Formgebung für die Zukunft 17. September 2021 — Dauer 8 Minuten

Montag, der 20. August 2018, war kein überdurchschnittlich warmer Sommertag in Stockholm. Sonnig, ja, aber nicht bemerkenswert warm. Jedoch hatte es Anfang des Monats einige Wochen gegeben, in denen es überdurchschnittlich heiß geworden war. Eine ganze Woche lang lag die Höchsttemperatur am Tag bei rund 30°. Obwohl es also im Vergleich mit dem Rest des Monats just an diesem Tag nicht bemerkenswert heiß war, entschied sich die damals 15-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg für diesen Tag, den ersten Tag nach den Schulferien – einen Montag –, um nicht zur Schule zu gehen, um für das Klima zu streiken. Wie vorherzusehen war, wurde „mutig“ ein Wort, mit dem diese geschichtsträchtige Aktion beschrieben werden sollte. Dabei ist es nur ein Adjektiv, das wir verwenden, um nicht „verzweifelt“ sagen zu müssen. Genau diese Verzweiflung trieb die junge Greta Thunberg an. Denn die eigentliche Brisanz, die Schlagkraft, der Bewegung Fridays for Future, die sich aus diesem Montagsschulstreik entwickeln sollte, liegt in der wütenden Verzweiflung einer Generation, deren Zukunftsperspektive auf nur eine desaströse Möglichkeit verengt wurde. Für diese eine mögliche Zukunft lohnte sich keine schulische Ausbildung der Welt. Und auch schon in diesem allerersten Schulstreik für das Klima, allein schon in der Wahl dieser Form des Protests, entfaltet sich die Vielschichtigkeit einer Krise, die droht, zur Katastrophe zu werden. Ein Streik ist ein Instrument eines kollektiven Kampfes um soziale Gerechtigkeit. Ein Schulstreik ist ein Protest gegen die Ausweglosigkeit einer Zukunft, für die es sich nicht zu lernen lohnt. Ein Schulstreik für das Klima schließlich ist ein verzweifelter Aufstand gegen die Eindimensionalität einer kohlenstoffemittierenden, ressourcenzerstörenden Zukunft, das Einfordern der generationen-, sozial- und klimagerechten Öffnung des Horizonts der Möglichkeiten eines Lebens auf diesem Planeten, das Einfordern einer Pluralität von Zukünften.

Die Konstellation dieses Schulstreiks an jenen namensgebenden Freitagen nun aus der Perspektive eines Designers auf ihr Branding hin zu überprüfen, erscheint reichlich abwegig. Warum sollte es eine besondere Rolle spielen, wie das Logo einer Klimagerechtigkeitsbewegung aussieht? Ein kleiner Hinweis am Rande: Besonders gelungen empfinde ich das Logo von Fridays for Future nicht. Allein die für das Logo gewählte Schriftart Jost verweist – ob bewusst oder nicht – auf eine Perspektive sozialer Gerechtigkeit im Grafikdesign. Denn die Jost soll ein zeitgemäßes Update der Futura sein und mit ihrem Namen an deren sozialistischen Designer Paul Renner sowie den Schriftgießer Heinrich Jost erinnern. Der Rest des Logos, ein scheinbar mit Schulkreide auf eine Tafel gekrakelter Globus in Hellblau auf rundem und grünem Grund, umrandet vom Namen in Weiß, ist weniger innovativ, um nicht zu sagen vorhersehbar konventionell. „Wenn ein Designer nix weiß, malt er einen Kreis“ – trifft auf dieses Logo zu. Aber eben auch auf das des Bauhauses, dass immerhin beanspruchte, eine ähnliche, weltentwerfende Strahlkraft zu entfalten.

Logo der Fridays for Future-Bewegung

Doch ein Logo ist sowieso nur das Sahnehäubchen, vielleicht sogar nur die Kirsche, auf dem Kuchen einer Marke. Und auch bei der Fridays for Future-Bewegung ist eine Betrachtung ihres Designs mehr als nur die Kritik eines zweckdienlichen Logos, einer vorhersehbaren Farbwahl und einer interessanten Schriftart. Design bedeutet eben gerade nicht nur die oberflächlichen Erscheinungen einer Sache anzuschauen, sondern deren notwendige Verstrickung mit einem besonderen Inhalt, der erst durch diese Erscheinungen besonders werden kann, zu berücksichtigen. Aus dieser Perspektive eines verkörperten Designbegriffes kann bis auf die Anfänge der Fridays for Future-Bewegung, bis auf das weiße Schild aus Pappe, auf dem in gedrückter, handgeschriebener Schrift in Versalien „SKOLSTREJK FÖR KILMATET“ geschrieben stand, zurückgeblickt werden. Weniger aus dem Grund, dass dieses Protestschild, das spontan aus einem politischen Impuls heraus gezeichnet wurde, ein Unikat und somit nicht reproduzierbar ist, selbst bereits schon als Design zählen würde, sondern vielmehr um zu verstehen, welche Rolle Design dabei spielte, diesen subjektiven politischen Impuls in kollektive, politische Strukturen zu übersetzen. Aus der Perspektive des Designs lässt sich also die alte Frage nach der Form und dem Inhalt stellen. Die Perspektive des Designs zwingt uns dazu, diese durcheinander vermittelt und somit zusammendenken zu müssen. Genau aus dieser Perspektive ist es die besondere, auch grafische Form des Protestes, die den Gehalt des Inhalts bestimmt und die Fridays for Future-Bewegung zu ihrem durchschlagenden Erfolg verhalf. So wird das Ziehen von Linien sowie das grafische Layout mit Worten und Bildern zur Konstruktion einer neuen, möglichen anderen Welt. Somit überschneidet sich auf der Fläche der Grafik eine ästhetische mit einer politischen Dimension, wie der Philosoph Jacques Rancière es in Die Fläche des Designs feststellt.

Typeface der Schriftarten Futura und Jost

In einem Podiumsgespräch mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die vielen als deutsches Gesicht der Fridays for Future-Bewegung gilt, kommt genau diese ästhetische Dimension der Klimabewegung zum Gespräch. Im Rahmen einer Paneldiskussion, die sich um die großen Fragen zur Zukunft aus der Perspektive von Kunst- und Designstudierenden drehte, sprach ich mit Luisa über ihre niederschmetternde These eines „fatalen Jetztismus“, der sich im Umgang mit globalen Krisen breitgemacht hätte: Anstatt in die Zukunft zu schauen und für andere, mögliche Zukünfte zu kämpfen, stecken die Menschen die Köpfe in den Sand der Gegenwart und des Status quo und vertrauen auf solutionistische Schadensbekämpfung im kleinen Maßstab, solange nur alles möglichst beim Alten bleiben kann. Diese Bequemlichkeitsstarre der Menschheit löst eben jene Verzweiflung aus, welche Fridays for Future für eine ganze Generation thematisiert. Wie kann es sein, dass wir nichts oder nur zu wenig tun? Wir können wir unserer Welt beim Untergehen zuschauen, dass wir auch noch selbst verschulden? Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Diese Frage rein auf individueller Ebene durch eigenes Handeln zu beantworten, greift jedoch zu kurz, wie Neubauer mehrfach feststellt. Die uns bevorstehende Klimakatastrophe ist ein Produkt der Systeme unseres globalen Produzierens, Handelns und Konsumierens. Nur durch gemeinsame Aktionen und den Druck einer außerparlamentarischen Opposition, der Fridays for Future mit ihren Massenprotesten eine ganz neue Bedeutung gegeben hat, können von Entscheidungsträger*innen die entsprechenden Weichen gestellt werden, um die Katastrophe noch abzuwenden. Und welche Rolle kann dann die Kunst oder das Design in der Klimapolitik spielen? Produzieren beide nicht nur immer neue Kunstwerke und immer noch mehr Design? Luisa Neubauers Antwort auf diese Frage verknüpft die systemische Ebene mit der individuellen und führt zurück zur Überschneidung einer ästhetischen mit einer politischen Dimension: „Die Rolle des Designs ist natürlich Schönheit!“ Schönheit spricht Menschen individuell an, zieht sie in ihren Bann und bringt sie dazu, sich mit einer Idee auseinanderzusetzen. Die gezeichneten Protestschilder der Fridays for Future Bewegung sind auch hier wieder Beispiel. Nicht, dass diese alle schon von Grafikdesigner*innen gestaltet worden würden. Jedoch wird deutlich, welche Rolle die Kommunikation von Ideen spielt, wie nicht jede oder jeder Klimaktivist*in werden muss, sondern durch die eigenen Mittel etwas zur Veränderung beitragen kann – und sei es nur durch ein schönes Schild.

Diese Schönheit des Designs einer Protestbewegung darf selbstverständlich nicht als oberflächliche Gestaltung missverstanden werden. In ihr verstricken sich die Politik möglicher, anderer Zukünfte mit einer Ästhetik der Formen und Farben, die diese Politik erst in Bewegung bringen. Sie verknüpft die Frage eines Systems, das nur von einer gemeinsamen Politik geändert werden kann, mit den individuellen Handlungen und Erfahrungen von schönen Dingen, die dieses System in Zukunft ausmachen könnte. Am Ende ergibt sich aus dieser Schönheit dann auch ein realistischer Optimismus, der uns aus der Bequemlichkeitsstarre der Gegenwart und dem fatalen Jetztismus befreit.

Die Rolle des Designs für die Klimapolitik ist somit nur auf den ersten Blick ein Randphänomen. Die unzähligen, kreativen Aktionen von Fridays for Future, wie zuletzt im Juni in der Hamburger Innenstadt, beweisen, dass jede Idee eine Form braucht, über die sie sich vermitteln kann. Diese Form ist dabei mehr als bloße Oberfläche. Die Form bringt in der Formfindung des Designs die Idee erst zum Leben und versetzt sie in Bewegung. Diese Bewegung der Idee, die sich über die Form wie Schallwellen auf unsere Umwelt überträgt und die Möglichkeit anderer, neuer Zukünfte und Welten präsent hält, ist das große Potenzial des Designs, in dem sich Ästhetik und Politik überschneiden. Der berühmte amerikanische Grafikdesigner David Carson behauptete zwar einmal despektierlich: „Graphic design will save the world right after rock and roll does.“ Dabei hatte er wohl die subversive Kraft und das ästhetische Potenzial der Subkultur vergessen. Das kurze, skandalöse Spektakel des Styles entreißt uns für einen Moment aus der Alltäglichkeit, macht die Dinge auffällig, ja aufdringlich, und gibt ihnen eine neue, andere Bedeutung. Design in diesem bedeutet, dass nichts so bleiben muss, wie es gerade ist, und alles immer auch anders sein kann, wenn wir es nur wollen und dementsprechend gestalten. Vielleicht rettet ja dann auch ein Logo mit einem Kreis unsere Welt, indem es uns eine neue, umweltfreundliche und schönere Welt vor Augen hält.