Von Beuys lernen? Ökologie und künstlerische Nachhaltigkeit 17. September 2021 — Dauer 6 Minuten

„Die ökologische Krise“, schreibt Beuys in der Zeit des Kalten Krieges und eines geteilten Deutschlands, sei im „staatskapitalistischen“ Osten und „privatkapitalistischen“ Westen ähnlich gelagert. Eine Alternative, die beiden zerstörerischen Systemen Paroli bietet, müsse her. Als Antithese zu Margaret Thatchers Diktum „There is no alternative“ zeigte Beuys auf, dass es eine Vielzahl an konkreten und gelebten Alternativen gibt. Die Kunst war für Beuys ein zentraler Ort und Motor, um jene Alternativen zu entwerfen, zu diskutieren und letztlich auch umzusetzen. Ökologie, Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind dabei kein Nebenschauplatz in Beuys’ umfassendem Schaffen und seiner politischen Tätigkeit. Dass Beuys etwa als Wegbegleiter und Wegbereiter der Grünen gilt, zeigte sich im „Aufruf zur Alternative“, einem Pamphlet von 1978. Darin plädierte er für einen Gesellschaftsentwurf, der sich vom Kapitalismus als auch vom Kommunismus abwendet. Wenngleich der Künstler zu diesem Zeitpunkt international bekannt war, aber nur ein einziges Mal für eine Ausstellung und eine Aktion in die DDR kam – 1981 in die Ständige Vertretung in Ost-Berlin –, wirkte Beuys’ Kunst und seine gesellschaftspolitischen Forderungen auch in Künstler- und Intellektuellenkreise der DDR hinein.

Neben der Energie- und Verkehrswende ist die dezidiert antikapitalistische Forderung nach einem Systemwechsel Angelpunkt basisdemokratischer Bewegungen der Gegenwart. So etwa die bildstarke Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion, der Anti-Kohlekraft-Aktivismus von Ende Gelände oder die Jugendklimabewegung Fridays for Future. Zu den Grünen hingegen pflegen weite Teile der Aktivist*innen ein ambivalentes Verhältnis. Die altgediente Partei, die ihrerseits aus Protestbewegungen entstand, habe ihr radikales Potential verloren, ihr seien tatsächliche Forderungen und die soziale Imaginationskraft verloren gegangen, so eine Lesart des Disputs. Kurzum: Sie sei in der Realpolitik – dem politischen Tagesgeschäft abseits revolutionärer Ideen – aufgegangen.

Wir streiken, bis ihr handelt, Fridays For Future-Demonstration in Dresden, 15. März 2019.

Das Streben nach gesellschaftlich-politischen Alternativen, Umweltschutz und Kritik an der Atomkraft waren treibende Kräfte der Umweltbewegungen der 1970er Jahre. Joseph Beuys’ „Aufruf“ von 1978 muss insbesondere auch vor diesem Hintergrund gelesen werden. Die damaligen Bewegungen hingegen verfestigten sich in den 1970er und 1980er Jahren, sie verknöcherten in Parteistrukturen. Die heutigen Grünen, die Anfang der 1990er aus einer Fusion der westdeutschen Partei und des ostdeutschen Bündnis 90 entstanden, erscheinen jüngeren Bewegungen heute mitunter eher als Dinosaurier der Anti-Atomkraft-Zeit und oppositionellen Bürgerrechtsbewegungen der Wendezeit, denn als potente Verbündete im zukunftsgerichteten #systemchangenotclimatechange.

Change the system not the climate, Fridays For Future-Demonstration in Dresden, 15. März 2019.

Gegenwärtige Bewegungen wie Fridays for Future bauen zwar auf lokale, nationale und internationale Teams und Steuergruppen. In basisdemokratischen Klimabewegungen, die oft bewusst keinen Vorstand und keine offiziellen Sprecher*innen oder Repräsentant*innen ausgewählt haben, wird jedoch personenzentrierte Berichterstattung reflektiert und problematisiert. So stehen Dezentralität und ein misstrauischer Umgang mit Leadership dem Personenkult eines Joseph Beuys nahezu diametral entgegen.

Beuys war für streitbare Auftritte und strittige Ansagen berüchtigt. Während Kritiker*innen seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus gemahnten, sahen die „Beuysianer“ in ihm den charismatischen Sozialreformer. Für kurze Zeit schlüpfte Beuys sogar selbst in die Rolle eines Politikers – oder zumindest eines Kandidaten. Bekannt ist auch ein Plakatentwurf, der ein beliebtes Beuys-Motiv zeigt und von seinem Schüler Johannes Stüttgen ausgeführt wurde. Auf dem Plakat mit einem Hasen und einem Spielzeugsoldaten ist zu lesen: „bei dieser Wahl: die GRÜNEN“. Dies zeigte Beuys‘ Bestreben, auch visuell Anteil an Parteipolitik zu haben und seine künstlerischen Mittel für sie zu verwenden. Für Beuys hatte Kunst eben nicht nur die Funktion, Gespräche zu initiieren und Alternativen zu diskutieren, sondern auch „Bildwirkung“. So etwa „Aktionen in den Straßen“ oder das Plakat, das indes nie zum Einsatz kam. Letztlich blieben Beuys’ parteipolitische Aspirationen erfolglos und der Künstler zog sich aus der Politik zurück.

Beuys verstand es, Kunstinstitutionen für seine gesellschaftlichen Visionen zu nutzen. Die gewichtige Großausstellung documenta 5 (1972) etwa diente als Plattform für sein Informationsbüro der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Im Kasseler Museum Fridercianum war Beuys’ Informationsbüro in unmittelbarer Nähe zum tatsächlichen Infoschalter gelegen. Der Künstler verlegte gleichsam sein Büro an der Kunstakademie Düsseldorf in die Räumlichkeiten der Kunstaustellung und empfing über einhundert Tage lang Besucher*innen zum Gespräch. Lokale und internationale Debatten fanden damals ihren Widerhall in Beuys’ Projekt, das symbolisch-künstlerische Utopien und konkret-gesellschaftliche Vorschläge zur Debatte stellte.

Dabei stellte Beuys auch die Vision einer Freien Internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung vor, die später zur Free International University werden sollte. Insbesondere nach den Studierendenbewegungen um 1968 war Beuys’ Idee einer alternativen Bildungseinrichtung von seinem Unmut über die Hochschulpolitik der Kunstakademie Düsseldorf geprägt. Mit deren reaktionären Strukturen lag Beuys seit seiner Ernennung zum Professor zu Beginn der 1960er Jahre im Clinch, insbesondere da er seine Klasse für alle Interessent*innen öffnen und Aufnahmequoten aufheben wollte, was 1972 sogar zu seiner vorrübergehenden Entlassung führte.

Am Beispiel des Großprojekts 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung zeigte sich Beuys’ künstlerischer Umweltaktivismus und sein ökologisches Denken wohl am deutlichsten. Die 7000 Eichen, die er 1982 in Kassel pflanzen ließ, können dabei auf doppelte Weise als nachhaltiges Kunstprojekt verstanden werden: Einerseits mobilisierte Beuys gegen die Betonwüsten, die Stadtplaner im Nachkriegsdeutschland als autofreundliches Zukunftsmodell propagierten. Andererseits stellte das Projekt die Frage nach künstlerischer Nachhaltigkeit und organisatorischen Lösungen, die ein Wirken für die Gesellschaft über die Lebenszeit des Künstlers hinaus ermöglichen. Als Kunstwerk im öffentlichen Raum wurde das Projekt erst nach Beuys’ Tod ganz realisiert und bis heute kümmert sich ein Verein um den Erhalt. Die Free International University koordinierte das Projekt, das maßgeblich auf Spenden angewiesen war.

Beuys’ Universität, juristisch gesehen ein eingetragener Verein, fungierte als eine alternative Hochschule, die zugleich ein Ort der Forschung sein und dabei konkrete gesellschaftliche Funktionen erfüllen sollte. Beuys stellte sich keine tatsächliche Schule oder Universität mitsamt Klassenräumen und Lehrpersonal vor. Er war eher an einer netzwerkartigen Struktur, die sich über Europa hinweg verbreiten sollte, interessiert. Mehr noch, Beuys strebte eine „international ausgebreitete“ Organisation an. Heute würde man wohl von einem Think-Tank sprechen.

Ziel der Free International University war es, eine Organisation für Forschung und Kommunikation zu errichten, neue Zukunftsvisionen zu entwerfen, und gleichzeitig einen Platz im Bildungssystem einzunehmen. Zwar blieb die Einrichtung längerfristig ohne einen festen Ort und wurde Ende der 1980er Jahre offiziell aufgelöst. Sie besteht jedoch in einer Vielzahl an vernetzten und zugleich lokal verankerten künstlerischen Projekten fort – wie etwa The Silent University des Künstlers Ahmet Öğüt, politischen Initiativen, einem Free International University–Verlag sowie in Niederlassungen in Amsterdam und deutschen Städten. Gleichfalls wirkt die Idee der ausgebreiteten Struktur jener internationalen Vereinigung in die Gegenwart hinein, wenngleich basisdemokratisch-dezentrale Gruppierungen wie Fridays for Future heute nuanciertere Vorstellungen von Leadership, Personenkult und Aktivismus bevorzugen – nicht zuletzt auch unter den sich verändernden demographischen Bedingungen einer postmigrantischen Gesellschaft und anhaltender, multipler globaler Krisen.