Marijke van Warmerdams Eiskugel, eine perfekt geformte Kugel, erscheint zunächst milchig, bevor sie glasklar wird. Dann verliert sie langsam ihre Form: kleine Risse und Blasen erscheinen im schimmernden Material. Wann treten diese Veränderungen auf? Mit dem ersten Wassertropfen? Welche Veränderungen beobachten wir? Solche Gedanken kommen einem beim Betrachten dieses Objekts unweigerlich in den Sinn. Es wird immer kleiner und verschwindet schließlich ganz aus dem Blick. Das Schmelzwasser versickert in einer lackierten Holzkiste: Wir sehen lediglich eine Form, die langsam aufhört zu existieren. Dass die Eiskugel nach zwei Tagen völlig verschwunden ist, scheint uns nicht zu stören. Wasser ist unerschöpflich und auch Eis gibt es ewig, nicht wahr?
Selbstverständlich ist dieses Kunstwerk auf Dauerhaftigkeit angelegt. Ein Zertifikat, das Teil der Schenkung Sammlung Hoffmann ist, zu der van Warmerdams Objekt gehört, nennt die entsprechenden Parameter: Eiskugel besteht aus einer lackierten Holzkiste mit den Maßen 75 x 8 x100 cm und einer Eiskugel mit einem Durchmesser von 25 cm. Diese kann bei jeder Eisproduktionsfirma bestellt werden und für ihre Präsentation gilt nur eine schlichte Anweisung: „Legen Sie die Eiskugel auf die Löcher in der Mitte der Kiste.“ Bevor die Arbeit in die Kinderbiennale im Japanischen Palais gewandert ist, wurde sie diesen Frühling bereits im Rahmen von STILL ALIVE, der ersten umfassenden Präsentation der Schenkung Sammlung Hoffmann im Albertinum, gezeigt. Die Ästhetik des Werks – ein Kreislauf aus Verlust und Wiederholung – passte gut in die Ausstellung, die entlang der Themen Fluidität, Prozesshaftigkeit, Lebendigkeit und Vergänglichkeit kuratiert wurde.
Es ist kein Zufall, dass van Warmerdam die Kugel als Form wählte, um sie in der Galerie verschwinden zu lassen – eine ikonische Form und ein uraltes Symbol der universellen Ganzheit, wie der Philosoph Lorenz Oken schon 1809 in seinem Lehrbuch der Naturphilosophie schrieb: „Je sphärischer ein Ding geformt ist, desto vollkommener, gottähnlicher ist es.“ Eine mögliche Interpretation der Eiskugel ist also, sie als Spiel mit der Idee der Vollkommenheit zu verstehen. Denn einerseits gibt es hier die Form des Objekts: eine als vollständig und ewig gedachte Kugel. Andererseits ist da das Material: Eis, das in einer Galerie unweigerlich schmilzt. Man kommt nicht umhin, nach etwa zwei Tagen festzustellen, dass die Eiskugel verschwunden ist. Sie kann natürlich durch eine andere ersetzt werden. Schließlich handelt es sich lediglich um Wasser, das im festen Zustand gefroren ist.
Es scheint heute so, als sei Eis etwas Alltägliches – etwas, das wir, wann immer wir wollen, einfach bekommen. Während wir uns (zu Recht!) Sorgen über die schmelzenden Polarkappen machen und Eis als Metapher für das Verschwinden ganzer Ökosysteme verwenden, ist Eis zugleich eine gängige Cocktail-Zutat, die die meisten von uns direkt aus der Kühltruhe holen. Sicher, Eis produzieren können wir – aber selbstverständlich ist dies nicht.
Über den römischen Kaiser Nero (37–68) heißt es, dass er gekühlte Getränke mit Honig mochte. Für die längste Zeit in der Menschheitsgeschichte war Eis ein echtes Spektakel: es war schwer zu beschaffen, schwierig zu lagern und teuer. Es konnte nur auf natürlichem Wege hergestellt werden, etwa durch Abschlagen auf Flüssen, Seen oder in den Bergen. Die Kühltechniken waren darauf angewiesen, das so gewonnene Eis in isolierten Eishäusern oder Kisten zu lagern. Eine Schlüsselfrage – insbesondere für diejenigen, die sich für die Kühlung von Getränken interessierten – lautete, wie man Eis zum Gefrieren anderer Substanzen bringen konnte. Die Versuche, es künstlich herzustellen, waren erst Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgreich, als Wissenschaftler*innen entdeckten, dass Wasser in verschlossenen Flaschen gefriert, wenn man diese in einen Eimer mit einem Gemisch aus Schnee und Salpeter (Kaliumnitrat) eintaucht. Giambattista della Porta beschrieb dieses Verfahren vor dem Hintergrund der Herstellung von eisgekühltem Wein in seiner Abhandlung Magia Naturalis von 1558. Denn warum würde man sich dem aufwendigen Verfahren der Eisherstellung widmen? „Weil eines der vornehmsten Stück, so man auf Gastereyen verlanget, das Eiß-Trincken ist, sonderlich zu Sommers-Zeiten.“
Der kalt geschlürfte Wein muss bei den Festgelagen richtig gut angekommen sein – und man kann sich leicht denken warum. König Heinrich III. von Frankreich (1551–1589) soll seinen Wein eisgekühlt geliebt haben und von allen Dingen aus Eis bezaubert gewesen sein. Er präsentierte seinen Gästen sogar Schneehaufen und Eisskulpturen auf den Tischen. Die neuen Kühltechniken ermöglichten auch allerlei fantasievolle Eiskunst, wie beispielsweise in Wasser getauchte und dann gefrorene Erdbeeren. Schon damals wussten die Menschen, wie man ordentlich feierte und sie gaben zu jedem nur denkbaren Getränk Eis hinzu.
Erst im 19. Jahrhundert, als einige wichtige Durchbrüche in der Kältetechnik gelangen, wurde Eis allgemein zugänglicher. Als Erste kommerzialisierten die USA den Verkauf von Eis. Im Jahr 1803 erfand der Farmer Thomas Moore eine „Eiskiste“, in der er Butter zum Markt transportierte; er nannte sie einen „refrigeratory“ [Kühlort]. Auch der Name Frederic Tudor taucht in der Geschichte der damals neu entstandenen Kühlungsbranche prominent auf. Der gebürtige Bostoner aus Massachusetts erkannte in gefrorenen Teichen eine Möglichkeit, Profite zu machen: Tudor hatte die Idee, dieses Eis zu ernten und an die damals in den Tropen schwitzenden Kolonisten zu verkaufen. Er machte die Welt mit Kaltgetränken vertraut und weckte an heißen Sommertagen einen Durst in den Menschen, von dem sie nicht einmal ahnten, dass sie ihn hatten.
Diese kurze Geschichte vom Eis ist zugleich eine Mahnung, dass wir Hunderte von Jahren und eine Menge Einfallsreichtum benötigten, um Eis für breite Massen zugänglich zu machen. Und auch wenn Eisblöcke heute nicht mehr von gefrorenen Seen herbeigeschafft werden, ist es immer noch aufwendig sie herzustellen. Tatsächlich benötigte eine Eismanufaktur in Strausberg bei Berlin etwa zwei Wochen, um eine Charge mit durchsichtigen Eisblöcken zu produzieren, aus denen dann die 30 Eiskugeln hergestellt wurden, die für van Warmerdams Werk in der Ausstellung STILL ALIVE nötig waren – und die Bedingungen, unter denen diese ins Museum transportiert und gelagert wurden, waren komplex. Inzwischen sind die Eiskugeln längst geschmolzen und wurden durch neue ersetzt, für die Kinderbiennale, wo Eiskugel derzeit ausgestellt ist.
Wie kühle Getränke im Sommer ist auch Kunst etwas, das wir begehren – und sogar brauchen – und wir tun viel dafür, um es zu bekommen. Betrachtet man die Eiskugel in den Ausstellungen im Albertinum und jetzt im Japanischen Palais, dann erscheint ihr Entstehungsprozess nicht unmittelbar einsichtig für uns; stattdessen sehen wir ein faszinierendes und beinah perfektes Objekt, das direkt vor unseren Augen langsam schmilzt.