Seit Jahrhunderten reisen Künstler nach Italien und viele davon nach Rom, einige auf eigene Faust, andere wurden auf Kosten ihrer Fürstenhäuser zum Studium der Künste nach Süden geschickt. Seit dem 19. Jahrhundert sind es zunehmend die Akademien aus allen Ecken dieser Welt, welche auserwählten Künstlern und Künstlerinnen (letztere erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts) einen „Rompreis“ verleihen. In der Folge des humanistischen Interesses an der Antike in der Renaissance sollten in Rom - im Caput Mundi, am Nabel der Welt, im Zentrum der antiken Zivilisation - Maler, Bildhauer und Architekten vor allem die Antike studieren. In späteren Jahrhunderten traten die antiken Werke etwas in den Hintergrund, aber der Kreis einer internationalen Künstlerkolonie und rege ästhetische Diskussion und lebendiger Austausch blieben in Rom bestehen. Ging es in der Vergangenheit vordergründig ums Andocken an den Kanon der Kunstgeschichte, spielten hintergründig immer auch die Verabredungen gemeinsamer kultureller und universalistischer Bezugspunkte eine Rolle.
Als erstes Land schuf Frankreich 1666 mit der Académie de France a Rome, heute in der Villa Medici, eine Institution vor Ort, in der die Künstler wohnen und arbeiten konnten. Nach dem Vorbild und anhand von Kopien der römischen Kunst sollte sie unter staatlicher Aufsicht Paris verschönern. Im Laufe des 19. Jahrhunderts folgten andere Länder dem französischen Vorbild. Im Sinne einer noch nationalistisch und schulisch geprägten Akademieidee schufen u. a. Spanien, England, Amerika und Deutschland eigene Künstlerresidenzen in Rom. Der Strom der Gründungsinitiativen riss nicht ab, sodass heute tatsächlich an die 30 Länder Akademien und Stipendienprogramme in der Ewigen Stadt unterhalten. Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat sich dadurch eine weltweit einzigartige kosmopolitische Kunst- und Wissenschaftslandschaft etabliert.
Ein deutscher Rompreis wird seit gut 100 Jahren, seit der privaten Stiftung einer Deutschen Akademie in Rom, der Villa Massimo im Jahr 1910, unterbrochen nur von den Weltkriegen, regelmäßig vergeben. Heute verteilt die/der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien ein Stipendium für zehn Monate an neun von vier Fachjurien für die Bereiche Architektur, Bildende Kunst, musikalische Komposition und Literatur ausgewählte Persönlichkeiten oder Kollektive. Seit 2008 werden zusätzlich Praxisstipendien für zweimonatige Aufenthalte für Personen aus den angewandten Bereichen des künstlerischen Schaffens ausgeschrieben.
Zum finanziell gut ausgestatteten Romstipendium gehört das Eintauchen in eine südliche Welt, das Abtauchen in eine befristet sorgenfreie Kreativität und ein Aufenthalt in der Villa Massimo: neben Ateliers mit anliegenden Wohnungen bietet die Akademie ein Veranstaltungsprogramm, hilft bei der Verwirklichung von Projekten, organisiert Ausstellungen, Aufführungen, Publikationen, Kooperationen und verschafft damit einen Resonanzraum auf der internationalen und städtischen Bühne. Der Aufenthalt in Rom kann Inspiration und künstlerische Orientierung, Austausch und Durchbruch ermöglichen. Tatsächlich ist das Villa-Massimo-Stipendium unter den deutschen Kunstpreisen und neben den ähnlichen, aber weniger umfangreichen Stipendien, wie z. B. der Villa Romana in Florenz und der Villa Aurora in Los Angeles, die renommierteste künstlerische Auszeichnung.
Sein besonderer Appeal hat auch mit der außergewöhnlichen Adresse zu tun: Die Deutsche Akademie Rom liegt einen halbstündigen Spaziergang nordöstlich vom Zentrum auf einem fast drei Hektar großen Parkgrundstück in der Nähe der Piazza Bologna. Hier stoßen eines der dichtesten Wohnquartiere Roms aus den 20-30er Jahren mit einem der exklusivsten Villenviertel der Stadt, geprägt von Bauten der Belle Epoque, zusammen.
Einst lagen hier die Latifundien des römischen Großadels und begann das offene Land, die römische Campagna, über die sich der Blick bis zu den Bergketten des Apennins erstreckte. Nach Hauptstadtwerdung Roms 1871 und im Zuge des darauf einsetzenden Baubooms, wurden die Landgüter verkauft und parzelliert. Die damals entstandenen Residenzen des Großbürgertums mit blühenden Gärten und unter alten Bäumen wurden in der Nachkriegszeit weiter geteilt und mit modernen Stadtvillen durchsetzt. Inmitten dieses vielseitigen Quartiers, zwischen Fragmenten adliger Residenzen, Libertyvillen, antiken Mauerresten, Renaissanceportalen und modernen Wohnhäusern, liegt heute die Anlage der Villa Massimo, deren Park, daher der Name, der letzte erhaltene Teil des ehemaligen Landguts der altrömischen Familie der Massimo ist.
Wer den Spaziergang zur Villa unternimmt, stößt zunächst an eine hohe erdfarben getünchte Mauer. An ihr entlang geht es, vom Getöse der Grillen begleitet, auf weichen Kissen trockener Piniennadeln und einem von Wurzeln und Hitze verbogenen Asphalt weiter bis zu dem von einem großen nach innen geschwungenen Villenportal eingefassten Vorplatz. Der Einlass erfolgt über ein seitliches Pförtnerhaus, die Diskretion ist perfekt: nichts als das dunkle Grün der Pinienkronen ragt nach außen, kein Blick ins Innere der Villa.
Umso überwältigender ist die Wirkung beim Betreten des Parks. Eine verschattete von monumentalen Zypressen und antiken Vasen abwechselnd gesäumte Kiesallee öffnet sich nach einigen Schritten auf einen großen, gleißend weißen Vorplatz, der ebenfalls von dunklen Zypressen, antiken Säulen, Brunnen, Statuen, Sarkophagen und von der lang hingezogenen Mole der mit weißem Travertin durchsetzen Fassade der Villa gesäumt wird. Hier spätestens wird den Besucher das Gefühl befallen, dass er eine Bühne betritt und an einer Inszenierung teilnimmt.
Der Schweizer Maximilian Zürcher (1868-1926), der diese Villa im Renaissancestil um 1910 erbaute, war eigentlich Künstler. Als Maler wandelte er zunächst auf den Spuren Arnold Böcklins, verkehrte im Kreis um Stefan George und baute Künstlervillen in der Toskana. In der ehemaligen grünen Peripherie Roms hat er den romantisch-mystischen Blick auf Italien kondensiert und eine böcklinsche, symbolistisch überformte Villenanlage geschaffen. Ausgehend vom vernachlässigten Parkgrundstück auf dem nur noch ein paar zerzauste Baumreihen standen, hat Zürcher aus Resten originaler Bauteile und Antiken eine italienische Kulissenwelt arrangiert, die die Kürze des einjährigen Romaufenthalts der Stipendiaten aus dem Norden durch Intensivierung der Eindrücke wettmachen zu wollen scheint. Heute sind ein paar der aberwitzigen Details aus sicherheitstechnischen Gründen rückgebaut, aber ursprünglich kombinierte Zürcher die antiken Spolien zu surrealen collages zusammen, indem er zum Beispiel eine Sitzstatue auf eine monumentale Säule setzte. Garten und Villa formen damit ein fast metaphysisches Ensemble bestehend aus Arkaden, Säulen, Skulpturen, künstlichen Tempelruinen und menschenleerer Idealarchitektur, die sich in multiperspektivische Wege- und Heckenarrangements fügt, ein Ensemble welches wie De Chiricos zeitgleiche traumähnliche Stadtansichten gelesen werden kann und verwundert.
Fern des kaiserlichen und des päpstlichen Roms, aber auch abseits der Adelspaläste, gelegen zwischen klein- bzw. großbürgerlichen Wohnvierteln, zeugt auch die städtische Lage der Villa Massimo von der Neuverortung der Kunst und ihres Marktes um die Jahrhundertwende. Die veränderten Bedingungen der künstlerischen Produktion nehmen auch die im Rücken zum Vorplatz der Villa, hinter Hecken und Brunnenanlagen verborgenen funktionalen Wohnateliers voraus. Der langhingezogene Gebäudeflügel gleicht einer industriellen Produktionslinie, die dem/der Einzelnen viel Platz, aber den seriell, bietet. Vielleicht fußte diese Gestaltung nicht nur auf funktionalen Überlegungen, sondern auch noch auf der Idee einer gemeinsamen künstlerischen Suche und gegenseitigem Ansporn. Jener Eindruck, der im Widerspruch zur kreativen Einsamkeit und Individualität steht, wurde in der Vergangenheit schon als störend empfunden, es könnte aber sein, dass er mittlerweile wieder einem neugefassten Kollektivgedanken entgegenkommt.
Die Villa Massimo offeriert in ihrer dualen Anlage, Atelier und Villa, den Bereichen für das „negotium“ und das „otium“, einen idealen künstlerischen Arbeits- und Inspirationsraum. Als Ort der freien Reflexion und Kreation entspricht sie noch heute den aufklärerisch-philanthropischen Intentionen des jüdischen Stifterehepaars Eduard und Johanna Arnhold.
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