung schaffen. Das findet aber zunehmend an anderen Orten statt, häufig auch digital. Gerade die sächsischen Bibliotheken sind zwar Vorreiter in der Digitalisierung. Wir haben aber auch beobachtet, dass trotz all unserer Bemühungen die digitalen Angebote soweit gewachsen waren, dass unser bisheriges Publikum nicht mehr im gleichen Maße gekommen ist. Lange Zeit waren wir ein wichtiger Anlaufpunkt für Lehrerinnen und Lehrer gewesen, die bei uns schnell und zuverlässig Bücher bekommen haben, die in der städtischen Hauptbibliothek schon ausgeliehen oder nicht vorhanden waren. Inzwischen findet man das aber im Netz und für uns stellte sich die Frage, wie wir auf diese Entwicklung reagieren können. Unsere Umweltbildungsangebote für Schulklassen laufen zum Beispiel bis heute sehr erfolgreich weiter. Hier vermitteln wir, wie man eigenständig Wissen finden kann, das man selbst gerade nicht im Kopf hat… Die Idee mit dem Japanischen Palais kam dann ganz spät, aber wir fanden es total logisch. Ein klein wenig gehört die Bibliothek eben inzwischen ins Museum.

Wir wollen die Bibliothek aber nicht nur als historisches Artefakt ausstellen, sondern auch weiter für die Nutzung offen halten…

Martina Pohle: Das ist natürlich toll, und es wäre schön, wenn die Bibliothek weiter wachsen könnte. Wenn es einen kleinen Etat für Ankäufe gäbe, oder wenn man ein paar laufende Zeitschriften abonniert, um die Dinge aktuell zu halten. Und dann Schritt für Schritt Monografien und graue Literatur weiter sammeln – also Publikationen von Vereinen, Organisationen und Forschungseinrichtungen. Mir hat natürlich das Herz geblutet, als wir die Bibliothek abgeben mussten, aber inzwischen bin ich wirklich glücklich, dass der Bestand nicht aufgelöst wird, sondern als Ganzes fortbesteht und weitergegeben wird. Und das Japanische Palais scheint uns der beste Ort, mit all den Diskussionen um Nachhaltigkeit, die dort geführt werden. Es gibt im Palais ja auch das Zero Waste Café…

Claudia Nikol: Ich kann das auch nachvollziehen. Gerade wenn man Kinder an das Wissen über Natur und Umweltschutz heranführen will, stellt man fest, dass Bücher immer noch einen Wert haben, gerade auch gegenüber den Smartphones und Smart Devices. Und sie sind auch nachhaltiger, bestehen aus nachwachsenden Ressourcen, im Gegensatz zum Silizium, das in den Smartphones steckt. Ein Buch kann man anfassen, es riecht – auch dadurch verstetigt und verkörpert sich Wissen. Natürlich gefällt mir der Gedanke der digitalen Verfügbarkeit von Wissen für alle. Alles ist heute teilbar, open source, mehr denn je. Aber eine Bibliothek bietet uns auch einen Spiegel, in dem wir sehen können, wie alles angefangen hat. Ein Stück weit museal, aber gerade auch für Kinder praktisch – denn wir wollen ja, dass unsere Kinder nicht immer nur vor Bildschirmen und Smartphones sitzen.

Und wie geht es hier nun am Umweltzentrum weiter?

Oh, wir haben schon Ideen. Die Bibliothek war immer ein Ort, an dem man etwas mit anderen Menschen geteilt und sich ausgetauscht hat, ein Ort der Gemeinschaftlichkeit. Deshalb soll das Atrium, in dem die Bibliothek bisher stand, ein Treffpunkt werden, mit Cafétischen und Sofas, an dem wir alle hier uns treffen können.