Als ich einmal den Ofen nach einem Brand öffnete, kam es mir vor wie in den Technikraum einer Zeitmaschine zu blicken. Weder Vergangenheit noch Zukunft waren dort erlaubt. Die Steine schlummerten. Plötzlich öffnete sich der Raum nach hinten und ich blickte in die Weiten der Ewigkeit. Die Steine setzten sich in Bewegung oder sie waren es immer schon, das konnte ich nicht mehr genau sagen.
Der Brennprozess zieht sich über Wochen hin, von der Beschaffung und dem Spalten des Holzes, dem Vorbereiten und Einrichten des Ofens, dem Brennen selbst, dem Abkühlen bis hin zum Ausräumen. Im Winter, wenn die Bäume gefällt werden, kaufe ich Stämme und Äste an, die nicht als Bauholz geeignet sind. Diese müssen dann nach Holzart sortiert, geschnitten und in kleine Stücke gespalten werden, eine körperlich sehr anstrengende Arbeit, die sich in Etappen über das ganze Jahr verteilt. Für einen Brand benötige ich ungefähr 6 Ster (geschichteter, gespaltener Raummeter) Holz. Auch die Arbeit mit Ton ist sehr körperlich. Übt die Hand Druck auf den Ton aus, so weicht dieser zurück. Er reagiert auf meinen Körper und folgt meinen Bewegungen. Bin ich hastig ist er es auch. Bin ich ungeduldig ist er kurz. Die meisten meiner Tonkörper sind hohl. Meine Hände befinden sich beim Aufbauen innerhalb und außerhalb der Form. Ich baue also gleichzeitig um mich herum und aus mir heraus. So ist jede Keramik auch in gewisser Weise eine Art Negativform meines Körpers. Ton ist sehr träge und verfügt über besondere statische Eigenschaften. Sobald er gebrannt ist, verändert er seine Charakteristik. Drücke ich nun gegen die gebrannte Keramik, ist es mein Körper der zurückweicht. An einer Bruchstelle kann er sogar messerscharf werden, denn nun hat er seine Trägheit gegen Eifer getauscht.
Durch das Brennen verclustert sich die tönerne Materie, die über Millionen von Jahren mühsam durch Bewegung und Zeit aus Stein zu feinstem Staub zermahlen wurde. Das Wasser entweicht und der Zwischenraum zwischen den Teilchen wird kleiner. Plötzlich bildet sie ein neues Konglomerat. Es erhält eine Form und eine Zeitspanne. Diese ist mir aber nicht bekannt. Es scheint, als trügen die feinen Teile des Tons das gesamt Weltall in sich. Materie die sich für eine Zeit zu einer Form zusammenfindet, eine Zeit die länger ist als das, was wir unter Zeit verstehen können. Eine Form die irgendwann wieder in feinste Teile zerfällt. Meine Keramiken bezeichne ich daher gern als Steine. Sie sind ihrem Charakter nach Steinen am ähnlichsten. Manchmal ähneln sie auch Organen und menschlichen Körperteilen, damit kommen sie auch uns nahe. Kommen wir auch Steinen nahe?
Ich versuche, wo auch immer ich bin, Ton auszugraben und mitzunehmen. Daher transportiere ich in meinem Auto immer einen Spaten und einige Säcke. Für uns sind es Erden aus Griechenland, Italien oder Ostdeutschland, für die Erde jedoch ist es nur ihre Erde. Vor kurzem habe ich ganz in der Nähe meines Wohnortes im Wald einen Ton gefunden, der für meinen Temperaturbereich, in dem ich brenne, keine Formbeständigkeit hat, denn er beginnt bei 1200° C zu schmelzen. Jedoch konnte ich feststellen, dass er zu einem seltsamen Schwarz mit bläulich, weißlichen Mustern ausläuft, was ihn im Vergleich zu anderen Tonen besonders macht. Auf einer meiner großen Keramiken in der Ausstellung ist dieser geschmolzene Ton zu finden. Ein Experiment, dem ich weiter nachgehen möchte.
Sind die unglasierten Stücke alle im Ofen platziert, was bei meinem Ofen auf Grund seiner Größe nur kniend möglich ist und ein bis zwei Tage dauert, wird er zugemauert. Am darauffolgenden Tag in den frühen Morgenstunden kann ich dann das Feuer entzünden. Die ersten Stunden vergehen sehr langsam und die Temperatur darf nur gering ansteigen. Meist nutzte ich die Zeit, um zu ruhen oder zu schlafen. Nach zwölf Stunden habe ich ca. 300°C erreicht. Nun ist das Feuer schon lebhaft und fordert mehr Aufmerksamkeit. Mit steigender Temperatur wird die Arbeit intensiver. In der ersten Nacht versuche ich immer wieder zwischen den Heizphasen 5-10-minütige Powernaps einzulegen. Diese Nächte können sehr lang sein und manchmal auch sehr einsam. In den Morgenstunden des darauffolgenden Tages ist ein Ruhen bereits nicht mehr möglich, da das Nachheizen nun die volle Aufmerksamkeit und ständige Überwachung fordert. Nun ist die Temperatur bei 600-800°C angekommen. Meine Kräfte sind schon ziemlich erschöpft und ich bekomme eine Schichtablösung und kann mich für ein paar Stunden zum Schlafen hinlegen.
Es ist ein wenig wie beim Segeln, man kann das Boot nicht einfach verlassen, egal was kommt. Ich habe Schneestürme erlebt und heftige Gewitter, Hitzewellen oder Dauerregen. Alles, was passiert, hat einen Einfluss auf den Verlauf des Brandes. Jeder Brand ist daher einzigartig und nicht zu wiederholen. Als würden durch das Feuer die Geschehnisse und die Zeit auf den Keramiken dokumentiert, ähnlich den Jahresringen eines Baumes.
Das Arbeiten mit Ton steht direkt in Kontakt mit meinem Körper wie auch das Malen meiner Gemälde direkt mit meinem Körper in Verbindung steht. Beides veranlasst mich über diese Beziehung nachzudenken. In welcher Beziehung in welcher Organisation steht mein Körper, stehen unser Körper mit anderen Körpern? In welcher Beziehung stehen wir mit der Welt. Die letzten Jahre haben uns gezeigt, wie anfällig wir als einzelne Individuen aber auch als Gesellschaft sind. Eine kleine Veränderung im System kann enorme Folgen mit sich bringen, die plötzlich so viel verändern und uns auch zur Veränderung aufrufen. Ein bekannter Gehirnforscher hat mal gesagt, das Gehirn will sich nicht verändern - es will, wenn es sich einmal gemütlich eingerichtet hat, träge in seiner Flüssigkeit verharren und möglichst nicht gestört werden. Angesichts der globalen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, frage ich mich, welche Transformationen nötig sind, um uns aus der Trägheit zu lösen? Oder würde das im Widerspruch zum menschlichen Verhalten stehen?
Bei circa 850°C sind alle Transformationsprozesse im Ton abgeschlossen. Es fanden die molekularen Veränderungen von Quarz und Cristobalit statt und er hat seinen Zustand verändert. Bis Mittag konnte ich ein paar Stunden schlafen und kehre nun zum Ofen zurück, um wieder das Feuern zu übernehmen. Mit jedem Heizzyklus steigt die Temperatur. Nach circa. 30 Stunden bin ich jetzt schon bei über 1000°C angelangt. Die Asche des verbrannten Holzes, die sich während der letzten eineinhalb Tage auf den Keramiken niederlegte, beginnt ab circa 1150°C klebrig zu werden und zu schmelzen. Ton und Asche erzeugen unter der Brandführung somit langsam die Farbe und Textur der Oberfläche. Die Temperatur pendelt nun für die nächsten Stunden zwischen 1200°C - 1330°C und die Asche beginnt langsam an manchen Stellen wie Honig herunterzulaufen. Jedes Mal, wenn ich die Ofentür öffne, um Holz einzuwerfen, kommt mir eine enorme Hitze entgegen. Manchmal werfen wir zu zweit eine große Menge Holz in den Ofen und es zischt, als würde man Wasser in heißes Fett schütten. Aus dem Kamin ragt nun eine 2-3 Meter hohe Flamme, die sich langsam in einen rot glühenden Zwergenhut verwandelt.
Über zwei Spiegel kann ich aus meiner Position am Ofen den Kamin und die herausragende Flamme überwachen, die mir Auskunft über das Feuer und den Heizzyklus gibt. Es finden sogenannte Oxidationen und Reduktionen statt, auf die ich durch die Brandführung etwas Einfluss nehmen kann. Andere Faktoren hingegen, die sich ebenfalls auf den Brand auswirken, wie Wind, Wetter, Feuchtigkeit etc. kann ich natürlich nicht beeinflussen. Die Vorstellung, mit der ich das Objekt vor dem Brand in den Ofen gebe, die Vorstellung, wie was werden sollte oder könnte, die man immer irgendwie hat, muss ich lernen komplett aufzugeben. Einige Parameter lassen sich wie gesagt steuern, doch das Zusammenspiel aller Faktoren ist viel zu komplex, um vorhersagen zu können, was genau passieren wird. Das wirkt sehr anachronistisch zu Technologien, die wir heute kennen, die sehr präzise ein vorgestelltes Ergebnis produzieren. Oder Apps und Gadgets unserer Zeit, die meist dazu dienen, mehr gefühlte Kontrolle über unser Leben und Tun zu erlangen.
Das Zusammenspiel meiner Brandführung mit den äußeren Faktoren und den Eigenheiten des Feuers erzeugt ein Ergebnis, bei dem die Ungewissheit des Ausgangs von Anfang an Präsenz hat. Ich muss daher Vertrauen in mein Handeln haben, auch wenn mir manchmal Angst und Bange ist angesichts der hohen Temperaturen. Mir scheint, als gäbe es dort mehr zu finden als nur ein Brandergebnis und die Performance des Brandes. Das Feuer rührt tiefer an. Die Keramik und das gesamte Ofeninnere glühen nun im weißlichen Gelb und mit bloßem Auge ist man davon komplett geblendet. Aus einiger Entfernung oder mithilfe einer Schweißerbrille kann ich jedoch für ein paar Sekunden, die mir zwischen den Heizzyklen bleiben, hineinsehen in den Ofen. Man blickt in eine komplett andere Welt. Ganz anders als man erwarten würde, ziehen die Flammen langsam zwischen den glühenden Keramiken hindurch und es herrscht der Eindruck totalen Friedens und unendlicher Ruhe. Der Eindruck erweckt etwas Pränatales, etwas aus einer Erinnerungszeit für das man kein kognitives Bewusstsein besitzt. Eine Rückführung in eine Zeit vor der Zeit.
Es kommt der Zeitpunkt, an dem ich entscheide, den Brand zu beenden. Ich versuche, anhand des glänzenden Schmelzes der Oberfläche sowie den Tropf- und Laufspuren die Entwicklung zu erkennen. Je nach dem entscheide ich, wann es genug ist. Manchmal kommt die Entscheidung schon nach 40 Stunden, manchmal waren es über 60 Stunden. Nicht selten gibt mir meine Erschöpfung das Signal, den Brand zu beenden. Dann werden alle Öffnung am Ofen verschlossen und das Feuer im Inneren erlischt und plötzlich, nachdem die letzten Tage das Knistern und Brutzeln des Feuers mich ständig umhüllte, herrscht völlige Stille. Das Abkühlen des Ofens dauert weitere Tage, ehe ich die zugemauerte Öffnung aufbrechen und den ersten Blick hinein wagen kann. Die Steine schlummern, plötzlich öffnet sich der Raum nach hinten und ich blicke in die Weiten der Ewigkeit. Die Steine setzen sich in Bewegung oder sie sind es immer schon, das kann ich nicht mehr genau sagen.
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