Im März dieses Jahres kam ich zuerst nach Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), wo ich eine Pflicht-Sprachausbildung absolvierte. Im Juli oder August war ich damit fertig und ging dann für ein Diplomstudium in Elektrotechnik an die Technische Universität in Dresden.
Zu dieser Zeit hatte ich bereits einen Bachelor in Elektrotechnik. Mein postgraduales Studium habe ich dann in der DDR gemacht.
Im September 1985 begann ich mit dem Zusatzstudium an der TU Dresden. Die Bezeichnung war nicht Masterstudium, sondern Diplomstudium, das eigentlich fünf Jahre dauerte. Da mein Bachelor-Studium anerkannt wurde, musste ich nur die Hälfte absolvieren. Ich studierte in der Sektion Elektrotechnik weiter.
Ich erhielt damals 340 Mark und später 500 Mark, durch ein Leistungsstipendium.
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Stadtrundgang “Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna” mit Hung Cao The, Bui Truong Binh und Dr. Hussein Jinah
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Nora Börding
1986 hatte ich mich durch Zufall in eine Frau verliebt. Ein Freund von mir wollte sie eigentlich treffen, konnte aber nicht, und ich ging stattdessen hin. Damals war ich 26 Jahre alt, und sie verliebte sich sofort in mich. Ich glaube es war anziehend, dass ich aus einem Land kam, das kapitalistisch war, es aber auch sozialistische Verbindungen gab.
Im Austausch waren wir fünf Personen. Aus der DDR kamen Postgraduale nach Indien, die dort Indologie, indische Sprachen, Kultur und Kulturwissenschaften studierten. Wir fünf kamen in die DDR um Elektrotechnik, Chemie und Verfahrenstechnik zu studieren und wurden auf verschiedene Hochschulen verteilt.
1987 schloss ich das Diplom ab und begann nahtlos mit der Doktorarbeit in Elektrotechnik.
Nach der Wiedervereinigung 1991 wurde meine Doktorarbeit auch in der BRD anerkannt.
Es war eine internationale Doktorarbeit, begonnen in der DDR und abgeschlossen in der BRD. Als ich mit meiner Doktorarbeit fertig war, begann ich mit der Habilitation. Nach einem Monat wurde ich jedoch von der Uni entlassen, weil nur Beamte mit deutscher Staatsangehörigkeit habilitieren durften. Meine indische Staatsangehörigkeit wurde nicht akzeptiert. Dafür hätte man 15 Jahre in Deutschland leben müssen. Das wurde nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 von Friedrich dem Großen entschieden, das damals für die Hugenotten erlassen wurde, und immer noch gültig war.
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Stadtrundgang “Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna” mit Hung Cao The, Bui Truong Binh und Dr. Hussein Jinah
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Nora Börding
Meine Frau wollte nicht nach Indien, ich wollte aber zurück, um Professor zu werden. Es war also die Liebe, die mich hier gehalten hat. Wir haben einen Kompromiss gefunden. Ich blieb.
Als Elektrotechniker schrieb ich mehr als 100 Bewerbungen nach Westdeutschland und Österreich. Manche haben nicht geantwortet, manche haben gesagt, ich sei überqualifiziert oder dass sie wegen der Umstrukturierung erstmal nicht einstellen. Ich bekam eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland, weil ich bereits fünf Jahre hier lebte. Wer so lange hier war, könnte „nutzvoll“ sein, denn viele Menschen sind nach der Wende in den Westen gegangen und unsere Institute wurden alle dicht gemacht.
Ich habe dann 1992 eine Stelle als Sozialarbeiter in der Wienerstraße 41, dem ehemaligen FDJ Hauptquartier, bekommen. Das Gebäude wurde in eine Beratungsstelle für jugendliche Ausländer*innen umgewidmet. Der Dezernent setzte sich für mich ein und ich bekam eine Stelle. Von 1994 bis 1997 studierte ich dann berufsbegleitend Sozialpädagogik an der TU Dresden und absolvierte zeitgleich mein Diplom in Psychologie.
In meiner Arbeit als Sozialarbeiter habe ich Migrant*innen in ganz Dresden besucht, um ihnen Hilfe anzubieten. Diese Tätigkeit übte ich bis 1999 aus. Dann erfolgte eine große Umstrukturierung in der Jugendarbeit, wodurch diese nicht mehr als Pflichtaufgabe galt und an freie Träger übergeben wurde. Daraufhin entwickelte sich eine Mischung aus Büroarbeit und Streetwork. Wir bildeten eine kleine Gruppe (zuständig für die Johannstadt, Altstadt und Neustadt als Einzugsgebiet) und arbeiteten mit den freien Trägern der Jugendhilfe wie „Outlaw" und „Roter Baum“ zusammen. Von 1999 bis 2009 wurde diese Streetwork von der Stadtverwaltung durchgeführt. Ab 2010 entschied die Stadtverwaltung, die Verantwortung vollständig auf freie Träger zu übertragen.
Eine Frau gab mir den Tipp, in die Personalratsverwaltung zu wechseln. Dafür wurde ich freigestellt und begann im Rathaus zu arbeiten. Die anderen gingen zum allgemeinen Sozialdienst, während ich als Person mit Migrationsgeschichte für 5000 bis 6000 Mitarbeiter*innen zuständig war. Aufgrund meiner Erfahrung konnte ich Menschen gut beraten. Ich arbeitete auch als Gastprofessor im Bereich „Diversity Management“ in Merseburg. Dort leitete ich Seminare für verschiedene Studierende aus den Bereichen Soziologie und Psychologie. An der Universität aber auch im öffentlichen Dienst waren meine Kompetenzen von großer Bedeutung, um sowohl homogene als auch heterogene Verwaltungsstrukturen zu unterstützen.
Nach meiner Arbeit im Rathaus ging ich ins Sozialamt in die neue Abteilung Migration. Ich war der Erste dort, der als Sozialarbeiter nur für Migrant*innen (meist Geflüchtete) zuständig war. Ich arbeitete dort drei Jahre und wurde dann im Oberbürgermeisteramt eingestellt. Dort war ich zuständig für die Bereiche Gedenkkultur, Kuratorium und die Mitorganisation von Veranstaltungen.
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Stadtrundgang “Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna” mit Hung Cao The, Bui Truong Binh und Dr. Hussein Jinah
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Nora Börding
Ich engagiere mich außerdem ehrenamtlich. Ich bin im Verein „Indian Association of Dresden e.V.“ und im Vorstand von Afropa e.V. tätig. Ich war Vorsitzender des Landesmigrationsausschusses ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie Vorstandsvorsitzender des Sächsischen Flüchtlingsrats und Vorsitzender des Integrations- und Ausländerbeirats der Stadt Dresden. Nebenbei arbeite ich in einem Spätshop, als Gemeindedolmetscher und habe gekellnert. Ich bin, wie man so sagt, Mädchen für alles.
Mein Ziel dabei ist immer: Frieden, Zusammenhalt und Gewaltlosigkeit in der Gesellschaft zu fördern.
Beim Stadtspaziergang „Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna“ durch die Dresdner Neustadt lud ich Teilnehmer*innen in den Spätshop ein, in dem ich arbeite, und erzählte von meiner Geschichte. Ich habe darüber gemeinsam mit Nikola Richter aus Berlin ein Buch geschrieben.
Mein Vater kam während der britischen Kolonialzeit nach Tansania, wo er die Geschäfte meines Großvaters weiterführte. Wir betrieben dort einen Kolonialwarenladen, der Bleistifte, Schmuckstücke und Textilien anbot. In Indien war zuvor eine Liebesheirat eher unüblich; 1957 zog er dann dorthin, nachdem er ein Foto meiner zukünftigen Mutter gesehen hatte, die Grundschullehrerin war. Nach seiner Ankunft heiratete er sie im britischen Kolonialgebiet. Im Juli 1958 zogen wir als Familie zurück nach Tansania, wobei wir auf einem britischen Dampfer reisten. Er ging 20 km vor der Küste nahe Dar es Salaam vor Anker. Meine Mutter war hochschwanger.
Am 20. Juli 1958, dem Tag des Attentats auf Stauffenberg und der ersten Mondlandung, wurde ich auf diesem Dampfer geboren, in der Nähe der Insel Mafia. Die britische Hebamme und der Arzt bemühten sich nach Kräften um meine Geburt, obwohl die Station eigentlich nicht für solche Fälle vorgesehen war. Per Funk wurde die Marine alarmiert, die uns abholte. Königin Elisabeth erhielt die Nachricht und wurde meine Patin, da ich das erste Kind war das auf maritimem britischem Hoheitsgebiet geboren wurde.
Als Weltbürger fühlte ich mich in Sachsen zu Hause. Meine Sozialisation war geprägt von deutsch-britischen und dann wieder deutschen Einflüssen. Drei Jahre nach meiner Geburt erlangte Tansania seine Unabhängigkeit, und Zanzibar fiel unter die Herrschaft des Sultans von Oman. 1964 erfolgte die Vereinigung von Zanzibar und dem Festland zu Tansania, das einen sozialistischen Kurs einschlug, was wiederum die Geschäfte meines Vaters beeinflusste.
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Stadtrundgang “Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna” mit Hung Cao The, Bui Truong Binh und Dr. Hussein Jinah
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Nora Börding
Wir zogen nach Südafrika, wo wir das Apartheidregime erlebten und uns die starke Diskriminierung nicht gefiel. Ich selbst hatte dort rassistische Erfahrungen gemacht, wie etwa die Trennung im Zug, der nur für Weiße zugänglich war, was mich zum Weinen brachte. Wir kehrten schließlich nach Indien zurück, wo ich den obligatorischen Militärdienst nach dem Abitur absolvieren musste. Dort nahm ich an einer Friedensmission in Tansania teil. Wir bewachten ein großes Lager für Geflüchtete vor dem Apartheidsystem, vor allem aus Mosambik und Angola. Meine Aufgabe bestand darin, die Geflüchteten zu schützen. Auch andere Nationalitäten waren an der Mission beteiligt. Ich habe dort gelernt, wenn man sich anderen ohne Vorurteile öffnet, lernt man viel. Unsere Vielfalt bereichert uns und wenn wir alle gleich wären, wäre es langweilig.
Als ich nach meinem Militärdienst nach Indien zurückkam, wollte ich Schauspieler werden.
Ich habe in einem Bollywood-Film (damals hieß es noch nicht so) etwa 1977/78 als Laienschauspieler mitgewirkt. Der Film war gut, aber ein Flop. Es gibt kein Material mehr davon, da er auf 32mm-Film gedreht wurde. Geld haben wir auch nicht gesehen, und er wurde vom Publikum nicht angenommen. Die Story: Zwei Studierende, ein Moslem und eine Hindu, beide aus sehr konservativen Familien, gehen ins College. Ihre Familien sind gegen ihre Beziehung, daher treffen sie sich heimlich. Sie beschließen, gemeinsam abzuhauen und in einem Tempel zu heiraten. Der Film endet damit, dass die Eltern die Polizei einschalten, weil die beiden vermisst werden. Sie ziehen weit weg von ihrem konservativen Umfeld, um ein neues Leben zu beginnen, in dem ihre Kinder selbst entscheiden können, was sie machen möchten. In der sehr konservativen Gesellschaft und wegen des Kastensystems gab es viel Kritik an diesem Film. Bollywood hat diese Geschichte später erneut verfilmt.
In der DDR hatte ich keinen Bezug zur Kunst. Dort künstlerisch frei zu arbeiten war nicht möglich, denn Kunst war nicht für alle frei zugänglich: Es gab eine klare Trennung zwischen Kunst, Wirtschaft und Politik. Wir hatten einen indischen Verein zu DDR-Zeiten, in dessen Rahmen wir Musik machten und tanzten. Künstlerische Institutionen waren nicht für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich und standen unter Beobachtung.
In Dresden, im Kleinen Haus, habe ich 2014 für eineinhalb Jahre Theater gespielt: "Die Irrfahrten von Odysseus" nach einer Fassung von Miriam Tscholl und Hajo Kurzenberger mit der Bürgerbühne. Die Texte erzählten von unseren Geschichten, Flucht und Migration.
Im Verein Afropa e.V. habe ich danach Straßentheater gespielt und war im Theaterhaus Rudi ein Jahr lang in „Misere Europa“ mit Andrea Rump. In einem weiteren Theaterstück, „Dinner on See Bood“ des syrischen Regisseurs Anis Hamdoun, verkörperte ich Indien und Pakistan. Auch hier ging es um die vielfältigen Migrationsgeschichten in Ostdeutschland und Rassismuserfahrungen.
Ich war einer der ersten Demonstranten gegen Pegida. Die Polizei fragte mich, was ich hier
zu suchen habe. Für mich stand das unter dem Motto „wehret den Anfängen“. Damals
dachten sie, das sei eine Randerscheinung von Leuten. Die paar Hundert vom Anfang sind
jetzt Zehntausende, die radikalisiert wurden.
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Stadtrundgang “Die Neustadt zwischen Hanoi und Havanna” mit Hung Cao The, Bui Truong Binh und Dr. Hussein Jinah
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Nora Börding
Ja, Demokratie beinhaltet auch Meinungsfreiheit und andere Meinungen zu akzeptieren,
aber sie hat auch Grenzen: Demokratie ist immer strittig und wir können in ihr streiten. Sie
ist auch da, um Gefährdungen zu vermeiden, und populistische,
rechtsextremistische Parteien sind eine Gefahr für die demokratische Gemeinschaft.
Alles, was im Extremen ist, was polarisiert, ist eine Gefahr für die Stabilität der
Gemeinschaft.
Wenn ich an die DDR denke, war die Solidarität dort eine der gleichen Weltanschauungen.
Aber sie sollte eigentlich von Mensch zu Mensch stattfinden, egal welche
Weltanschauung. Sie ist eine Hilfestellung für Menschen, die in Not geraten sind,
unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe und Religion. Ähnlich wie die Demokratie hat sie
da ihre Grenzen, wo sie eine Gefahr für die Gesellschaft ist und Gefährdung und Gewalt
signalisiert.
Mit Blick auf die Wahlergebnisse frage ich mich, was wir falsch gemacht haben. Die Gleichberechtigung aller vermeidet offensichtlich nicht Diskriminierung und Spaltung. Der Zusammenhalt, Vernunft und die Bereitschaft, sich zu versöhnen, sind wichtig.
Ich versuche, mich nicht zu fragen, wie viel Geld ich verdient habe oder wie viel Erfolg ich hatte, sondern was ich für die Gemeinschaft getan habe.
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Mit der Reihe „Ortsgespräche“ stellt sich die Schenkung Sammlung Hoffmann auch für Kunstorte im sogenannten ländlichen Raum in Sachsen zur Verfügung, wo die Diversität und gesellschaftliche Aktualität zeitgenössischer Kunst zuweilen in besonderer Vehemenz zur Diskussion gestellt wird. In diesem Projekt haben Künstlerinnen des Künstlerguts Prösitz zur lokalen Autobahn A14 gearbeitet.
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Durch die Programmreihe "ostZONE" im Rahmen der Sonderausstellung "Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR" entstand im Albertinum ein offener Raum für gemeinsame Gespräche, Fragen und Erinnerungen an das Leben in der DDR und im heutigen Ostdeutschland. Hung The Cao berichtet zu seinem Workshop mit Zeitzeugen "Jeans nach Dienstschluss".
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Durch die Programmreihe "ostZONE" im Rahmen der Sonderausstellung "Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR" entstand im Albertinum ein offener Raum für gemeinsame Gespräche, Fragen und Erinnerungen an das Leben in der DDR und im heutigen Ostdeutschland. Bela Álvarez organisierte die Workshop-Serie "Die Fäden in der Hand halten" und brachte die Macht der Bilder, aber auch die Macht der Hände in den Fokus.
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