Aufgewachsen bin ich in der Zeit, als Gaddafi und sein Regime zwar noch sozialistische Elemente in ihrer Politik und Rhetorik beibehielten, aber schon begannen, sich von traditionellen sozialistischen Ideen zu entfernen.
Libyen war eines der wenigen Länder in Nordafrika, das enge Beziehungen zur DDR pflegte. Die Zusammenarbeit umfasste den Austausch von Handelswaren, technischer Expertise und politischer Unterstützung. Mit dem Fall der Mauer in Deutschland endete diese jedoch.
Wie auch in der DDR, was ich erst hier erfahren habe, wurden Wandbilder als Mittel zur Verbreitung sozialistischer Ideen und zur Unterstützung des Regimes genutzt. Diese politische Wandmalereien oder Murals waren oft Teil einer breiteren Propagandakampagne.

Moussa in Dresden
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Im Osten Deutschlands sah man Lenin auf großen Mosaiken als Anführer, bei uns war es Gaddafi. Im öffentlichen Raum prangten Symbole des Sozialismus, Szenen aus dem Alltagsleben der Arbeiterklasse sowie Bilder, die den Fortschritt und die Entwicklung des Landes unter dem sozialistischen Regime feierten. Diese Wandbilder sollten das Bewusstsein für politische Ziele schärfen und die Loyalität zur Regierung stärken.
Für mich allerdings war das nicht wirklich existent. Denn tief im Süden, am Rand der Sahara, wurden die Menschen gerne vergessen. Die politische Erziehung allerdings glich doch sehr der Erziehung in der DDR. Für mich war die Erfahrung, hier im Osten, in Dresden, noch Relikte aus Zeiten vor der Wende zu entdecken, eine Reise in eine Vergangenheit, die zweitausend Kilometer entfernt liegt.

Moussa bei seiner Arbeit in der Kunstgießerei GEBR Ihle Bildguss GmbH
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Vor dem Bürgerkrieg in Libyen im Jahr 2011 gab es nur begrenzte Formen von Widerstandskunst gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Das autoritäre Regime unterdrückte jegliche Form von oppositioneller Kunst oder Kultur und kontrollierte streng die künstlerische Produktion im Land. Dennoch gab es vereinzelte Künstler*innen und Intellektuelle, die subtilen Widerstand in ihre Werke einfließen ließen, indem sie kritische Themen auf metaphorische oder verschlüsselte Weise ansprachen. Diese Formen des Widerstands waren jedoch selten und wurden oft im Untergrund oder im Ausland produziert und verbreitet.
Es war erst mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs und dem Sturz des Gaddafi-Regimes möglich, dass eine Vielzahl von künstlerischen Ausdrucksformen als Widerstandskunst gegen das autoritäre Regime und für die Freiheit und Demokratie in Libyen entstanden.

Moussa im Atelier mit seinem Kunstwerk Der Pass / Passport / جواز السفر
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Die freie Meinungsäußerung, die öffentliche Auseinandersetzung mit verschiedenen politischen Haltungen, die Bereitschaft zum Diskurs – es brauchte eine Weile, bis ich diesem System trauen konnte. Nun lebe ich seit fast zehn Jahren hier und bin immer noch begeistert, was in einer Demokratie möglich ist. Ich bin kein Bürger dieses Staates, aber ich bin ein Mensch, der hier lebt und mitgestalten möchte. Mein Instrument, mich am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen, ist die Kunst. Ein Mittel, welches die Menschen jenseits des gesprochenen Wortes erreicht.
Im künstlerischen Begleitprogramm zur Ausstellung „Revolutionary Romances“ durfte ich Workshops leiten. Wir haben dazu eingeladen eigene Plakate mittels Siebdruck zu gestalten. In unserer Druckwerkstatt wollten wir ganz persönliche Sichtweisen auf die Gestaltung unserer Gesellschaft ins Zentrum rücken. Gegeneinander – nebeneinander – miteinander – füreinander? In welcher Welt leben wir? Und in welcher Welt möchtest du leben?

Workshop “Deine Botschaft – Dein Plakat – selber drucken mit Siebdruck” mit Moussa Mbarek und Yvonn Spauschus
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Iona Dutz
Ein besonderes Anliegen war dabei auch, Menschen mit Migrationsgeschichte zu erreichen. Uns interessierte der Blick der Bevölkerungsgruppe, die oft nur als eine homogene Masse dargestellt wird. Wo bekommt man schon Erfahrungen aus erster Hand, wie es sich an anderen Orten oder in anderen Gesellschaften leben lässt?
Es sind die vielfältigsten Motive und Aussagen entstanden. Menschen haben sich kennengelernt und sind miteinander ins Gespräch gekommen. Ein Thema zog sich dabei durch alle Workshops: Frieden. Es war ein Wunsch an die Zukunft, der sich thematisch wie ein roter Faden durch alle Nationalitäten der Teilnehmenden zog. Das Thema Frauenrechte wurde von Teilnehmerinnen aus dem Sudan und aus Südkorea gemeinsam bearbeitet, Menschen aus Syrien und Libyen beschäftigten sich mit dem Thema Freiheit und auch die bevorstehenden Wahlen in Europa waren ein großes Thema.

Workshop “Deine Botschaft – Dein Plakat – selber drucken mit Siebdruck” mit Moussa Mbarek und Yvonn Spauschus
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Iona Dutz
Erst, wenn man diese Freiheit verliert, seinen Wünschen und Gedanken Raum geben zu dürfen, frei zu denken und gesellschaftliche Prozesse zu hinterfragen, weiß man, was es heißt, die Demokratie zu verlieren. Vielleicht gäbe es weniger Krieg auf der Welt, wenn die Menschen in ihrem Denken freier wären. Denn jenseits der Religionen und politischen Dogmen leben Menschen, nur Menschen, die in Frieden leben möchten.
Ich, ein Punkt in der homogenen grauen Masse der Geflüchteten, hatte diese Möglichkeiten in meiner alten Heimat nicht. Museen waren keine Orte zum Gedankenaustausch. Museen waren Orte, vor denen die Polizei patrouillierte. Und hier, in Deutschland, in Dresden, in meiner neuen Heimat, ist alles möglich. Frei sein, gemeinsam demokratische Prozesse gestalten, streiten um Meinungen ohne Angst vor Repression; das sind Dinge, die auch die Freiheit der Kunst möglich machen. Ich denke, wer Angst vor der Kunst hat, hat auch Angst vor sich selbst.

Moussa bei seiner Arbeit in der Kunstgiesserei GEBR Ihle Bildguss GmbH
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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