Zur Erwerbungsgeschichte kubanischer Kunst am Kupferstich-Kabinett 28. Februar 2024

Vom Schicksal der Revolution hängt auch das Schicksal der cubanischen Kultur ab. Darum: Die Verteidigung der Revolution ist gleichbedeutend mit der Verteidigung der Kultur.

Gert Caden [Einführung], in: Grafik aus dem neuen Cuba, Ausst.-Broschüre Museum für Deutsche Geschichte, Berlin-Ost 1961, Berlin 1961, o. S. – Zum Zitat des Aufsatztitels: deutsche Übersetzung »Wir sind der Welt ein Beispiel«, Titel des Plakats eines unbekannten kubanischen Künstlers im Dresdener Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1963-25.

Mit diesem kämpferischen Aufruf endet die Einführung in einer Broschüre, die anlässlich der ersten Ausstellung kubanischer Künstler*innen mit Grafik aus dem neuen Cuba im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin-Ost 1961 erschien. Kulturelle Beziehungen sollten dazu beitragen, die Bemühungen der DDR um Anerkennung als eigenständiger souveräner Staat durch andere Länder zu unterstützen. Das revolutionäre Kuba war dafür ein geeigneter Partner; 1963 wurden die diplomatischen Beziehungen aufgenommen.1 Damit vollzog sich auf politischer Ebene, was mit einer Ausstellung wie der oben genannten vorbereitet worden war.


1 Vgl. Marcus Kenzler, Der Blick in die Welt. Einflüsse Lateinamerikas auf die Bildende Kunst der DDR, Berlin 2012, S. 116–118.

Für die Auswirkung kulturpolitischer Aktivitäten auf die Sammeltätigkeit von Museen der DDR steht beispielhaft ein kleiner Bestand von knapp 70 Werken kubanischer Kunst im Dresdener Kupferstich-Kabinett. Sie fanden in den 1960er Jahren auf drei verschiedenen Wegen Eingang in die Sammlung. Angeregt durch die Vorbereitung der für ab Herbst 2020 geplanten Ausstellung Revolutionary Romances im Albertinum, die die künstlerischen Beziehungen zwischen der DDR und den Ländern des Globalen Südens untersuchen soll, rückt dieser Bestand nun in den Fokus. Dass ihm wenig Beachtung geschenkt wurde, zeigt sich auch aus konservatorischer Perspektive: Die meisten dieser Blätter waren bislang unter der Rubrik „nicht aufgelegt“ lose in Mappen oder als zusammengerollte Konvolute aufbewahrt.

Aus den Erwerbungsakten wird ersichtlich, dass die ersten beiden Zugänge wohl eher im Zusammenhang diplomatischer denn kunsthistorischer Erwägungen standen. Lea Grundig (1906–1977), damals Professorin für Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, brachte 1961 vermutlich von einer Kubareise zahlreiche grafische Blätter mit zurück nach Dresden, die sie dem Kupferstich-Kabinett schenkte.2 Es sind vorwiegend Werke, in denen die Revolution thematisiert wird. An Werner Schmidt (1930–2010), den damaligen Direktor des Kupferstich-Kabinetts, schrieb sie 1962:

Ich übersende Ihnen hier die Liste der kubanischen Grafiken, die ich Ihnen als Geschenk übergebe. Ich tue es mit großer Freude und hoffe, dass sie beitragen werden, unsere herzliche Verbindung zu dem revolutionären Kuba zu stärken und auch die Freundschaft zwischen unseren Völkern durch die Kunst zu festigen.3

Die Liste umfasst 65 Werke von 27 Künstler*innen. Werner Schmidt wählte jedoch lediglich zehn Arbeiten aus und antwortete Lea Grundig:

Sie werden wohl Verständnis dafür haben, dass wir nur die künstlerisch wichtigsten Blätter nach bestem Ermessen in unsere Sammlung aufnehmen können, um von der kubanischen Graphik eine Vorstellung von möglichst hohem Niveau bieten zu können.4


2 Der zeitliche Zusammenhang zwischen Lea Grundigs Reise und der Schenkung an das Kupferstich-Kabinett legt nahe, dass sie diese Blätter aus Kuba mitbrachte.
3 Lea Grundig an Werner Schmidt, 26.9.1962, Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), 02/KK 63, Bd. 1, o. Bl.
4 Werner Schmidt an Lea Grundig, 6. 2. 1963, ebd.

Aufschlussreich an der Auswahl ist, dass sich darunter auch zwei monumentale Holzschnitte befinden, die eine Breite von bis zu 280 cm aufweisen und die Schmidt vermutlich sowohl durch ihre Größe als auch ihre inhaltliche Aussagekraft beeindruckt hatten. Der von Lesbia Vent Dumois (*1932) geschaffene und aus acht Druckstöcken zusammengesetzte Wandbild-Holzschnitt Zur Erinnerung an den 26. Juli zeigt das Feldlager der Rebellen in der Sierra Maestra.5 Die weißen Konturen der Darstellung heben sich aus einer tiefschwarzen Fläche ab, im Vordergrund steht groß ein Milizionär mit der Fahne der Revolution. Es handelt sich, wie an einem Aufnäher seines Uniformhemdes zu erkennen ist, um Camilo Cienfuegos – neben Che Guevara, Fidel und Raul Castro einer der führenden Revolutionäre und Kommandeure der Rebellenarmee.


5 SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1963-21.

Unter dem inhaltlichen wie formalen Einfluss der Kunst Pablo Picassos der 1930er Jahre und besonders seines großformatigen Gemäldes Guernica von 1937 steht der zweite Holzschnitt, gefertigt von Umberto Peña Carriga (* 1937). Unter dem Titel Las Dictaduras en America findet sich eine allegorische Darstellung des Kampfes der Rebellen gegen den Diktator General Batista.

Vermutlich unter der Einwirkung mexikanischer Wandbilder entstanden diese monumentalen Holzschnitte als schnelle und preiswert herzustellende Variante und dienten wie in Mexiko zur politischen Agitation. Angebracht an den Wänden von Schulen und Versammlungsräumen, war ihre Aufgabe die Propagierung der Ziele der Revolution.6


6 Vgl. Gerhard Pommeranz-Liedtke, Die Revolutionäre »Asociación de Grabaderos de Cuba«, in: Kubanische revolutionäre Graphik, Dresden 1962, S. 5–28, hier S. 12.

Eine weitere Schenkung kubanischer Grafik erhielt das Kupferstich-Kabinett 1965. Der Verband Bildender Künstler (VBK) der DDR übereignete 31 Holzschnitte (einer wurde später nachgereicht) von Carmelo González Iglesias (1920–1990), Professor an der Kunsthochschule Havanna und einer der wichtigsten Vertreter der revolutionären Kunst, an die Generaldirektion der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Diese gab sie an das Kupferstich-Kabinett weiter.7


7 Anzunehmen ist, dass auch diese Schenkung durch Lea Grundig vermittelt wurde, die seit 1964 Vorsitzende des VBK war.

Auch diesmal reagierte Werner Schmidt gegenüber der Generaldirektion zurückhaltend auf die Übereignung und verwies auf die Schwierigkeiten der Aufbewahrung dieser ebenfalls großformatigen Holzschnitte:

Ich halte es nicht für richtig, dass alle 30 Holzschnitte in unseren Besitz übergehen, da die Blätter nur gerollt in unserem Depot liegen würden und auch den Besuchern im Studiensaal kaum zugänglich gemacht werden können, weil [Unterlage-]Kartons von der Größe dieser Holzschnitte nicht existieren.8


8 Werner Schmidt an die Generaldirektion, 28.10.1965, Archiv der SKD, 02/KK 68, S. 103.

Im selben Brief machte er den Vorschlag, lediglich zehn Blätter zu behalten und die restlichen auf andere grafische Sammlungen der DDR zu verteilen. Einige Tage später widerrief er jedoch seinen Vorschlag, da er bemerkt hatte, „dass die Holzschnitte als eine geschlossene Folge zu betrachten sind, aus der man schwerlich einzelne Blätter herauslösen kann“.9 Zudem verwies er auf die bereits erfolgte Erwähnung der Stiftung in der kubanischen Presse und nahm die Blätter daraufhin in den Bestand auf. Das auffällig lange und sehr schmale Hochformat dieser Holzschnitte sollte den propagandistischen Zielen nicht nur in der realistischen Darstellung, sondern auch in der »plakativen« Form Rechnung tragen. Die Sujets zeigen neben dem revolutionären Kampf des kubanischen Volkes auch den Entwurf einer idealen Gesellschaft: Werktätige, Zuckerrohr-bauern, Lehrer oder die glückliche Familie mit Vater, Mutter und Kind.10


9 Werner Schmidt an die Generaldirektion, 9.11.1965, ebd., S. 106.
10 Von Juli bis September 1975 richtete die Gemäldegalerie Neue Meister Carmelo González Iglesias eine Einzelausstellung mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafik aus.

Der vorläufig letzte Zuwachs an kubanischer Kunst – eine Kombination aus Schenkung und Erwerbung – datiert auf das Jahr 1969. Dabei verbinden sich ein offizieller Anlass und ein privates Anliegen. Im Mai 1969 erhielt Christian Dittrich (1934–2016), ab 1964 Kustos im Kupferstich-Kabinett Dresden, über die kubanische Botschaft in Berlin-Ost eine Einladung vom Nationalen Kulturrat der Republik Kuba, um das Museo Nacional de Bellas Artes Habana in seiner Forschungsarbeit zu unterstützen und an der Universität Vorträge über Rembrandt zu halten. Er selbst bezeichnete sich als „der erste europäische Kunsthistoriker nach der Revolution […], der nach Cuba kam“.11 In seinem Reiseantrag an die Generaldirektion begründete er die Einladung auch damit, dass diese „aufgrund langjähriger Zusammenarbeit mit kubanischen Kunstwissenschaftlern, die hier in der DDR studiert haben und mit denen ich heute noch im wissenschaftlichen Austausch stehe“,12 erfolgte. Inoffiziell verband sich sein Aufenthalt mit der Heirat mit Consuelo Meza-Paz – eine kubanische Kollegin, die er während eines Praktikums kennengelernt hatte, das die damalige Studentin der Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin an den Museen in Dresden absolvierte.


11 Christian Dittrich, Reisebericht, 6.11.1969, Archiv der SKD, 02/KK 204, o. Bl.
12 Christian Dittrich, Reiseantrag, 28.5.1969, ebd.

Im Rahmen seines Aufenthaltes vom 9. August bis zum 14. September 1969 begutachtete Dittrich vor allem die grafische Sammlung des Museums, präzisierte Zuschreibungen und Datierungen europäischer Werke und beriet bei der Systematik der Aufstellung und der Lagerung der Bestände. Darüber hinaus besuchte er zahlreiche andere Museen und Institutionen sowie Grafikwerkstätten und verschaffte sich durch Galerie- und Atelierbesuche eine Übersicht über die kubanische Gegenwartskunst. Mithilfe des Nationalen Kulturrates Kubas konnte Dittrich einige grafische Blätter erwerben, andere bekam er von Kunstschaffenden geschenkt. Diese 21 Grafiken wurden nach seiner Rückkehr Teil der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts.

Dittrichs Auswahl unterscheidet sich von den vorangegangenen Schenkungen durch eine größere formale und inhaltliche Vielfalt. Abstrakte und stark farbige Darstellungen sind ebenso darunter wie figurativ-realistische Lithografien und Holzschnitte in Schwarzweiß. Revolutionäre Motive fehlen in dieser Zusammenstellung gänzlich.

Zusätzlich brachte er zahlreiche Filmplakate mit zurück nach Dresden, hergestellt in Siebdrucktechnik. Es verwundert, dass man diese damals nicht inventarisierte, da Dittrich ihre formale Qualität, die an die Pop Art angelehnt war, hervorhob:

Besonders die Filmplakate von ICAIP (dem kubanischen Filmverleih) sind außerordentlich farbenprächtig und im Formenspiel reich gestaltet, so dass beinahe jedes Plakat sammlungs-würdig erscheint. Man bedauert eigentlich, dass diese künstlerisch bedeutsamen, meist in geringen Auflagen gedruckten Serigraphien nur für den Tagesgebrauch gedacht sind und mit ihrem Verlust zweifellos auch ein Teil der zeitgenössischen kubanischen Kunst verlorengeht, da hier mehr noch als auf dem Gebiete des traditionellen Holzschnittes und der konservativen Lithographie ein eigenständiger Beitrag geleistet wird.13

Mit Dittrichs Erwerbungen endete das Sammeln von kubanischer Kunst am Kupferstich-Kabinett, mit Ausnahme drei einzelner Blätter, die später in die Sammlung kamen.14 Bei dem letzten Zugang – der einzigen Zeichnung im Bestand – handelt es sich um ein Gastgeschenk an Erich Honecker anlässlich dessen Staatsbesuchs 1980 in Kuba. Das um 1976 entstandene Blatt von René Portocarrero (1912–1985) zeigt den Kopf einer jungen Frau im Profil, überwuchert von einem farbenprächtigen Blumenmeer. Nichts daran erinnert mehr an die politische Aufbruchstimmung der Grafik der 1960er Jahre.


13 Vgl. Christian Dittrich, Kubanische Kunstnotizen. Im Museo Nacional, in der Experimentierwerkstatt für Graphik und in Künstlerateliers von Havanna zu Besuch, in: Dresdener Kunstblätter 15 (1971), Nr. 4, S. 122–125, Nr. 6, S. 170–177, hier S. 173. Die Filmplakate wurden im Zuge der Recherchen zu diesem Beitrag im Mai 2020 inventarisiert.
14 SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nrn. C 1981-231 (Zeichnung von René Portocarrero), A 1983-53 und A 1983-54 (Lithografien von Rafael Zarza).

Im Kontext dekolonialer Fragestellungen, die die Kunst des Globalen Südens in den Blick nehmen, gewinnen Bestände wie die vorgestellten an Relevanz, vielleicht sogar erstmalig. Kunst als kulturpolitische Botschafterin war in der DDR das, was unter den Auflagen der Politik gesammelt wurde, nicht aber, was bei freier Entscheidung unter qualitativen Gesichtspunkten ausgewählt worden wäre. Heute jedoch erzählen die kubanischen Bestände des Kupferstich-Kabinetts beispielhaft von den Einflüssen des Zeitgeschehens auf die Sammeltätigkeit: von politischen Rahmenbedingungen und persönlichen Beziehungen, von Kunst im staatlichen Auftrag und den ganz persönlichen »revolutionary romances«.

* Der Autor dankt Consuelo Dittrich für Gespräche und wichtige Hinweise.

Dieser Text ist zuerst in Ausgabe 3/2020 der Dresdener Kunstblätter erschienen.

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