Wenn man eines der Villa Massimo nicht nachsagen kann, ist es Mangel. Nicht den Zedern, Zypressen, nicht dem Kies. Der Rasen sieht nicht gesund aus, darüber ließe sich reden. Aber auch wenn es hier nicht alles gibt, so ist doch alles da, oder in Reichweite, oder man vergisst, dass noch andere Bedürfnisse existierten, bevor man kam, Bedürfnisse außerhalb dieser Mauern. Über alles ist geschrieben worden, die Elogen liegen vor. Wollte man eine Kleinigkeit anmerken, so, dass das Meer zu weit entfernt sei. Ja, wenn es etwas gibt, das diesem Ort fehlt, ist es das Meer, die Aussicht mit Wasser. Vom uralten Wellengang, seinen ewigen Gesetzen, keine Spur. Vielleicht hatte ich deshalb auch in einem vorauseilenden Wunschdenken meine Pakete, in denen ich Arbeitsmaterial, Bücher vor allem, nach Rom senden wollte, an die falsche Anschrift adressiert. Und wie so oft in der Literatur sind es die minimalen, kaum sichtbaren Bewegungsabläufe im Gesagten, die die Absicht des Autors verraten. Die Bücherpakete gingen nicht an die Anschrift Largo di Villa Massimo, sie gingen an Lago di Villa Massimo und ich sehe es vor mir: Die Villa Massimo an einem Bade-, einem Berg-, einem Vulkansee, ein Bild wie eine Kiste, randvoll mit Ansichtskarten. Vom Park führt ein direkter Weg hinunter zum Strand, auf den Liegen die Namen der Mitarbeiter, Ehemaligen und Stipendiaten. Jährlich an Ferragosto finden Turniere statt, Wettschwimmen, Felsspringen, Regatta, Hauptsache Wasser. Meine Pakete haben im Übrigen das Meer gesehen. Zwar dauerte es diesmal nicht zehn Jahre, bevor der saumselige Odysseus den Weg zurück nach Ithaka fand. Seit die British East Indian Company das Mittelmeer beherrschte, hatten die Götter als Global Player ausgedient. Nun ging es schneller: Vierzig Tage lang irrten die Bücher zwischen Feucht, Börnicke, Como, Milano und Roma hin und her, ehe sie im Hafen der DHL-Filiale landeten, in der ich sie abgesandt hatte. Niemand war da, um die Pakete in Empfang zu nehmen. Penelope war verreist, sie hatte mir keine Nachricht hinterlassen. Der Schrank war leer, ich hatte an jenem Morgen nur ihren Schal an der Garderobe gefunden. Dann fuhr ich zum Flughafen. Ich musste los. Der Postbeamte versprach, die Pakete aufzubewahren bis zu meiner Rückkehr. Und als er mir das so am Telefon erklärte, fragte ich mich, ob ich sie jemals bei ihm abholen würde. Ich konnte Odysseus auch verlorengeben und so tun, als hätte ich mir das mit meiner Rückkehr noch einmal überlegt.
jeden abend, im lichtlosen winkel
trepp-auf und trepp-ab
sitzen drei großmütter auf der bank und grüßen mich
buona sera, sage ich
eine plastiktasche in jeder hand
buona sera, sagen die angeschwollenen füße in ihren crocs
und salben mich mit einem nicken
die eine kurz, die andere zweimal kurz, die dritte
erst kurz, dann einmal lang
rechts und links von ihnen sitzen
der tag, der monat, das jahr
und wenden die münze unter der zunge
Ich kam nach Olevano Romano, um ein Buch über das lange 20. Jahrhundert zu schreiben. Und jetzt wohne ich auf einem Hügel zwischen der Via XXIV Maggio und der Via VI Giugno. Wenn ich morgens das Fenster nach Norden öffne, beginnt in Italien der I. Weltkrieg. Drei Zerstörer halten auf den Hafen von Ancona zu und beschießen die Stadt. Wenn ich abends auf die Terrasse nach Süden trete, ziehen die deutschen Truppen aus Olevano ab. 29 Jahre gehe ich jeden Tag hinauf und hinunter, um meinen Caffè bei San Rocco zu trinken. Bei klarem Wetter, wenn die Sonne genau hinters Wasser fällt, reicht der Blick über die Ebenen des Saccotals bis zum Meer. Vor mir die Tyrrhenische Küste, die Adria im Rücken, ich balanciere die schmalste Stelle der italienischen Halbinsel entlang. Ich kann nicht sagen, man hätte mich nicht gewarnt.
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