In seinem Werk mit dem Titel 12 Uhr zeigt Eberhard Havekost ein unscheinbares Zimmer. Der Boden ist mit Beuteln übersäht und eine Digitaluhr – sie zeigt 12:00 Uhr an – steht auf dem Tisch. Der enge Bildausschnitt und der ungewöhnliche Blickwinkel erschweren es, einen Überblick über den Raum zu bekommen; man ist sozusagen eingegrenzt. Auf den ersten Blick kann man sich leicht vorstellen, dass die Digitaluhr für das tatsächliche Verstreichen der Zeit steht, gemessen in Stunden und Minuten. Havekost scheint die Melancholie eines gerade verpassten Moments einzufangen, im atmosphärischen Sinne des Gewesenen. Scheinbar von demselben, zugegebenermaßen langweiligen Zimmer hat der Künstler eine zweite Aufnahme gemacht, die denselben Haufen aus Beuteln zeigt, jedoch aus einem leicht veränderten Blickwinkel, was eine andere Sichtweise auf dasselbe suggeriert. Mit dem Titel 14 Uhr macht Havekost deutlich, dass diese Aufnahme einen anderen Moment darstellt. Als er später (waren es zwei Stunden, oder vielleicht eine Woche, ein Monat?) an denselben Ort zurückkehrte, war dort aber scheinbar nichts passiert. Die Beutel lagen immer noch auf dem Boden. Haben wir es hier mit entsetzlicher Monotonie zu tun und werden nur von dem Eindruck eingelullt, dass die zwei Arbeiten eine Wiederholung derselben Sache sind oder sollten wir aufgeschlossen bleiben?
Die zwei Drucke, die auf digital bearbeiteten Fotografien basieren, schuf Havekost 2005 und sie erinnern mich an einen Gedanken, der sich in einer Schrift des Philosophen Søren Kierkegaard findet, in seinem Buch Die Wiederholung von 1843. Unter dem Namen Constantin Constantius versucht Kierkegaard hier, eine Liebesbeziehung noch einmal zu durchleben, die immer schon verloren war. Seine Suche nach Wiederholung ist zwanghaft, sie treibt ihn dazu an, immer wieder zurückzugehen, um etwas wiederzuerlangen. Er geht zurück in dasselbe Theater, sieht sich dieselbe Aufführung an, sitzt im selben Sessel, bewundert dieselben Schauspieler, hört dieselben Witze, etc. Doch nichts läuft wie geplant: Er versucht, seine früheren Erlebnisse zu wiederholen, nur um festzustellen, dass er zwar an denselben Ort zurückkehren und die materiellen Voraussetzungen nachstellen, aber nicht zu seinen früheren Wahrnehmungen und Gefühlen zurückkehren kann. So schreibt Constantius (Kierkegaards literarisches Ich): „Als dies sich einige Tage wiederholt hatte, wurde ich so verbittert, so satt der Wiederholung, daß ich beschloß, wieder nach Hause zu reisen. Meine Entdeckung war nicht bedeutend, und doch war sie bemerkenswert; denn ich hatte entdeckt, daß es überhaupt keine Wiederholung gab, und dessen hatte ich mir vergewissert, indem ich dies auf alle möglichen Weisen wiederholte.“1
Wie hängen Kierkegaards Gedanken über die Unmöglichkeit der Wiederholung mit Havekosts Bildern eines Zimmers um 12 und 14 Uhr zusammen? Eine zwanghafte Struktur der Wiederholung findet sich auch bei Havekost: Eines der Hauptanliegen seiner gesamten Laufbahn war die Wiederholung einiger weniger Motive – Gesichter, Fassaden von Häuserblocks, Wohnwagen –, denen wir tagtäglich begegnen. In vielen seiner Werke spielt er mit Variationen desselben Motivs aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Ausschnitten. Die Verwendung der Wiederholung ist eine verbreitete künstlerische Praxis. Sie kann neue Blickwinkel bieten, neue Anordnungen, die Möglichkeit, sich von derselben Sache anders berühren zu lassen. Dies trifft auch auf 12 Uhr und 14 Uhr zu, doch hier ist die Wiederholung nicht nur formal, sie ist eine Kategorie der Zeit.
Trotz aller Bemühungen um die Wiederholung, war für Kierkegaard/Constantius das einzige, was sich wiederholte die Erfahrung, dass diese unerreichbar ist; übrig blieb ihm das unbefriedigte Verlangen nach einer Wiederholung. Sein wiederholtes Zurückkehren ist aber nicht nur von der Unmöglichkeit einer exakten Repetition gekennzeichnet, sondern ebenso von den vielen noch bestehenden Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Fühlens. Etwas wiederholen bedeutet neue Gefühle, neue Variation zuzulassen. Kierkegaard geht immer wieder zurück, doch sein Erleben ist jedes Mal ein anderes, das Jetzt ist immer wieder ein neues. Auch Havekost scheint nicht an Wiederholung geglaubt zu haben, selbst wenn er immer wieder zu den gleichen Motiven zurückgekehrt ist. 2004 sagte er in einem Interview mit Sven Drühl, “nur so kann ich sehen, was sich in meinem Blick auf die Dinge verändert hat“.2 Durch die Wiederholung, so könnte man sagen, verändert sich im Lauf der Zeit die Bedeutung.
12 Uhr und 14 Uhr bieten zwei Perspektiven, doch eine Veränderung lässt sich kaum erkennen: Wir sehen dieselbe Szene, nur zu unterschiedlichen Zeiten und aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Weil nichts passiert, wirkt die Zeit fast wie eine Last. Doch konstituiert nicht genau das einen Fall von Wiederholung und weckt dieser etwa nicht eine Sehnsucht nach Veränderung, nach etwas Neuem? Bei der Betrachtung von Havekosts Bildern wünsche ich mir, einer immerwährenden Gleichförmigkeit zu entkommen. Zeigt uns Havekost, dass, anders als bei Kierkegaard, Wiederholung doch möglich ist und noch dazu unheimlich? Oder behält Kierkegaard recht, weil uns 12 Uhr und 14 Uhr durch die Wiederholung eine neue Perspektive auf die Zeit eröffnen: Die zwei vergangenen Stunden müssen von uns mit Sinn gefüllt werden.
[Übersetzt aus dem Englischen: Kennedy-Unglaub]
1 Søren Kierkegaard: Die Wiederholung. Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin, Übersetzung Liselotte Richter, Hamburg 1991, 42.
2 Eberhard Havekost: „Intime Momente, aber auch Landschaften, Hausansichten, Müllhalden, Innenräume, Menschen aus Zeitschriften und Magazinen, Stars, Segelflugzeuge, Wohnwagen“. Ein Gespräch mit Sven Drühl, Kunstforum International 170 (2004), S. 218–227, hier S. 227.
Dieser Text ist Teil der Ausstellung „Zeitgefühle. Erfahrungen von Temporalität“ (9.12.2022-27.2.2023), die von Jane Boddy und Michael Griff kuratiert wurde.
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