Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts Worlding Public Cultures: The Arts and Social Innovation (WPC) fand vom 14. bis zum 16. Juli 2022 die WPC Academy „Lessons Learned? Transcultural Perspectives in Curating and Pedagogies“ („Im Museum lernen? Transkulturelle Perspektiven im Kuratieren und in der Kunstgeschichte“) statt. Die dreitägige Veranstaltung wurde vom Heidelberger WPC-Team unter der Leitung von Prof. Dr. Monica Juneja konzeptualisiert und gemeinsam mit der Transkulturellen Akademie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) in den Räumen des Japanischen Palais organisiert.
Das 2020 gestartete WPC-Projekt untersucht, wie sich gängige Narrative über unsere global verbundene und dabei konfliktreiche Welt mithilfe von Kunst, Ausstellungen, Konferenzen und Publikationen hinterfragen lassen. Besondere Beachtung finden in diesem Zusammenhang die kulturellen, historischen und sozio-politischen Realitäten, in welchen Kunst entsteht. Für das Projekt ist das namensgebende Konzept des „worlding“ („welten“) zentral. Im Gegensatz zu gängigen Diskursen, die das Globale als passiven Effekt des Kapitalismus ansehen, geht das „worlding“-Konzept davon aus, dass das Globale vielmehr von vielen verschiedenen regionalen Positionen und Blickwinkeln aus, aktiv koproduziert wird. Das Vorhaben von WPC ist es, auf dieser Diversität von Positionen aufzubauen: Neue Perspektiven auf unsere transkulturell verflochtenen Gegenwarten sowie unsere gemeinsamen – mitunter diffizilen – Vergangenheiten sollen vermittelt und neue Wege des Zusammenlebens in der Zukunft aufgezeigt werden.
Dabei ist die internationale Struktur des Projekts grundlegend: WPC setzt sich aus lokalen Teams in vier Ländern zusammen. Diese sind an der Vrije Universiteit Amsterdam und der Universiteit van Amsterdam (beide Niederlande), der University of the Arts London (Großbritannien), der Carleton University, der Concordia University, der Université de Montréal und der Université du Québec à Montréal (alle Kanada) und der Universität Heidelberg angesiedelt. Jedes der Länderteams richtet mindestens eine größere Veranstaltung aus, die zum einen als Zusammenkunft der Mitglieder des Projekts dient, zum anderen aber auch eine inhaltliche Konferenz darstellt, auf der jeweils ein bestimmtes Themengebiet des WPC-Projekts vertieft wird.
Standen 2019 in Ottawa Dekolonisierung und Indigenität, 2021 in Amsterdam Aktivismus und im selben Jahr in London karibische Ideengeschichte im Mittelpunkt, wählte das Heidelberger WPC-Team für die von ihm ausgerichtete Academy als Thema die Transkulturelle Pädagogik – mit besonderem Augenmerk auf Museen. Dementsprechend befasste sich die dreitägige Veranstaltung mit den Erfolgen und Misserfolgen bisheriger museumspädagogischer Praxis und lotete das Potenzial neuer transkultureller und „weltender“ („worlded“) Ansätze, im Sinne einer Praxis, die Welt(en) sowohl schafft als auch kritisch reflektiert und (historisch) situiert, aus.
Diese Ausrichtung fügt sich in das Programm der SKD, die sich selbst intensiv mit ähnlichen Fragestellungen zur Transkulturalität beschäftigen und ihrerseits jährlich eine Transkulturelle Akademie ausrichten, in welcher sie dreimonatige Residenzen für Künstler*innen und Kurator*innen vergeben. Für die Transkulturelle Akademie der SKD 2022 bildete die WPC Academy „Lessons Learned? Transcultural Perspectives in Curating and Pedagogies“ den Auftakt.
1. Tag der WPC Academy
Die Academy bestand aus einer Vielzahl an Programmpunkten wie Impulsdiskussionen, Ausstellungs- und Archivbesuchen im breiten Angebot der SKD sowie thematischen Foren. Die zu den Foren gehörenden Vorträge wurden aufgezeichnet und können hier ebenso abgerufen werden wie die Eröffnungsveranstaltung mit der Begrüßung durch Noura Dirani (SKD), Monica Juneja (Universität Heidelberg) und Doreen Mende (SKD) sowie der Einführung in das WPC-Projekt durch Paul Goodwin (University of the Arts London) und Ming Tiampo (Carleton University).
Das erste Forum war ganz den Vorträgen von Nachwuchswissenschaftler*innen gewidmet. Moderiert von Franziska Kaun, Seung Hee Kim und Moritz Schwörer (alle Universität Heidelberg) beschäftigte es sich mit „Reciprocal Learning across Art Institutions – Futures of Transcultural Knowing“ („Wechselseitiges Lernen zwischen Kunstinstitutionen – Wie sieht die Zukunft transkultureller Wissensbildung aus?“).
Noura Dirani (SKD) stellt ihr Konzept eines transkulturellen Museums, das in den Räumlichkeiten des Japanischen Palais Dresden entsteht, vor, womit sie gleichzeitig in die Institution einführt, in der die Academy stattfand. Pansee Atta (Carleton University, Ottawa) spricht über das dekoloniale Potential des Geschichtenerzählens während ägyptischer Henna-Nächte. Nathalia Lavigne (Universidade de São Paulo) beschreibt, wie durch die kollektive Nutzung von Hashtags in sozialen Medien die Deutungshoheit über Sammlungsobjekte zurückgewonnen werden kann. Di Liu (University of Cambridge) berichtet von ihren Erfahrungen als Teilnehmerin der documenta fifteen. Und Varda Nisar (Concordia University, Montreal) präsentiert eine Fallstudie zur „Karachi Art Anti-University“, die sich gegen die Vereinnahmung der pakistanischen Gesellschaft durch das Militär wendet.
Ein ursprünglich geplanter Vortrag von Silvia Gaetti (Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig) zur Ausstellung „CULTURAL AFFAIRS“ (2021) konnte leider nicht stattfinden.
2. Tag der WPC Academy
Der zweite Academy-Tag begann mit einem Forum unter dem Titel „Recuperating Voices through Museum Collections“ („Durch Museumssammlungen Stimmen sichtbar und hörbar machen“), das von Miriam Oesterreich (Universität der Künste Berlin) moderiert wurde. Die zentrale Frage war hier, wie sich Mitglieder der Herkunftsgesellschaften von Objekten aktiv mit Museumssammlungen auseinandersetzen können und damit die Deutungshoheit über Kulturgüter zurückgewinnen können.
Im ersten der beiden Vorträge des Forums stellt Cristina Juan (SOAS, University of London) das von ihr mitinitiierte Mapping Philippine Material Culture Project vor. In diesem versuchen Juan und ihre Mitstreiter*innen mithilfe einer Datenbank aktivistisch dem Umstand zu begegnen, dass sich heute ein großer Teil philippinischer Kulturgüter aus der Zeit vor 1930 in den Depots westlicher Museen befindet und somit der philippinischen Gesellschaft der Zugang zu diesen Objekten verwehrt bleibt.
Ruth B. Phillips (Carleton University, Ottawa) spricht darüber, wie Museen „fit für die heutige Zeit“ gemacht werden können. Hierfür sei es unerlässlich verschiedenen Sichtweisen auf Museumsobjekte – vor allem denjenigen der Herkunftsgesellschaften – Raum zu geben. Phillips präsentiert dazu einen praktischen Ansatz, wie Studierende durch die Arbeit in und mit Museumssammlungen sowie durch den Austausch mit Vertreter*innen der Herkunftsgesellschaften von Kulturgütern die notwendige Sensibilität entwickeln und diese auch in die Institutionen tragen könnten.
Mit dem von Franziska Koch (Universität Heidelberg) geleiteten zweiten Forum des Tages „(Re)Thinking through Exhibitions“ („(Um-)Denken durch Ausstellungen“) bewegte sich die Academy weg von den Sammlungen der Museen und hin zur öffentlichen Präsentation von Objekten und ihren Implikationen: Wie kann das Ausstellungsmachen selbst neu konzipiert werden und welche Hindernisse treten dabei auf?
Claire Farago (University of Colorado Boulder) geht in ihrem Vortrag davon aus, dass Museen zumeist bis heute von einer Kolonialität des Wissens geprägt seien, was Institutionskritik dringend nötig macht. Anhand des Beispiels einer von ihr gemeinsam mit ihren Studierenden erarbeiteten Ausstellung zeigt sie auf, wie diese Kritik praktisch umgesetzt werden kann.
Im Gegensatz dazu blickt Maria Silina (Université du Québec à Montréal) von außen auf Ausstellungen, die globale und lokale politische Aktionen in sich verbinden. Anhand der von Georges Didi-Hubermann kuratierten Wanderausstellung „Soulèvements“ / „Uprising“ (2016-18) arbeitet Silina Parallelen zwischen zeitgenössischer kuratorischer Praxis und der digitalen Kultur des Internets auf.
3. Tag der WPC Academy
Auch der letzten Tag der Academy bestand aus zwei Foren. Moderiert von Paul Goodwin setzte sich das erste mit Archiven auseinander. Dem Titel „Identifying Problem Spaces and Absences in Archives“ („Problem-Räume und Leerstellen in Archiven identifizieren“) folgend wurden zwei gänzlich unterschiedliche Ansätze im Umgang mit diesen Institutionen vorgestellt.
Carine Zaayman (Vrije Universiteit Amsterdam) legt dar, warum Archive Ausdruck von kolonialen Strukturen und Denken sind. Anhand des „Clanwilliam Arts Project“ (Südafrika 2001-18) zeigt sie andere Formen des Wissens auf, die in Archiven keinerlei Beachtung finden und dort somit als Leerstellen betrachtet werden müssen.
Im zweiten Vortrag des Forums berichtet Doreen Mende (SKD) von den Ergebnissen ihrer ersten Recherche im hauseigenen Archiv, nachdem sie Leiterin der Abteilung Forschung der SKD wurde. Mit ihrem Fallbeispiel einer Ausstellung von Werken aus der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister in Neu-Delhi (1984-85) illustriert Mende, welche politischen Implikationen das Kuratieren von grenzüberschreitenden Ausstellungen während des Kalten Krieges mit sich brachte.
Das letzte Forum der Academy wurde von Eva Bentcheva (Universität Heidelberg) geleitet und trug den Titel „Situating Art in Communities and Contexts“ („Kunst in Gemeinschaften und Kontexten situieren“). Entsprechend widmeten sich beide Vorträge Kunst- und Museumsprojekten, die grundlegend von lokalspezifischen Gedanken und Ansätzen geprägt sind.
Entgegen dem aktuellen Ausstellungstrend, positiv besetzte Themen wie Heilung und Reparieren in den Mittelpunkt zu stellen zu rücken, präsentiert Sarah Hegenbart (Technische Universität München) in ihrem Vortrag Kunstprojekte, die sich vielmehr der Differenz und dem Konflikt widmen. Um diese Beispiele zu kontextualisieren, zeigt Hegenbart politische Traditionen auf, die ebenfalls den Unterschied betonen, und fragt, welche Schlüsse europäische Demokratien aus solchen Ansätzen ziehen könnten.
Nuraini Juliastuti (Universiteit van Amsterdam) hinterfragt in ihrem Vortrag das eurozentrische Konzept des Museums, das sich auch in vielen Institutionen Indonesiens wiederfindet. Diesem stellt sie das „Commons Museum“ entgegen, das sich gezielt an den spezifischen Bedürfnissen und Wünschen lokaler Gemeinschaften orientiert, und führte diese Idee anhand der Fallbeispiele zweier kollektiv organisierter Projekte aus.
Die WPC Academy „Lessons Learned? Transcultural Perspectives in Curating and Pedagogies“ ist Teil des öffentlichen Programms von Worlding Public Cultures: The Arts and Social Innovation (WPC), einer internationalen Forschungsplattform gefördert durch einen Social Innovation Grant der Trans-Atlantic Platform for the Social Sciences and Humanities, dessen deutscher Anteil durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF/ DLR Projekträger) finanziert wird.
Die Transkulturelle Akademie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wird durch die Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ermöglicht.