Beitrag von Andrea-Vicky Amankwaa-Birago
Building (B)ridges beyond the Portrait – Mapping Memories of Kwasi Boachi – Exit Frame![130]
Beitrag von Andrea-Vicky Amankwaa-Birago
Inhalt
1 Die Porträts von Kwasi Boachi und Kwame Poku
1.3 Kulturelle Verbindungen: Kwasi Boachi und Kwame Poku am niederländischen Hof
2 Biografie von Kwasi Boachi (1827–1904)
2.2 Erste Jahre in den Niederlanden.
2.5 Kwame Poku: Eine ambivalente Rückkehr zwischen kolonialem Einfluss und kultureller Isolation
2.7 Kwasi Boachi: Ein Leben voller Transformation und Engagement
3. Mapping Memories: Über die Möglichkeiten transkontinentaler Erinnerungsarbeit
Abstract
Schlüsselworte: Adel, Afrika, Aschantireich, Carl Christian Vogel von Vogelstein, Schwarzes Archiv, Erinnerungskultur, Ghana, Kwasi Boachi, Migration, Transkontinentale Verflechtungen
Die folgende essayistische Synthesearbeit nimmt zwei Porträts des Aschantiprinzen Kwasi Boachi (1827–1904) zum Anlass, sich mit dem Leben und Wirken dieses Schwarzen Adligen zu beschäftigen. Besonders im Fokus stehen dabei Boachis Beiträge zur Erinnerungskultur, die hier als Teil eines „royalen Narrativs“ gewürdigt werden: Aus seiner privilegierten sozialen Stellung heraus gelingt es ihm nicht nur auf vielfältigen Wegen zur Repräsentation des Aschantireiches innerhalb Europas beizutragen, sondern auch seine Erfahrungen und Ansichten z.B. zum Thema Sklavenhandel zu präsentieren. Durch seine Schriften und Aktivitäten wird deutlich, wie das Erbe des Aschantireiches in einem europäischen Kontext reflektiert und gewürdigt wird, wodurch er eine Brücke zwischen der afrikanischen und europäischen Erinnerungskultur schlägt. Somit kann Boachi als eine zentrale Figur in der Erinnerungskultur und im Schwarzen deutschen Archiv betrachtet werden. Indem die vorliegende Untersuchung dem Wirken Boachis folgt, kann sie darüber hinaus exemplarisch für die Möglichkeit transkontinentaler Erinnerungsarbeit stehen und somit Ansätze fördern, die historische Ereignisse multiperspektivisch und hinsichtlich ihrer Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Regionen der Welt betrachten. Damit richtet sich der vorliegende Text sowohl an ein kunsthistorisch als auch an ein erinnerungskulturell interessiertes Publikum, einschließlich jenen, die sich aktiv mit Fragen des Erinnerungskultur-Aktivismus und der Identitätspolitiken beschäftigen.
https://doi.org/10.58749/skd.voices.2025.AB-BBTP
1 Die Porträts von Kwasi Boachi und Kwame Poku [1]
Antonella B. Meloni in Zusammenarbeit mit Andrea-Vicky Amankwaa-Birago
Im Jahr 1849 erschuf der Maler und Porträtist Carl Christian Vogel von Vogelstein (1788–1868) das Porträt „Aquasi Boachi, Prinz von Aschantiland“. Es zeigt den Aschantiprinzen Kwasi Boachi im Alter von 21-22 Jahren, der bereits als Kind von seinem Vater, König Kwaku Dua I., gemeinsam mit seinem Cousin Kwame Poku aus seiner Heimat im heutigen Ghana nach Europa gesandt worden war. Nach Stationen in den Niederlanden lebte Boachi seit 1848 in Deutschland, wo er sich unter anderem mit europäischen Traditionen vertraut machte und eine Ausbildung erhielt.
Das Porträt befindet sich heute im Besitz des Stadt- und Bergbaumuseums Freiberg. Seit Juni 2023 ist es für sieben Jahre als Leihgabe in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und wird im Albertinum präsentiert. Es existiert außerdem ein weiteres Gemälde, das Boachi gemeinsam mit seinem Cousin Kwame Poku zeigt. Es stammt aus der Hand des niederländischen Malers Jacobus Ludovicus Cornet und entstand um 1837. Dieses Gemälde befindet sich heute im Rijksmuseum Boerhaave in Leiden. Die beiden Gemälde dienen als Ausgangspunkt dieses Textes, der sich mit der Darstellung afrikanischer Persönlichkeiten in der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt.
Im Folgenden werden diese beiden Porträts als Schlüssel zum Verständnis von Boachis persönlicher Entwicklung sowie der kulturellen Dynamiken seiner Zeit herangezogen. Ihre genaue Analyse ermöglicht es, sie über ihren abbildenden Charakter hinaus als visuelle Archive aufzufassen, die die Entwicklung von (Schwarzer) Identität im Spannungsfeld zwischen afrikanischen und europäischen Einflüssen dokumentieren. Relevant sind nicht nur europäisch geprägte Repräsentationsformen; vielmehr bieten die Bilder wertvolle Einblicke in ein transkontinentales geteiltes Archiv. Sie illustrieren, wie königliche Herkunft und kulturelles Prestige präsentiert und interpretiert wurden – sowohl in der Heimat der Aschanti als auch in Europa.
1.1 Das Porträt des Kwasi Boachi: Ein Spiegelbild politischer und persönlicher Identität im 19. Jahrhundert
Das Porträt „Bildnis des Aquasie Boachi, Prinz von Aschantiland“[2] von Carl Christian Vogel von Vogelstein, datiert auf das Jahr 1849, ist ein bemerkenswertes Zeugnis der künstlerischen Darstellung und der sozialen Umstände seiner Zeit. [siehe Abb. 2] Es entstand während Boachis Aufenthalt in den Jahren 1847–1850 im Königreich Sachsen in Dresden und Freiberg, wo er auf den Dresdner Hofmaler Carl Christian Vogel von Vogelstein traf.
Das Porträt zeigt Boachi als Halbfigur im Dreiviertelporträt vor einem Hintergrund, der in Gelb-, Orange- und Grüntönen gehalten ist. In der linken unteren Ecke ist das Gemälde von Vogel signiert, mit dem Datum und dem Zusatz „alla prima“[3] versehen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass es ohne Vorzeichnung in vermutlich einer Sitzung entstanden ist. Boachi ist modisch gekleidet und wird als Dandy präsentiert, mit eng geschnittenem schwarzen Jackett über weißem Hemd und weißer Weste mit einer auffälligen azurblauen Schleife, welche keck nach links und rechts absteht. Die Haare sind kurzgehalten ebenso wie sein Bart und Schnurrbart. Seine leicht geöffneten Lippen und sein in die Ferne gerichteter Blick wirken freundlich. Seine Erscheinung in der europäischen Mode strahlt Selbstbewusstsein aus, zeugt aber ebenso von der Integration Boachis in das westliche System. Eine erhaltene Daguerreotypie im Delfter Stadtarchiv aus den Jahren 1847–1849, also kurz vor seiner Ankunft im Königreich Sachsen, zeigt ihn in stilistisch ähnlicher Kleidung.
Diese Darstellung Boachis in europäischer Manier ist in doppelter Weise bemerkenswert. Einerseits sticht Vogels Porträt dadurch heraus, dass es im Kontext des Kanons der deutschen und niederländischen Kunst nicht den Darstellungen anderer Schwarzer Personen[4] dieser Zeit entspricht.[5] Seit Jahrhunderten wurden diese ausschließlich als Diener, Sklaven oder Randfiguren mit unklarer Identität dargestellt. In Posen, welche gebeugt, abgewandt oder nur von hinten zu sehen sind, dienten sie als Staffage und Zeichen europäischer Macht. Nur selten sind die Namen der dargestellten Schwarzen Personen überliefert, oftmals wurden rassistische Stereotype abgebildet, die entpersonalisiert wurden. Boachi, selbst mitten im System zwischen Europa und Afrika, zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten agierend, muss sich seiner Ausnahmesituation sehr bewusst gewesen sein. Auch er verkehrte in einer Gesellschaft, in der sich seit dem späten 18. Jahrhundert eine „Rassenlehre“ entwickelte: So finden sich beispielsweise in den Lebenserinnerungen von Carl Gustav Carus (1789–1869), einem Dresdener Arzt und Künstler, der sich der Rassenforschung verschrieben hatte und Afrikaner auf die unterste Stufe der Entwicklung stellte, Aufzeichnungen, die belegen, dass sich Boachi im Januar 1848 an einer von Carus ausgerichteten Abendgesellschaft einfand.
Boachi selbst sieht man auf dem Gemälde keinen seiner möglichen inneren Konflikte an. Überlieferte Briefe in den Dresdner, Leipziger und Münchner Archiven verweisen sogar auf eine Phase der Ruhe und Selbstfindung.[6] Und dennoch – so wurde deutlich – kann das Gemälde als visuelle Erzählung von Boachis komplexer Identität und seinem Lebensweg betrachtet werden, die sowohl von seinem adligen Erbe als auch von seinem Leben fernab seiner Heimat kündet. Es lädt dazu ein, über die Rolle der Porträtmalerei in der Konstruktion von Identität und Macht nachzudenken sowie die subtilen Wege, auf denen Kunst politische und soziale Realitäten widerspiegelt, weiter zu erforschen.
Anknüpfend daran kann der Dandy-Style von Kwasi Boachi als bewusste Auseinandersetzung Boachis mit seiner Sonderstellung gelesen werden: Die auffällige Schleife zeugt nicht nur äußerlich von einem gewissen Maß an Eleganz und Selbstbewusstsein. Sie verleiht dem Outfit auch eine gewisse Extravaganz und Individualität – Merkmale, die einer auf Verallgemeinerungen und Herabstufungen basierenden Rassenideologie entgegenstehen. In einer Epoche, in der Mode in erheblichem Maße der Darstellung von sozialem Status und politischem Bewusstsein diente, ist ferner davon auszugehen, dass Kwasi Boachi sein modisches Accessoire als Ausdruck Schwarzer Identität und Zugehörigkeit wie auch als eine strategische Form des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung und rassistische Diskriminierung nutzte. Dabei bezieht er sich auf den im 18. und 19. Jahrhundert populären „Schwarzen Dandyismus“[7], der in seiner Ausprägung im direkten Zusammenhang mit der amerikanischen Anti-Sklaverei-Bewegung steht: Die selbstbewusste Nutzung von Mode diente hier dazu, bestehende Machtstrukturen herauszufordern, die unterdrückende Stereotypisierung Schwarzer Menschen zu kritisieren und eine Gegenidentität zur dominanten Weißen Kultur und ihrer rassistischen Normen zu entwerfen. In einer Zeit, in der afrikanische Adlige in Europa selten dargestellt wurden, nutzte Boachi folglich sein Porträt, um seine kritische Haltung gegenüber kolonialen Machtstrukturen auszudrücken und sich in der interkulturellen Debatte zu positionieren. Seine Darstellung im europäischen Modestil ermöglichte es ihm, sowohl seine kulturelle Identität als auch sein Engagement gegen die Ungerechtigkeiten des Sklavenhandels sichtbar zu machen.
Diese Praxis, Kleidung als Ausdruck von Parteilichkeit zu nutzen, ist besonders bemerkenswert, wenn man sie mit der Symbolsprache der traditionellen Mode des Aschanti-Königshauses vergleicht. Im Aschantiland trugen Adelige oft Kleidungsstücke, die durch spezifische spirituelle Symbole und Trageweisen eine royale Haltung und Status ausdrückten. Kleidung war nicht nur ästhetisch bedeutsam, sondern Ausdruck der sozialen Hierarchie: Sie verwies auf die Machtverhältnisse innerhalb der aschantischen Gesellschaft und auf Verbindung zu den Ahnen. Die verwendeten Stoffe und die Art und Weise, wie sie getragen wurden, kommunizierten sowohl individuelle als auch kollektive Identitäten und politische Positionen. Auch mit Blick auf Boachis Herkunft und die ihm dadurch vertrauten traditionellen Praktiken der royalen Aschantikultur wird also die bewusst strategische Nutzung von Kleidung im Porträt Vogels durch den Porträtierten selbst wahrscheinlich.
Eine weitere Besonderheit des Porträts liegt in seinem leuchtenden Hintergrund. In der unteren linken Ecke findet sich eine grünblaue Fläche, welche nicht weiter definiert ist. Hinter der Figur selbst erscheinen die Farben wie ein Sonnenuntergang ohne räumliche Definition. Carl Christian Vogel von Vogelstein schuf zeitlebens hunderte Porträts verschiedenster Personen. Er verewigte Mitglieder des sächsischen Hofes ebenso wie Maler, Gelehrte oder Reisende. Ina Weinrautner, welche die Sammlung der Vogelschen Porträts im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden untersucht hat,[8] verweist auf die zahlreichen Nationalitäten, die sich allein in der Dresdner Sammlung erhalten haben. Unter den mehr als 600 Zeichnungen sind etwa ein Drittel der Porträtierten Menschen aus anderen Ländern. Vogels Darstellungen zeichnen sich dadurch aus, dass er geradezu eine kosmopolitische Sammlung wichtiger Köpfe aus den verschiedensten Nationen erstellte, unter denen sich neben Boachi und dessen Gemälde Personen aus Mexiko, dem Osmanischen Reich oder Java befinden. Bei letzterem handelt es sich um keinen anderen als den javanischen Prinzen und Maler Raden Saleh.[9] Dieser ist in Bezug auf das Porträt von Boachi auf zweierlei Weise interessant. Zum einen wurde auch er von Vogelstein porträtiert, zum anderen ist überliefert, dass Boachi und Saleh miteinander bekannt waren. Beide verkehrten in den Kreisen der Dresdner Mäzenatenfamilie Serre, in deren Häusern die künstlerische Elite ein- und ausging.[10] Unter den Gäst*innen finden sich Persönlichkeiten wie der Dichter und Schriftsteller Ludwig Tieck (1773–1853), das Komponisten-Ehepaar Robert (1810–1856) und Clara Schumann (1819–1896), der Komponist und Dirigent Carl Maria von Weber (1786–1826), der Komponist Franz Liszt (1811–1886), der Maler Ferdinand Oehme (1797–1855) und der Dichter Hans Christian Andersen (1805–1875). Der Aschantiprinz Kwasi Boachi wurde vermutlich durch den Javanischen Prinzen Raden Saleh bei den Serres eingeführt, die beiden kannten sich bereits aus Den Haag. Saleh hatte dort von der niederländischen Regierung den Auftrag erhalten, ein Dreifachporträt Boachis, seines Cousins Kwame Poku und des Generals Major Jan Verveer (1775–1838) zu fertigen. Das 1839 fertiggestellte Gemälde wurde durch die Niederländer ins Elmina Castle gebracht und sollte von dort an den Aschantihof nach Kumasi gesendet werden.[11] Sein Verbleib heute ist unbekannt. Saleh und Boachi trafen in ihren späteren Lebensjahren auf Java wieder aufeinander.
Die besondere Verbindung der beiden Männer und ihrer Biografien findet ihr künstlerisches Zeugnis in Vogels Ölporträt von Saleh.[12] Die Familie Serre hatte es gezielt als Gegenstück zu Boachis Porträt in Auftrag gegeben.[13] [siehe Abb. 3] Im Jahr 1848 ließen die Serres für Saleh außerdem einen Gartenkiosk in javanisch-orientalistischem Stil in Maxen bei Dresden bauen. In dieser sogenannten „Blauen Moschee“ hingen sich die Porträts von Boachi und Saleh gegenüber. Dies lässt annehmen, dass die Familie Serre das Porträt von Boachi entweder auch in Auftrag gegeben oder es zumindest von Vogel erworben hatte, bevor beide Gemälde 1862 aus dem Gartenkiosk gestohlen wurden. Überliefert hierzu ist ein Brief Friederike Serres an Hans Christian Andersen, in dem sie vom Einbruch und Diebstahl der beiden Gemälde berichtet.[14] Wie die Werke schließlich in den Besitz des Freiberger Stadt- und Bergbaumuseums und in österreichischen Privatbesitz gelangten, müsste weiter untersucht werden.
Salehs Porträt bietet einen bemerkenswerten Vergleich zu Boachis Porträt. Auch in diesem griff Vogel auf einen Hintergrund zurück, der einen leuchtenden Himmel in verschiedenen hellen Blautönen, Gelb und Orange zeigt. Im Vergleich mit seinen anderen Porträts in Öl stechen die beiden Werke durch ihre Hintergründe heraus. In Vogels Oevre finden sich kräftige und leuchtende Farben in der Regel in der Kleidung der (weißen) porträtierten Personen vor zurückhaltenden gedeckten Hintergründen oder wahlweise in Landschaften, welche er auch als Hintergründe verwendet.
Es ist durchaus denkbar, dass Vogel im Falle von Boachi und Saleh aufgrund der Nationalitäten und auch der Hauttöne seiner Modelle auf die romantischen Himmel zurückgriff. Mit Boachi als Schwarzer Person und Saleh als Person of Color bot sich eine neue Herausforderung für den Maler, nämlich eine Kontrastform zu finden, welche mit den Dargestellten harmoniert. Eine Darstellung Boachis auf einem dunklen bis schwarzen Hintergrund, wie man ihn sonst in Vogels Werk finden kann, scheint eine denkbar schlechte Lösung zu sein, um die Figur Boachis im Vordergrund so herausleuchten zu lassen, wie es bei einer weißen Person vor einem dunklen Hintergrund der Fall wäre. Die unterschiedliche Beleuchtung und Kontrastierung bei der Abbildung Schwarzer Personen oder People of Color ist ein Diskurs, der auch heute nicht an Aktualität verloren hat. In den vergangenen Jahren konnte medial verfolgt werden, dass Belichtungen und Filter, die in der Modefotografie angewandt werden, bei Aufnahmen Schwarzer Personen zu schlechteren Ergebnissen führen als dies bei weißen Modellen der Fall ist, was zu großer medialer Kritik führte.[15] Vogels Entscheidung für schmeichelhafte Hintergründe, die es ermöglichen Boachi und Saleh gut kontrastiert und abgesetzt in Szene zu setzen, kann also durchaus positiv zugunsten der Modelle aufgefasst werden. Von einem orientalistischen Motiv hingegen ist nicht auszugehen. Es konnten bis auf die Farbgebung des Hintergrundes keinerlei Differenzen zu europäischen Porträtierten festgestellt werden und auch Vogels schriftlicher Nachlass lässt keine rassistische Motivation zu. Im Gegenteil, Saleh wird in dunkelgrüner Jacke mit Stehkragen mit violettem Überwurf im Dreiviertelporträt und roter Mütze[16] anmutig dargestellt. Seine Züge sind fein ausgearbeitet und sein in die Ferne schweifender Blick lassen ihn selbstbewusst in Szene gesetzt wirken.
Vogels Porträts bieten somit in vielerlei Hinsicht Raum zur Diskussion.
1.2 Beschreibung des Doppelporträts von Kwasi Boachi und Kwame Poku: Ambivalente Repräsentation zwischen royalem Erbe und europäischer Rassenideologie
An dieser Stelle soll auf das zweite erhaltene Porträt Boachis eingegangen werden, das der Hand des niederländischen Malers und Zeichners Jacobus Ludovicus Cornet (1815–1882) entstammt. [siehe Abb. 4] Das Doppelporträt zeigt Boachi und seinen Cousin Kwame Poku im Alter von etwa zehn Jahren und entstand um 1837. Es gibt derzeit keine Belege dafür, dass die beiden Jungen für Cornet Modell standen. Die Umstände der Entstehung des Gemäldes sollten daher weiter erforscht werden.
Das Doppelporträt zeigt die beiden Jungen Kwasi und Kwame vor einer Landschaft, die aus einem großflächigen gelb-blauen Himmel sowie Palmen und einem kleinen Dorf im Hintergrund besteht; möglicherweise also ihre Heimat abbildet. Die Jungen werden in Kente-Kleidung dargestellt. Der Name „Kente“ stammt von „kɛntɛn“, was „Korb“ bedeutet und sich auf das gewebte Muster bezieht. Ursprünglich war Kente exklusiv dem Königshaus vorbehalten und hatte sakrale sowie soziale Funktionen.[17] Jeder König entwickelte mit ausgewählten Meisterwebern seiner Zeit je ein neues Design, was die enge Verbundenheit des Stoffes mit dem Königshaus und damit der Funktion des Stoffes als Zeichen des höchsten sozialen Status unterstreicht. Die Farben der Stoffe bergen verschiedene spirituelle Bedeutungen, beispielsweise steht Gelb für Heiligkeit und hohen Wert, Rot für starke politische und spirituelle Verbundenheit, Grün für Wachstum und Gesundheit, Schwarz für spirituelle Energie und die Ahnen, Orange für königliche Pracht und Reichtum.[18]
Es ist nicht eindeutig zuzuordnen, wer der beiden Jungen Kwame und wer Kwasi ist. Beide sind in einem Hüftporträt abgebildet, linkerer wird im Dreivierteilporträt dargestellt, während rechterer fast frontal zu sehen ist. Zwischen den Darstellungen beider Figuren herrscht eine deutlich wahrzunehmende Differenz. Die Kleidung des linken Jungen kann als wertvoller Kente-Stoff „Poa“[19] identifiziert werden. Seine prächtige Erscheinung wird zusätzlich betont durch umfangreichen Schmuck an Händen, Armen und Hals. Er hat den rechten Arm vor der Brust gekreuzt und hält mit der Hand die schwere Stofffalte des über der Schulter drapierten langen Gewandes fest. Der Gestus des Jungen, unterstützt durch einen ernsthaften Blick und üppigen Schmuck, inszeniert ihn als Herrscher und Repräsentanten des Aschantikönigshauses. Der Schmuck, der für Erwachsene untypisch ist, verleiht ihm den Status eines Erwachsenen und hebt ihn als möglichen zukünftigen Thronfolger hervor. [20]
Im Gegensatz zur strengen Darstellung des linken Jungen verhält sich die Figur auf der rechten Seite. Er steht zurückgesetzt hinter der linken Figur und wird von dieser teilweise bedeckt. Der Kente-Stoff auf dem Gemälde, der als „Ahwepan“[21] identifiziert wird, ist eine spezielle Variante und unterstreicht, dass jeder Stoff, den ein Aschanti aus dem Königshaus trug, individuell gefertigt wurde.[22] Das Muster ist einfach gehalten, was sich auch im Namen widerspiegelt: „pan“ bedeutet „leer“. [siehe Abb. 5 a und b] [23]
Verstärkt wird der schlichtere Eindruck durch die Art, das Gewand sehr einfach über den Hals geworfen zu haben. Hände und Arme sind nicht zu sehen. Die Halsketten wirken vergleichbar mit denen des linken Jungen und deuten ebenso auf eine royale Abstammung hin. Der rechte Junge wird im Gegensatz zum linken lächelnd und Zähne zeigend dargestellt. Es ist interessant, dass Cornet beide Jungen in realistischer Kente-Kleidung darstellt. Die Darstellung wirft die Frage auf, inwiefern die Kente-Stoffe und der Schmuck der Aschanti den Niederländern überliefert waren oder ob diese durch Handel in den Niederlanden verfügbar waren.[124] Die Repräsentation der traditionellen Stoffe der Aschanti in einem europäischen Porträt referiert sowohl auf die Migrationsgeschichte der Prinzen und ihrer Anwesenheit in Europa als auch auf die Transfers von Wissen und Waren durch die Kolonisierung der Niederländer und anderer europäischer Länder.
Es muss an dieser Stelle
weiterhin darauf eingegangen werden, dass Cornets Werk eine Ambivalenz in sich
trägt, die von den Verhältnissen zwischen den Niederländern als Kolonisatoren
im Verhältnis zum Aschantikönigreich bzw. den afrikanischen kolonisierten
Ländern und Königreichen geprägt ist. Zur Entstehungszeit des Gemäldes hatte
sich in Europa eine „Rassentheorie“ gefestigt, welche bereits 150 Jahre zuvor
vom französischen Reisenden und Arzt Francois Bernier (1620–1688) begründet
wurde. Die Weiterbeschäftigung mit dieser „Rassenlehre“ zur Mitte des 19.
Jahrhunderts spiegelt sich in der Person des Auftraggebers des Gemäldes, Jan
van der Hoeven, wider. Der Naturwissenschaftler und Arzt van der Hoeven (1800–1868)
befasste sich, ebenso wie der bereits benannte Carl Gustav Carus in Dresden,
mit den „Rassetheorien“ seiner Zeit und sammelte Skizzen und Fotografien mit
dem Schwerpunkt Schädel aus aller Welt. Aus seinem Bestand überliefert ist eine
Skizze, welche ebenfalls von Cornets Hand stammt und Kwasi Boachi und Kwame
Poku in einer Profilansicht einer einfachen Strichzeichnung zeigt. Hans Laurens
de Jonge vermutet, dass Van der Hoeven diese in seinen Vorlesungen zur
„Rassentheorie“ verwendet hat und die Profilskizze schließlich in seinem Buch
aus dem Jahr 1842[24] einfügt. Die Ambivalenz im Umgang mit
den Individuen Boachi und Poku, die sich darin zeigt, dass zum einen eine
Skizze der beiden Jungen zur Lehre von Rassetheorien verwendet wird, zum
anderen aber ein aufwendiges Ölgemälde für den persönlichen Gebrauch in Auftrag
gegeben wird, ist durch die unterschiedliche Darstellung der beiden Jungen auch
in Cornets Doppelporträt selbst lesbar. Während die linke Figur einer
europäischen Porträtdarstellung folgt, können bei der rechten Figur die
Einflüsse rassistischer Stereotypen festgestellt werden. Die fast frontale
Ansicht, das unordentlich liegende Gewand und die gezeigten Zähne stellen einen
starken Kontrast zur linken, ernsten Figur dar, die mit akkurat gefaltetem Gewand
in Herrschergeste dargestellt ist. In der europäischen Kunstgeschichte finden
sich zahlreiche Beispiele von Darstellungen Schwarzer Menschen mit sichtbaren
Zähnen und einem Lachen. Dies ist zum einen auf die rassistische Annahme
zurückzuführen, dass die großen voluminösen Lippen Schwarzer Menschen angeblich
ein Ausmaß erreichen, welche das Bedecken der Zähne erschweren, zum anderen
legte bereits Bernier den Vergleich zu den „elfenbeinfarbenen“ Zähnen Schwarzer
Menschen in seinen Rassebeschreibungen vor.[25] Das Lachen kann, wie auch in der
niederländischen Genremalerei des 17. und 18. Jahrhunderts gleichgesetzt werden
mit einer mangelnden Beherrschung der eigenen Affekte oder auch einer
suggerierten Dümmlichkeit. Der Gesamteindruck einer Figur, die nicht gut
geordnet ist, wird vor allem durch die Kleidung verstärkt. Das unsystematische
Aufliegen des Gewandes auf dem Nacken sowie die fehlende Faltung und das
vollständige Bedecken der Arme, als ob es sich um eine Decke handeln würde,
entsprechen nicht der Kleidungsetikette der Aschanti und würden von diesen als
Affront betrachtet werden. In vielerlei Hinsicht wird hier also die linke,
nicht stereotypisch dargestellte Figur zu einem Gegenstück zur sonst zu
findenden Darstellung Schwarzer Menschen, die dem Stereotyp der rechten Figur
entsprechen, weshalb sie umso bemerkenswerter ist. Offenbar bestand bei Cornet
eine Kenntnis darüber, wie der Kente-Stoff gefaltet wurde und er hat sich beim
linken Jungen für eine Darstellung im Dreiviertelporträt entschieden, welche
einer europäischen Darstellungstradition weißer Menschen folgt. Dies wirft
selbstverständlich die Frage auf, wieso sich für die zwei unterschiedlichen
Darstellungen entschieden wurde. Beide Jungen hatten königliche Abstammung und
kamen als Prinzen in den Niederlanden an. Der Titel des Bildes suggeriert in
der Reihenfolge, dass es sich bei der linken Person um Kwasi Boachi und der
rechten Person um Kwame Poku handelt. In der Realität der Erbfolge wäre Kwame
Poku allerdings in der Thronfolge vor Boachi gestanden, da die Aschanti einem
matrilinearen Entscheidungssystem folgen.[131] In den Niederlanden dürfte man der
Annahme gefolgt sein, dass die Thronfolge väterlicherseits bestimmt würde und
somit Boachi der Thronfolger sein müsste. Dies bestätigt sich auch durch die
Berichterstattung der Zeit, in der Kwame Poku kaum Beachtung gefunden hat.[26] Eine
weitere Fragestellung ergibt sich zur Entstehung des Gemäldes als Auftragswerk
selbst. Bekannt ist, dass Van der Hoeven es offenbar nicht für seine „Lehren“
verwendete, stellt sich die Frage, warum er es dennoch 1842 in seinem Werk „Beiträge zur natürlichen Geschichte des Negervolkstammes [27]“ gemeinsam mit den
publizierten Profilskizzen von Cornet erwähnt und hinzufügt, dass er dieses aus
Kostengründen des Druckes an dieser Stelle nicht abbildet: „Ich besitze von derselben
Hand auch ein Ölbild, das diese beiden Knaben en face darstellt, jedoch hielt
ich es für nicht nötig, eine Kopie anzufertigen, um die Kosten meiner Arbeit
nicht zu sehr zu erhöhen“.[28] Mit dem Verweis darauf, dass die
Skizzen der beiden Prinzen „vor fünf Jahren“[29] geschaffen wurden, lässt sich
Cornets Gemälde in seiner Entstehung also um 1837, dem Ankunftsjahr von Boachi
und Poku in den Niederlanden, verorten und wirft somit die Forschungsfrage zur
genauen Entstehungsgeschichte des Gemäldes auf. Dies ist auch in Hinblick auf
den Hintergrund des Gemäldes interessant. Denn die beiden Porträtierten sind
nicht nur in traditioneller höfischer Aschanti-Kleidung zu sehen, sie wurden
zudem vor einem ländlichen Hintergrund dargestellt, der eindeutig keiner
europäischen Landschaft ähnelt, sondern eine „afrikanische“ Landschaft
suggeriert. Übergroße Palmen im Hintergrund sowie eine kleine dörfliche
Siedlung im Grünen deuten an, dass Kwasi und Kwame sich noch in ihrer Heimat
Aschanti befinden. Der Großteil des Hintergrundes wird von einem leuchtenden
gelb-hellblauen Himmel bestimmt, der die Jungen besonders hervortreten lässt.
Eine Parallele, die an das Vogelsche Porträt Boachis erinnert, aber auch die
Assoziation des Malers Cornet mit dem südlichen Land Aschanti widerspiegeln
dürfte.
Obwohl die beiden Porträtierten zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes noch Kinder gewesen sind, ist davon auszugehen, dass sie mit den Bedeutungen der Stoffe und Farben sowie mit anderen kulturellen Symbolen und deren Bedeutungen vertraut waren. Das Aufwachsen in der Aschantikultur bedeutet unter anderem, dass Kinder im Alter von eins bis sieben Jahren (abofra) durch bildhafte und metaphorische Redewendungen frühzeitig moralische Lehren und gesellschaftliche Regeln lernen, die tief in der kulturellen Identität und den Traditionen der Akan-Gemeinschaft verwurzelt sind.[30] Als Nachkommen des Aschantihauses genossen die Prinzen darüber hinaus eine besondere privilegierte Einführung in kulturelle Normen, königliche Pflichten und gesellschaftliche Erwartungen und Gepflogenheiten. Darunter fällt auch das Teilen der ANANSE'SEM (Folklore), die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen.[31]
Ein wichtiges Symbol in diesen Erzählungen ist das Adinkra Symbol[32] Sankɔfa, das die Wichtigkeit betont, aus der Vergangenheit zu lernen. [siehe Abb. 6] In vielen Geschichten wird dieses Symbol durch Sprichwörter dargestellt, die lehren, wie bedeutsam es ist, aus früheren Erfahrungen zu lernen und das Wissen sowie die Traditionen der Vorfahren zu bewahren.
Ein bekanntes Akan-Sprichwort besagt: „Se wo were fi na wo Sankɔfa a yenkyi“. Übersetzt bedeutet dies: „Es ist kein Tabu, zurückzugehen und zu holen, was man vergessen hat". Die bildliche Darstellung von Sankɔfa zeigt einen mythischen Vogel, der seinen Kopf nach hinten gedreht hat, um ein Ei von seinem Rücken zu nehmen. Das Ei repräsentiert die „Schätze“ oder das Wissen der Vergangenheit, auf dem Weisheit basiert; es symbolisiert auch die kommende Generation, die von dieser Weisheit profitieren wird. Das Wort Sankɔfa[33] stammt aus der Akan-Sprache Twi und bedeutet wörtlich „zurückholen". Doch seine Bedeutung geht darüber hinaus. Sankɔfa ermutigt dazu, die eigene Geschichte und das Erbe zu kennen, um sich selbst und die Welt besser zu verstehen und zu verbessern. In diesem Sinne regt Sankɔfa die Rückbesinnung auf die Vergangenheit an, um eine starke und resiliente Zukunft aufzubauen.[132] Sie ist als eine Methodologie der Erinnerungspraxis zu verstehen, die oftmals performativ zum Ausdruck kommt. Das Tragen traditioneller Kleidung kann daher für die beiden Jungen eine solche Rückbesinnung im Sinne Sankɔfa bedeutet haben: Die Stoffe und ihre kulturellen Bedeutungen symbolisieren und manifestieren also nicht nur nach außen ihre adelige Herkunft, sondern erinnern sie auch im Inneren an die Werte und Lehren ihrer Kindheit und Heimat und lassen diese so zu einer handlungsleitenden Kraft für die Gestaltung ihres Lebenswegs werden.
1.3 Kulturelle Verbindungen: Kwasi Boachi und Kwame Poku am niederländischen Hof
Hier sei der Vollständigkeit halber ein weiteres Werk erwähnt, in dem die Prinzen Kwasi Boachi und Kwame Poku in höfischer Szenerie am niederländischen Hof zu sehen sind. Das Gemälde von Nicolaas Pieneman (1809–1860) aus dem Jahr 1840 zeigt die Vereidigungszeremonie von König Willem II. der Niederlande. [siehe Abb. 7] Die beiden Jungen sind in der Szene im Publikum platziert, was die kulturelle Verbindung zwischen dem europäischen Königshaus und den Aschanti betont. Ihre Anwesenheit symbolisiert den Austausch zwischen den Kulturen dieser Zeit und spiegelt ihre Identität sowie ihren Status in dieser festlichen Umgebung wider. So wird das Werk nicht nur zu einem Dokument der Zeremonie, sondern auch zu einem Zeugnis der komplexen Beziehungen zwischen Europa und Afrika. Im linken Bildbereich stehen Boachi und Poku als Zuschauer mitten unter den Höflingen. Das Gemälde befindet sich heute in den Königlichen Sammlungen in Den Haag und bietet einen weiteren Ansatz, die Biografien der beiden Prinzen weiter zu erkunden.
1.4 Momentaufnahmen des Wandels: Die Porträts von Poku und Boachi als Spiegel der aschantischen Identität in Europa
Mit den drei Gemälden, die als visuelle Zeugen in europäischen Sammlungen vorliegen, kann Kwasi Boachi eindeutig in der europäischen Geschichte verortet werden. Die drei Werke zeigen seine Anwesenheit als Individuum inmitten der Geschehnisse der niederländischen, deutschen und ghanaischen Geschichte und weisen darauf hin, wie komplex die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern waren. Boachi kann als Gelehrter, als Mann von Welt, als Prinz und als Höfling identifiziert werden. Die Ambivalenzen um die Entstehungen der Gemälde und auch die rassistischen Stereotype in der Darstellung Cornets können ein Ausgangspunkt dafür sein, das herausfordernde Umfeld Boachis infrage zu stellen und lassen erahnen, welchen Schwierigkeiten und welcher Zerrissenheit er sich gegenübergesehen haben muss. Im folgenden Teil, der sich detaillierter der Biografie von Kwasi Boachi widmet, wird dies noch weiter beleuchtet werden.
2 Biografie von Kwasi Boachi (1827–1904)
Die Porträts haben uns bereits einige Perspektiven auf die komplexen politischen und sozialen Verflechtungen eröffnet, die Boachis Leben prägten. Die Analyse seines Lebenswegs sollte aber nicht nur den Kontext seines dreijährigen Aufenthalts von 1847–1850 in Dresden berücksichtigen, sondern vielmehr auch die politische Situation in seiner Heimat, dem Aschantireich, sowie die Zusammenhänge mit der niederländischen Kolonialmacht und den damit verbundenen Verwicklungen in Niederländisch-Indien (heutiges Indonesien) einbeziehen.
Boachis Geschichte veranschaulicht die weitreichenden Auswirkungen der kolonialen Verträge auf seine individuelle Lebensgeschichte und die interkulturellen Beziehungen der Zeit. Sie bietet wertvolle Einsichten in die transnationalen Verbindungen sowie politischen Dynamiken der Migration von Menschen aus dem heutigen Ghana nach Deutschland und Europa und liefert dadurch bedeutende Erkenntnisse für die Erforschung eines „Schwarzen Archivs“[34], welches oft übersehene Informationen über afrikanische Migration und deren Auswirkungen aufzeigt.
2.1. Migration im Kontext kolonialer Verträge: Die Ausbildung von Kwasi Boachi und Kwame Poku in den Niederlanden als strategische Entscheidung des Aschantikönigshauses
Kwasi Boachi wurde 1827 als Sohn von König Kwaku Dua I. der Aschanti (1797–1867), eines der mächtigsten Königreiche Westafrikas, geboren und wuchs in der Region Aschanti im heutigen Ghana auf. Das Aschantikönigreich lag in der Nähe des niederländischen Handelspostens Fort São Jorge da Mina, heute auch als Elmina Castle bekannt[126], der an der Goldküste von Guinea liegt.[siehe Abb. 8] [37] Das Fort dort ist die älteste Festung, die von den Portugiesen 1482 im heutige Ghana errichtet wurde und 1630 an die Niederländer übergeben wurde.[35] Zu diesem Zeitpunkt reichten die Beziehungen zwischen dem Aschantikönigshaus und den niederländischen Kolonialbehörden bereits Jahrhunderte zurück. Sie waren durch enge wirtschaftliche Verbindungen gekennzeichnet, die neben anderen Aktivitäten vor allem den Handel mit versklavten Menschen[36] und Gold umfassten.
In Boachis ersten Lebensjahren herrschte im Aschantireich der erste sogenannten Anglo-Aschanti-Krieg (1823–1831). Die Ausweitung der Kolonialmächte hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Aschanti-Königreich, das in den Folgejahren zunehmend an Einfluss und Kontrolle über sein ursprüngliches Herrschaftsgebiet verlor. Die „Geschichte der Aschanti", die Mitte des 20. Jahrhunderts unter der Leitung von Asantehene[38] Prempeh II (1892–1970) verfasst wurde,[39] berichtet, dass Kwasi Boachi aus dem Dorf Atomfuo stammte, das etwa 13 Kilometer östlich von Kumasi gelegen ist. Seine überlieferte Abstammung lässt vermuten, dass er auf mütterlicher Seite aus einer Familie königlicher „Eisenschmiede“[40] kam, was ein Grund dafür sein könnte, dass er im Jahr 1837 ausgewählt wurde, um die niederländische Delegation unter der Führung von Major General Jan Verveer (1775–1838) auf ihrer Reise in die Niederlande zu begleiten und sich später dort als Bergbauingenieur ausbilden zu lassen.
Im historischen Kontext des Aschantikönigreichs war es eine gängige Praxis, Mitglieder der königlichen Familie zur Ausbildung nach Europa zu entsenden[41]. Diese Entsendungen waren meist Teil von handels- oder militärpolitischen Vereinbarungen zwischen den Aschanti und den lokal agierenden europäischen Mächten. Dabei dienten die königlichen Familienmitglieder einerseits als Garantie oder Sicherheit für die Einhaltung der Verträge, andererseits war diese Praxis aber auch von der Erwartung geprägt, dass die entsandten Individuen nach dem Abschluss ihrer Bildungslaufbahn in ihre Heimat zurückkehren würden. Die vorherrschende Hoffnung war, dass sie das in Europa erworbene Wissen und die entwickelten Fähigkeiten einsetzen würden, um einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung und Modernisierung des Aschantikönigreichs zu leisten.[42]
Boachis und Pokus Entsendung stand dabei im Kontext des von den Niederländern geführten Java-Kriegs (auch Diponegoro-Krieg genannt, 1825–1830). Zu dieser Zeit hatten die Niederländer viele Soldaten im Java-Krieg verloren und benötigten dringend Nachschub, um den Krieg zu gewinnen. Nachdem sie gesehen hatten, welche militärische Stärke die Aschanti besaßen, beschlossen sie, eine Vereinbarung zu treffen. Schlüsselfigur in diesem historischen Kontext war Major General Jan Verveer. Als königlicher Kommissar und Berater von König Wilhelm I. der Niederlande (1772–1843) leitete er die Verhandlungen, die die Beziehungen zwischen den Niederlanden und dem Aschantikönigreich bestimmten und war entscheidend an der Unterzeichnung von Verträgen beteiligt, die die Rekrutierung von Soldaten für die niederländische Armee durch den Aschantikönig regelten. Verveer kam bereits am 1. November 1836 in Elmina an und reiste anschließend mit einer Gruppe von 900 Personen nach Kumasi. Die Mehrheit seiner Begleiter waren Träger, die Geschenke und Vorräte für den Asantehene transportierten. Nach umfangreichen Verhandlungen einigten sich die Niederländer mit dem Asantehene: Am 18. März 1837 unterzeichnete Otumfuo[43] Kwaku Dua Panin I. ein Abkommen mit König Wilhelm I. der Niederlande. Obwohl die Rekrutierung zur Wahrung der Anti-Sklaverei-Gesetze offiziell auf „freiwilliger Basis“ erfolgte und in Kumasi unter der Leitung Jacob Peter Huydecopers (1811–1845) eine Rekrutierungsagentur gegründet wurde, bot das Aschanti-Oberhaupt den Niederländern auch versklavte Personen[44] und Kriegsgefangene aus dem Aschantireich an. Der Plan war, diese Menschen innerhalb eines Jahres als die vertraglich geforderten „Rekruten“ nach Niederländisch-Ostindien, in Gebiete des heutigen Indonesiens, welche zu dieser Zeit unter niederländischer Herrschaft standen, zu verschiffen.[45] Nach dem Vertragsabschluss sollten den Aschanti 2.000 Waffen zur Verfügung gestellt werden, und später sollten weitere folgen. Zudem war geplant, Kwasi Boachi und Kwame Poku zur Ausbildung in die Niederlande zu senden. Kurz nach der Unterzeichnung brachen die beiden Zehnjährigen unter der Führung von Major General Jan Verveers in die Niederlande auf.
2.2 Erste Jahre in den Niederlanden
Nach ihrer Ankunft in den Niederlanden erhielten beide Jungen ihren ersten Unterricht von einem deutschen Lehrer namens van Mock[46], der sie in den Sprachen Niederländisch, Deutsch, Englisch und Französisch unterrichtete. Wie viele andere adlige Höflinge lebten sie in einem Internat. König Wilhelm I. der Niederlande sorgte dafür, dass die beiden eine erstklassige Ausbildung erhielten, um sie auf ihre zukünftigen Rollen im Aschantikönigreich vorzubereiten.[47] Kwame Poku trug den Titel „Barima“. Dieser Titel ist nicht nur von hohem sozialem Ansehen geprägt, sondern kann auch einen potenziellen Anspruch auf die Thronfolge darstellen. Des Weiteren war ihm in Aussicht den Titel „Akyinpemhene“[48] zu tragen, der eine wichtige militärische Rolle als Leibwächter des Asantehene beschreibt. Diese Position konzentriert sich auf die Sicherheit des Königs und erfordert loyale Dienste und Kampfbereitschaft. Boachi hingegen hatte nach seiner Rückkehr im Aschantikönigreich eine hohe administrative oder militärische Position zu übernehmen, ohne jedoch den direkten Thronanspruch zu haben.
Erst 1843, sechs Jahre nach ihrer Ankunft in den Niederlanden, wurden Boachi und Poku in der reformierten Kirche in Delft getauft. Im Unterschied zu versklavten Kindern aus Afrika, die zumeist als Bedienstete an Höfen arbeiteten, erhielten sie keine christlichen Vornamen – eine Besonderheit, die nur durch ihren royalen Status denkbar war. Während sie aufgrund ihrer royalen Herkunft also einige Privilegien besaßen und von Seiten des niederländischen Königs „wohlwollend“ zu Feierlichkeiten eingeladen wurden, erfuhren Kwasi und Kwame dennoch, dass ihr königlicher Status in Europa nicht dieselbe Anerkennung fand wie in ihrer Heimat. So wurden sie von Vertretern der Kolonialbehörden teilweise genauso als „verächtliche Vertreter der schwarzen Rasse“[49] betrachtet wie versklavte Menschen, die als Bedienstete in dieser Zeit präsent waren. Als Aschantiprinzen in Europa erlebten Boachi und Poku einen scharfen Gegensatz zwischen ihrer privilegierten Stellung und den rassistischen Stereotypen, die sie aushalten mussten[50]. Zwar waren die beiden vor ihrer Ankunft in Europa mit der afrikanischen Tradition vertraut, Menschen zu versklaven. Nun aber sahen sie sich mit den direkten Folgen des Sklavenhandels konfrontiert und wurden unmittelbare Zeugen der daraus resultierenden gesellschaftlichen Spannungen. Sie lebten somit in Statusparadoxien.[51]
Auch in anderen Bereichen begleiteten die beiden Höflinge durchaus heikle Widersprüche: Während die Aschanti unter der Führung ihres Staatsoberhaupts Kwaku Dua I. ihre eigenen Götter verehrten, gab es Pläne des Kolonialministeriums unter Minister Baron Baud (1789–1859), Poku und Boachi nach ihrer Schulausbildung zu Missionaren auszubilden, um an der Goldküste zu missionieren.[52] Diese Pläne stießen jedoch auf Widerstand bei den Prinzensöhnen. Kwasi Boachi äußerte sich der Überlieferung nach skeptisch bezüglich der Vereinbarkeit von Missionarstätigkeit und Goldbergbauingenieurwesen. Und auch Kwame Poku protestierte als potenzieller Thronfolger der Aschanti vehement gegen die Missionarstätigkeit und entschied sich stattdessen, der niederländischen Kolonialarmee beizutreten.
Hier trennen sich nun die Wege der beiden jungen Männer: Während Poku seine Militärausbildung antritt, schreibt sich Boachi für sein Ingenieursstudium ein.
2.3 Ingenieursstudium in Delft und Freiberg: Boachis akademisches und soziales Leben zwischen Hörsaal und Hocharistokratie
Nachdem der Plan des Kolonialministeriums, Kwasi an der Universität in Leiden studieren zu lassen, aufgegeben worden war, wurde er nach einer am 9. Juni 1843 abgelegten Aufnahmeprüfung Student an der Königlichen Akademie in Delft.[53] Seine kontaktfreudige Persönlichkeit machte ihn schnell zu einem geschätzten Mitglied der Studentengemeinschaft und er pflegte auch nach seiner Studienzeit enge Freundschaften mit einigen seiner Kommilitonen. Besonders eng war die Verbindung zu Hendrik Linse (1825–1905), mit dem er regen Briefkontakt hielt. [54] 1847 schloss er sein Studium als Bauingenieur in Delft erfolgreich ab, erhielt die offizielle Ernennung zum Ingenieur und versuchte in seinem Beruf Fuß zu fassen.
Dr. Gerrit Simons (1802–1868), der Direktor der Akademie, hatte vorgesehen, dass Boachi zusammen mit vier anderen Absolventen unter der Führung von Cornelis de Groot van Embden (1817–1896) nach England gehen sollte.[55] Boachi entschied sich jedoch für einen anderen Weg und schrieb sich im Juli 1947 an der Bergakademie Freiberg ein, um sich unter dem einflussreichen Geologen und Bergbau-Wissenschaftler Bernhard von Cotta (1808–1879) auf den Goldbergbau zu spezialisieren.[56] Die Beziehung zwischen Boachi und Cotta ist besonders hervorzuheben, da sie in einer Zeit stattfand, in der koloniale Strukturen das wissenschaftliche Verständnis stark prägten. Der Austausch zwischen den beiden war bemerkenswert, da er nicht nur Boachis Perspektiven, sondern auch die kulturellen Hintergründe der Aschanti in den akademischen Diskurs einbrachte. Boachis Fähigkeit, als aktiver Akteur in der Geologie zu sprechen und später sogar eigene wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen, stellte einen entscheidenden Bruch mit den bestehenden Machtverhältnissen dar. Sie griff die fest verankerte Vorstellung an, dass Wissenschaft ausschließlich aus westlichen Perspektiven stammen müsse – doch diese Dynamik der transkontinentalen Auseinandersetzung von Wissen findet kaum Beachtung. Cotta, der sich intensiv mit den Ressourcen und der Geothermie der Erde beschäftigte, bot Boachi einen Raum, um seine kulturellen und wissenschaftlichen Einsichten einzubringen. Cottas Vision, die Wärme der Erde als zukünftige Ressource für das menschliche Leben zu nutzen, spiegelt ein Bewusstsein für planetare Ressourcen wider, das auch die Perspektiven indigener Kulturen berücksichtigt.[57] In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung von Boachis Stimme besonders deutlich: Er konnte nicht nur seine eigene Identität vertreten, sondern auch die komplexen Verhältnisse zwischen kolonialem Wissen und indigenem Verständnis thematisieren.
Boachi verkehrte in unterschiedlichen gebildeten Kreisen und teilte sein Wissen über die kulturellen Besonderheiten seiner Heimat, was nicht nur seine eigene Position innerhalb dieser Gemeinschaft stärkte, sondern auch zur interkulturellen Wissenszirkulation beitrug. In Freiberg studierten neben ihm internationale Studierende aus Ländern wie Brasilien, Russland, Argentinien, Portugal, England, Norwegen und dem Baltikum.[58] Die Anwesenheit von Vertretern aus Migrationsgruppen förderte einen kontinuierlichen Austausch von Wissen und Erfahrungen, der oft weit über die formalen akademischen Strukturen hinausging. Besonders im informellen Bereich – sei es in Gesprächen oder bei gemeinschaftlichen Aktivitäten – wurden nicht nur wissenschaftliche Konzepte, sondern auch kulturelle Perspektiven und Praktiken geteilt.[59]
Während die Stimmen von Schwarzen Menschen in seiner Zeit häufig marginalisiert oder ignoriert wurden, verschaffte sich Kwasi Boachi aufgrund der intersektionalen Verschränkung seiner Identität als Akademiker und Adeliger eine seltene Gelegenheit, sich in deutscher Sprache Gehör zu verschaffen. Diese besondere Position ermöglichte es ihm, sowohl seine eigene Perspektive als auch die seiner Heimat und der damit verbundenen Wissenskontexte in einem kolonial geprägten Umfeld zu artikulieren. Dies hatte nicht nur persönliche Bedeutung für ihn, sondern stellte auch einen symbolischen Akt für die gesamte schwarze Gemeinschaft im kolonialen Kontext dar, die oft der europäischen Dominanz unterworfen war. Seine Stellung innerhalb dieser Gemeinschaft war jedoch durch seinen adeligen Hintergrund eine Sonderposition, die ihn von vielen anderen schwarzen Menschen unterschied und ihm eine privilegierte Plattform verschaffte. Cotta ermöglichte Boachi durch seine Rolle als sein Mentor und auch als Wissenschaftler einen Dialog zwischen verschiedenen Wissenssystemen. Quellen belegen, dass Boachi gemeinsam mit Cotta 1849 an einer Veranstaltung in Weimar teilnahm, bei der auch Großherzogin Maria von Sachsen-Weimar-Eisenach (1786–1859) anwesend war. Dort fand Boachi durch seine Beiträge zur Diskussion über kulturelle Identität und Wissenserhalt eine Plattform, um die Relevanz seiner Kultur zu betonen und die Wertschätzung für die aschantische Geschichte und Tradition zu fördern. Bei dieser Gelegenheit hielt von Cotta einen Vortrag mit dem Titel „Erinnerungen an die Aschanti".[60] Darin stützte er sich auf Boachis Erzählungen, in denen er sich an seine Heimat durch das Prisma zweier rechtlicher Kategorien erinnerte, die die soziale Ordnung des Aschanti-Reiches prägten: „amanbrɛ“ und „amanmmu“. Erstere umfasst die von der Staatsgewalt gesicherten und anpassbaren Gesetze, die im Sinne eines Gewohnheitsrechts das Verhalten der Aschanti regeln sollten. Die unveränderlichen Prinzipien der kulturellen Logik der Aschanti wirken nicht als Naturgesetze, sondern als normative Grundlagen, die die Gesellschaft strukturieren, das soziale Gefüge stabilisieren und Anarchie oder sozialen Zusammenbruch verhindern. Diese Erkenntnisse ermöglichten den höfischen Zuhörern tiefere Einblicke in die Mechanismen, die das Leben und die Stabilität von Boachis Heimatland Aschanti prägten. Cotta teilte im Rahmen seines Vortrags auch Boachis Beschreibung zu einem der wichtigsten Feste der Aschanti, dem Adae Kese Festival.[61] Dieses wird, so Cottas Ausführungen, alle fünf Jahre vom obersten Herrscher der Aschanti in der Hauptstadt Kumasi gefeiert, indem mit Trommeln, Tanzen und Singen die Abosom (kleinere Götter in der Akan-Tradition) und Nsamanfo (Ahnen) geehrt werden. Laut Boachis Erinnerungen wird im Rahmen dieses Festivals auch eine sogenannte „Aschanti-Hymne" gesungen,[62] welche am Ende von Cottas Vortrag vom österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Liszt auf dem Klavier präsentiert und vom Komponisten als Volkshymne der Aschanti festgehalten wurde.[63] Der Vortrag von Bernhard von Cotta wurde in einer weit verbreiteten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert, wodurch sich das Publikum für die Inhalte der Veranstaltung weit über den ursprünglichen Rahmen in Weimar hinaus erweiterte.
Wie bereits bei der Repräsentation in traditioneller Kleidung erwähnt, kann auch Cottas Vortrag in Weimar als ein Versuch Boachis verstanden werden, im Sinne des Sankɔfa zu handeln. Boachi schafft eine praxisorientierte Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, indem er altes Wissen in die Gegenwart integriert und es für kommende Generationen nutzbar macht. Für Kwasi Boachi bot diese Erinnerungspraxis eine wichtige Möglichkeit, seine kulturellen Wurzeln zu bewahren und seine Identität zu stärken, selbst während seiner physischen Abwesenheit von seiner Heimat. In der höfischen Gesellschaft, in der er lebte, ermöglichte ihm Sankɔfa, die kulturellen und intellektuellen Werte seiner Herkunft zu bewahren und zu reflektieren.
Dabei war Sankɔfa nicht nur eine persönliche Erinnerungspraxis, sondern auch eine bewusste Methode, um Wissen weiterzugeben und Brücken zwischen verschiedenen Kulturen und Generationen zu schlagen: Boachi nutzte die Philosophie von Sankɔfa, um in einem kolonial geprägten Kontext nicht nur sein Wissen über die kulturellen Besonderheiten seiner Heimat zu teilen, sondern auch eine interaktive Wissenskultur zu etablieren, die den Austausch zwischen verschiedenen Gemeinschaften förderte – ohne das Konzept explizit zu benennen. In einer Zeit, in der Stereotype über Schwarze Menschen und ihre Kulturen weit verbreitet waren und oft als „primitiv“ oder „unterentwickelt“ dargestellt wurden, stellte Boachis Ansatz eine gezielte Herausforderung dieser vereinfachten und reduzierten Darstellungen dar. Durch die Verknüpfung historischer und kultureller Perspektiven strebte er an, ein Publikum zu erreichen, das über geografische und kulturelle Grenzen hinweg den Wert von Wissen und Dialog anerkannte.[133] Sankɔfa repräsentierte somit eine inklusive Form der Wissensvermittlung, die den traditionellen westlichen Rahmen sprengte – welcher oft auf einer kolonialen Hierarchie beruhte – und ermöglichte es, eine breitere, globalere Zuhörerschaft anzusprechen, die auf interkulturellen Austausch und gegenseitige Anerkennung setzte.
Noch deutlicher wird diese Praxis Boachis in seiner Entscheidung, ein eigenes Siegelwappen in Auftrag zu geben. Dieses hat sich auf einem Dokument im Dresdner Staatsarchiv als Wachssiegel erhalten und zeigt neben Symbolen wie dem christlichen Kreuz, bergmännisches Gezähe, Schwert und einer Stehlampe auch zwei bepunktete Raubkatzen, die in einer liegenden Haltung links und rechts des Wappens angeordnet sind. [siehe Abb. 9] Es handelt sich um Leoparden, die als direkter Verweis auf Boachis Zugehörigkeit zum Bretuo Clan interpretiert werden können.[64]
Wappen, welche als Siegel einen Echtheitsanspruch auf Dokumenten gewährten oder auch private Informationen versiegelten, sind stets symbolisch aufgeladen. Im 18. und 19. Jahrhundert war es besonders unter den wohlhabenden und einflussreichen Schichten der Gesellschaft weit verbreitet, ein eigenes Wappen zu führen.[65] Diese Wappen dienten als wichtige Symbole für Familien, Institutionen oder Einzelpersonen und spiegelten deren historische Herkunft, Errungenschaften und gesellschaftlichen Status wider. Durch die Verwendung von Wappen konnten Individuen und Institutionen ihre Identität und ihren Rang visuell darstellen, wodurch sie sich in der sozialen Hierarchie abgrenzen und ihre Bedeutung unterstreichen konnten.
Die Clanzugehörigkeit spielt bei den Aschanti eine wichtige Rolle, da sie Teil des sozialen und politischen Lebens ist und die Identität sowie die Zugehörigkeit der Menschen bestimmt. Jeder Clan hat sein eigenes Zeichen, seine eigenen Symbole, Geschichten und Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden[66]. Bei der ethnischen Bevölkerungsgruppe der Akan wird die Clanidentität durch ein Totemtier symbolisiert; für den Bretuo-Clan ist es der Leopard – ein Ausdruck von Mut und Aggression. [siehe Abb. 10]
Durch die Gestaltung eines eigenen Wappens konnte Boachi seine Identität und seinen adligen Status ausdrücken und wurde so erneut zum aktiven Gestalter seiner eigenen Geschichte.[67] Ihm gelang dadurch einerseits der Anschluss an die höfische Kultur Europas, ohne aber sich dazu von seinem kulturellen Erbe zu trennen. Durch die aktive Nutzung des Wachsstempels brachte er das Prinzip von Sankɔfa, das für das Lernen aus der Vergangenheit steht, auf eine tiefere Ebene. Die Erinnerungspraxis Sankɔfa wurde so zu einem lebendigen Teil seiner Identität und seines täglichen Lebens. Boachi brachte damit zum Ausdruck, dass er seine kolonialen Erfahrungen nicht nur passiv erlebte, sondern aktiv mitgestaltete. Er nutzte künstlerische Ausdrucksformen, um seine Erinnerung und Identität zu festigen. Der Wachsstempel bewahrt und interpretiert seine Geschichte neu, um sie für zukünftige Generationen zugänglich zu machen. Das Siegel wurde zu einem kulturellen Artefakt, das seine internationale Identität und seinen Anspruch auf eine adlige Herkunft in einer Zeit und an einem Ort zum Ausdruck brachte, wo solche Ansprüche nicht selbstverständlich anerkannt wurden. Durch die Gestaltung seines Wappens drückte Kwasi Boachi seine eigene Handlungsmacht aus. Indem er sein Wappen selbst entwarf, übernahm er eine aktive Rolle in der Darstellung seiner Identität und seines Erbes. Dies steht im Gegensatz zu der oft passiven Rolle, die afrikanischen Personen in der kolonialen Geschichte zugeschrieben wird. Diese Praxis, den Wachsstempel zu benutzen, war somit mehr als eine Erinnerung an die Vergangenheit: Jedes Mal, wenn Boachi den Stempel benutzte, bekräftigte er aktiv nicht nur seine Identität und Herkunft, sondern er reihte sich auch bewusst in die adlige Gesellschaftsschicht ein, indem er deren Symbole und Traditionen in seine eigene Identität integrierte. In einer Zeit, in der ein Wappen als selbstverständliches Zeichen adliger Legitimation galt, setzte er dieses Symbol als Stempel auf Briefen gezielt ein, um seine soziale Stellung zu festigen und die Erzählung über seine Herkunft selbst zu kontrollieren. Mit der wiederholten Anwendung des Stempels machte Boachi deutlich, dass er sein Erbe aktiv in seine soziale und politische Identität integrierte.
Neben diesen rückbesinnenden Verortungen und Praktiken gibt es in den europäischen Archiven aber auch zahlreiche Quellen, die Boachis aktive Auseinandersetzung mit gegenwärtigen politischen Prozessen bezeugen. Diese richtete sich insbesondere gegen den Sklavenhandel, aber auch gegen andere strukturelle Benachteiligungen, deren Auswirkungen er sich selbst oft genug gegenübersah. Es ist dabei davon auszugehen, dass sich Boachi hier auch von den einschneidenden Ereignissen beeinflussen ließ, die zu der Zeit, in der er sich in Deutschland befand, das Land ereilten: Im Jahr 1848 wurde Dresden, die Hauptstadt des Königreichs Sachsen, zu einem Brennpunkt der Deutschen Revolution.[68] Diese war Teil einer umfassenden Welle politischer und sozialer Unruhen, die sich über die deutschen Staaten erstreckte und in ganz Europa im Rahmen des „Frühjahrs der Völker" von 1848 und 1849 zu spüren war. Besonders intensiv waren die Auseinandersetzungen im Dresdner Maiaufstand 1849, als die Bürger der Stadt auf die Straßen gingen. [siehe Abb. 11] Der Aufstand entzündete sich an der Ablehnung der von der Frankfurter Nationalversammlung ausgearbeiteten Verfassung durch den sächsischen König und andere deutsche Fürsten. Die Dresdner, unter ihnen auch der berühmte Komponist Richard Wagner (1813–1883), der sich den Revolutionären anschloss, forderten liberale Reformen und die Einführung einer konstitutionellen Monarchie.[69]
Für Kwasi Boachi könnten diese Ereignisse von großer Bedeutung gewesen sein. Sie prägten das politische und soziale Klima, in dem er sich bewegte, und könnten seine Weltanschauung beeinflusst haben. Die revolutionären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die in dieser Zeit propagiert wurden, könnten seine Sichtweisen auf Themen wie Kolonialismus, Rassismus und die Rechte von Menschen afrikanischer Herkunft mitgeformt haben.
2.4 Zwischen kolonialer Einflussnahme und kultureller Identität: Die Ambivalenz von Kwasi Boachis Entscheidung, in Europa zu bleiben
Etwa zeitgleich zu den revolutionären Geschehnissen im Deutschen Bund beschloss das niederländische Kolonialministerium, seinen Fokus weg von der Rekrutierung von Soldaten und mehr auf die Nutzung der Goldressourcen in der Region in und um Aschanti zu verlegen. Boachi wurde in diesem Zuge als nützliches Mittel angesehen, was für ihn bedeutete, dass er Deutschland verlassen und sehr zeitnah ins Aschantireich zurückkehren sollte.
Dabei war sich Boachi der aktuellen Machtverschiebungen im Aschantikönigreich bewusst. Es war eine Zeit großer Veränderungen, in der die Aschanti und andere Völker mit dem Verlust ihres Einflusses und den wachsenden kolonialen Ambitionen insbesondere der Briten, Dänen[70] und Niederländer konfrontiert waren. In diesem Zuge spitzten sich größere Spannungen zwischen den Aschanti und anderen ethnischen Gruppen, speziell den Fante, die an der Küstenregion der niederländischen Goldküste ansässig waren, zu. Die beständigen Versuche der Aschanti, ihre Vormachtstellung zu behaupten, und das Streben der Fante sowie anderer Gruppen, ihre Interessen durch Verbindungen zu europäischen Mächten zu wahren, spielten dabei eine zentrale Rolle.[71] Die militärische Überlegenheit der Aschanti ermöglichte es ihnen, Handelsrouten zu dominieren und Tributzahlungen von den unterworfenen Territorien zu fordern, was maßgeblich als Mechanismus der Unterdrückung angesehen werden kann. Im Gegensatz dazu profitierten die Fante substanziell von ihrer geografischen Lage am Atlantischen Ozean und dem damit verbundenen direkten Zugang zu europäischen Händlern und Kolonialbeamten. Durch die Handelskontakte mit den Europäern erlangten sie Zugriff auf fortgeschrittene Waren und Technologien, die ihnen Vorteile in den Auseinandersetzungen mit den Aschanti verschaffen sollten. Aber auch die Aschanti erhielten Technologien der Europäer. Die Auseinandersetzung um Einfluss in dieser Region war auch für die europäischen Kolonialmächte von zentraler Bedeutung. Alle drei Staaten waren an stabilen Handelsverhältnissen und der Sicherung ihrer ökonomischen Interessen interessiert, was die gesamte Region zu einem stark umkämpften Feld machte. Die Erweiterung der britischen Kolonialmacht markierte letztlich einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Aschanti-Königreichs. Großbritannien festigte seine Kontrolle über strategisch wichtige Handelsrouten und Gebiete und setzte damit das Aschanti-Königreich erheblich unter Druck. Der Preis dafür war der schrittweise Verlust der Handlungsfähigkeit.
Mit Blick auf diese Entwicklungen kann Boachis Lage als ambivalent bezeichnet werden. Auf der einen Seite war er eine Schachfigur im Spiel größerer Kräfte und niederländischer Interessen, andererseits war er als in Europa ausgebildeter Goldbergbauingenieur auch ein potenzielles Werkzeug der Politik der Aschanti. Letztlich trotze Boachi beiden Seiten und entschied sich nicht nach Aschantiland zurückzukehren. Die Gründe für seine Entscheidung gegen eine Rückkehr mögen vielfältig gewesen sein.[72] Migration ist immer ein Balanceakt: Man wägt ab, was einem wichtig ist und setzt es ins Verhältnis zu dem, was man aufgeben muss. Dazu versucht man, die Zukunft zu erahnen und einzuschätzen, wie diese die eigene Lebensqualität beeinflussen wird. Für jemanden wie Kwasi Boachi, der seine Wurzeln im Volk der Aschanti hat, ist davon auszugehen, dass er sich neben einer emotionalen Bindung zum Land seiner Kindheit auch der familiären Verpflichtungen und der gesellschaftlichen Erwartungen bewusst gewesen ist, die traditionell an Personen wie ihn aus seiner Gemeinschaft herangetragen wurden. Gleichzeitig ist nach einer langen Periode der Assimilation in europäische Kontexte, deren Teil Boachi bereits als Zehnjähriger geworden war, auch wahrscheinlich, dass die Herausforderungen einer Rückkehr in die entfremdete Heimat sehr schwer gewogen haben. Zu nennen wäre hier beispielsweise Boachis Enttäuschung über den grausamen Sklavenhandel. Die Erkenntnis, dass die Aschanti in diesen Handel verwickelt waren (wie aus dem Bericht von seinem Professor Bernard von Cotta zuvor hervorging), verstärkte die Widersprüche seiner Existenz und lässt tiefe moralische und emotionale Konflikte vermuten. Letztlich aber kann angenommen werden, dass Boachis Entscheidung, in Europa zu bleiben, vor allem auch von dem Wunsch geprägt war, sich eine Existenz aufzubauen. Auf der europäischen Seite hatte er Freunde, die ihm halfen, indem sie sich beispielsweise beim niederländischen Kolonialministerium für ihn einsetzten. In diesem Umfeld erhielt er die Möglichkeit zur Weiterbildung und konnte eine soziale Stellung erreichen, die ihm unter den kolonialen Bedingungen der Goldküste nicht zugänglich gewesen wäre. Wenn Boachi in sein von Unruhen geplagtes Heimatland zurückgekehrt wäre, hätte er sich wieder in eine unsichere und riskante Situation begeben. In Europa hingegen bot sich ihm die Chance, ein neues Leben zu beginnen. Zwar würde er für dieses Leben weiterhin etwas von seiner Unabhängigkeit oder seiner Fähigkeit, eigenständig zu handeln, einbüßen, aber nicht unbedingt seine Privilegien als Aschantiprinz verlieren. Dennoch ist dabei davon auszugehen, dass er sich auch der Zerrissenheit bewusst gewesen ist, die aus der Diskrepanz zwischen seiner anerkannten Kompetenz und den allgegenwärtigen diskriminierenden, rassistischen Einstellungen entsprang und die seine Lebenserfahrung in Europa maßgeblich prägte. Diese Zerrissenheit zwischen Anerkennung und Diskriminierung, aber auch die Zerrissenheit einer Wahl, in der weder die eine noch die andere Möglichkeit gänzlich überzeugte, spiegelt auch die folgende Schlussfolgerung, die Boachi bezüglich seiner Entscheidung, nicht ins Aschantiland zurückzukehren, in einem Brief an G.S. de Veer schriftlich festhielt:
„Lieber hier in Europa den Tod gefunden als an der Küste von Guinea langsam in Kummer und Verdruß unterzugehen.”[73]
2.5 Kwame Poku: Eine ambivalente Rückkehr zwischen kolonialem Einfluss und kultureller Isolation
Der Aschantiprinz Kwame Poku wird in der deutschsprachigen, englischen und niederländischen Literatur oft nur am Rande erwähnt und taucht hauptsächlich in der Geschichte von Kwasi Boachi auf. Das letzte bekannte Bild von Kwame Poku ist ein Porträt, das bei der Krönung von König Wilhelm II. der Niederlande entstand. Dieses Gemälde des Malers Nicolaas Pieneman aus dem Jahr 1840 ist die letzte visuelle Darstellung, die wir von ihm als jungen Mann haben. Im Gegensatz zu Kwasi Boachi gibt es keine Briefe oder Zeitungsartikel von ihm in den Archiven von Ghana, den Niederlanden oder Deutschland. Diese fehlenden Quellen machen es schwierig, detaillierte Informationen über sein Leben, seine politischen Interessen, seine Freunde, seine Aktivitäten und seine Umstände zu finden.[74]
Gesichert ist, dass Poku sich im Jahr 1844 entschied, in die niederländische Kolonialarmee einzutreten. Ebenfalls gesichert ist, dass er trotz des Versprechens, nach drei Monaten zum Offizier des gehobenen Dienstes ernannt zu werden, lediglich Unteroffizier blieb.[75] Die genauen Details seiner weiteren Ausbildung und Kontakte sind kaum überliefert. Nach seiner Militärausbildung in den Niederlanden kehrte er im Jahr 1850 über die Küste von Elmina ins Aschantikönigreich zurück, also zu einer Zeit, in der Boachi sich zu Studienzwecken in Deutschland befand. Angekommen in seinem Heimatland befand sich Kwame Poku in einer fremdbestimmten Lage.
Seine Rückkehr war durch die Anordnung seines Onkels Kwaku Dua I. [siehe Abb. 12] bedingt und sie fiel in eine Zeit, in der das Aschantireich durch die britische Expansion und die damit verbundenen politischen Veränderungen, wie der Constitutional Ordinance, unter Druck stand.[76] Sie brachte zwar eine neue Verwaltungsstruktur, ließ aber wenig Raum für die Einflussnahme der einheimischen Bevölkerung.[77] Wenngleich Poku in einer Zeit zurückkehrte, in der es keinen Krieg im Aschantireich gab, bedeutete die Rückkehr für ihn, sich inmitten der Geschehnisse der politischen Unruhen und des Widerstands gegen koloniale Mächte wiederzufinden: Elmina war zu jener Zeit noch immer eine der bevölkerungsreichsten und wohlhabendsten Städte an der Goldküste. Als potenzieller Thronanwärter musste er sich nicht nur mit den internen Machtstrukturen auseinandersetzen, sondern auch mit der wachsenden Bedrohung durch externe Einflüsse. So befand er sich nun in der isolierten Rolle, in seiner alten Heimat als aktiver Politiker und Stratege auf die neuen politischen Realitäten zu reagieren und gleichzeitig die Traditionen seines Volkes aber auch das Volk selbst vor den europäischen Mächten zu bewahren, die er aus nächster Nähe kennengelernt hatte.
Gleichzeitig war die Zeit von Pokus Rückkehr an die Goldküste auch geprägt von der Rückführung ehemaliger versklavter Menschen und der Migration von Afrikaner*innen, Karibikbewohner*innen und Schwarzen Brit*innen nach Afrika, wie sie aus der „Back-to-Africa-Bewegung” hervorging, die hauptsächlich zwischen dem späten 18. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfand. Ebenso kehrten Anfang des 19. Jahrhunderts Afro-Brasilianer*innen, darunter auch ein Teil der versklavten Soldaten, die in den Kriegen in Niederländisch-Indien (Indonesien) kämpften, an die Goldküste zurück.[78] Diese Bewegungen waren geprägt von dem Wunsch, nach Jahrhunderten der Entwurzelung und des Leidens durch die Sklaverei eine neue (alte) Heimat und Identität in Afrika zu finden. Die Rückkehrer etablierten interpersonelle Netzwerke und fungierten als Katalysatoren für den Transfer von neuartigen Perspektiven, Fähigkeiten und kulturellen Einflüssen[79] sowie für den (späteren) Erfolg der Freiheitsbewegungen.[80]
Leider ist nicht bekannt, inwiefern Kwame Poku mit diesen Gruppen anderer Rückkehrer*innen interagierte. Es ist jedoch anzunehmen, dass ihn die dualen Perspektiven, Kolonialromantik in Europa versus Kolonialkritik in Afrika, dazu zwangen, sich nicht nur mit den äußeren Realitäten der Kolonialherrschaft auseinanderzusetzen, sondern auch mit der tiefen psychologischen und emotionalen Last, die diese Geschichte mit sich brachte. Für Poku hätte das, wie auch für andere Rückkehrer*innen, eine mächtige Quelle der Stärke und des Widerstands darstellen können. Er hätte seine Erfahrungen nutzten können, um sich zu mobilisieren und für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung im „Aschantiland“ aber auch in Afrika allgemein zu kämpfen. Es ist allerdings offen, ob er im Aschantireich dann auch zu einer höheren militärischen Position hätte befördert werden können. Da es auch hier leider keine überlieferten Dokumentationen gibt, bleibt nur zu vermuten, welchen wichtigen Beitrag Poku zur kulturellen und intellektuellen Vernetzung zwischen Afrika und Europa hätte leisten können.
Ethnographische und historische Quellen, besonders mündliche Überlieferungen aus Kumasi, weisen demgegenüber eher darauf hin, dass sich Poku während seines Aufenthalts in den Niederlanden von den Aschantitraditionen abgewendet hatte.[81] Pokus veränderter kultureller Habitus sowie die sprachliche Entfremdung dürften die Reintegration in die einheimische Aschanti-Gesellschaft erheblich erschwert haben und zu seiner politischen und sozialen Isolation beigetragen haben. Sein Suizid am 22. Februar 1850[82] in Elmina, kurz nach seiner Rückkehr nach Ghana, bleibt ein Aspekt seiner Biografie, der bis heute ungeklärt bleibt.
2.6 Kwasi Boachi: Diskriminierung als prägender Begleiter auf dem Lebensweg nach Niederländisch-Indien (heutiges Indonesien)
Wie Kwasi Boachi auf den Tod seines Cousins und engsten Wegbegleiter reagierte, wissen wir leider nicht. Auch ist nicht bekannt, ob seine Entscheidung, nicht nach Ghana zurückzukehren, mit den Ereignissen zusammenhing. Was wir aber wissen ist, dass Boachi, angekommen in den Niederlanden im Jahr 1850, aufgrund des ihm entgegentreten Rassismus keine vielversprechende Karriere in seinem Arbeitsbereich verfolgen konnte.[83] Entscheidend dafür war Jan Jacob Rochussen (1797–1871), Generalgouverneur von Niederländisch-Ostindien, der schwerwiegende Einwände gegen seine Berufung in den Staatsdienst erhob und dies mit der „Aristokratie der Haut" begründete.[84] In Boachis Ausbildungszeugnissen wurde die Bezeichnung „außergewöhnlich” überbetont. Dies sollte darauf hindeuten, dass er nicht ohne die Aufsicht eines weißen Europäers arbeiten könne.[85] Boachi beschwerte sich über den erlebten Rassismus durch seinen Vorgesetzen im niederländischen Kolonialministerium und wurde daraufhin für ein Projekt nach Java versetzt, wo er Cornelis Kees de Groot bei einem Projekt auf der indonesischen Insel Bawean begleiten sollte.
De Groot war von 1850 bis 1866 der erste Leiter des Bergbaus in Niederländisch-Indien. Er war bekannt für seine Rolle bei der Entwicklung des Zinnbergbaus auf Belitung und des Kohlebergbaus in Südost-Kalimantan. De Groot, ursprünglich Wasseringenieur, kam im Juli 1850 als Bergbauingenieur der zweiten Klasse in Niederländisch-Indien an und wurde, begründet durch sein Alter, zum Leiter einer Gruppe von Bergbauingenieuren ernannt. Boachi, der höher qualifiziert war und ausreichend Erfahrung besaß, wurde übergangen. Die erste geologisch-bergbauliche Untersuchung durch De Groot fand im Februar bis April 1851 auf der Insel Bawean in der Javasee statt. Das Hauptziel war die Untersuchung von Gerüchten über Kohlevorkommen, die sich jedoch als unwirtschaftlich erwiesen.[86] Das Ergebnis dieser Reise war eine der frühesten geologischen Karten der Insel Bawean. [siehe Abb. 13] [87]
Boachi erlebte zu dieser Zeit nicht nur durch seine Vorgesetzten Diskriminierungen, sondern auch durch Javaner.[88] Er beschwerte sich mehrfach beim niederländischen Kolonialministerium. Am 30. Dezember 1853 wurde Boachi zum Ingenieur dritter Klasse ernannt, aber wieder versehen mit dem Zusatz „außerordentlich". Seine Beschwerden über De Groot wurden gehört und er durfte für die kommenden Jahre schließlich je von April bis Oktober unabhängig arbeiten. Im Jahr 1854 führte er eine Studie über das Vorkommen von Kohle in der Bucht von Meeuwen in der Residenz Bantam durch und im Jahr 1855 eine ähnliche Studie im Süden der Regentschaft Priangan. Den Rest des Jahres war er Büroleiter von De Groot. Im Jahr 1855/56 wurden die wissenschaftlichen Forschungen von Kwasi Boachi veröffentlicht:
- Boachi, Akwasi (1855): Untersuchung über die Kohlen, die entlang des Strandes von Meeuwenbaai, Wohnsitz Bantam, gefunden wurden. Zeitschrift für Physik der Niederländisch-Indischen Inseln, IX, S. 49;
- Boachi, Kwasie (1856): Untersuchung über die Bezeichnung der Kohle im Gelände der Bucht von Tjilaloek (Regentschaft Preanger). Physikalisches Magazin der Niederländisch-Ostindischen Inseln, XI, S. 461;
- Boachi, Kwasie (1856): Mitteilungen über die Chinesen auf der Insel Java. Beiträge zur Linguistik, Geographie und Ethnologie, Band 4, Nr. 2, S. 303–307.
Boachis Arbeiten über die Kohlevorkommen in Indonesien und seine Beobachtungen über die chinesische Gemeinschaft auf Java sind nicht nur wissenschaftliche Beiträge, sondern auch Zeugnisse seines Durchbruchs gegen die damaligen sozialen Barrieren. Boachi war einer der wenigen Schwarzen Akademiker seiner Zeit, der seine Forschungsergebnisse in anerkannten europäischen Zeitschriften veröffentlichen konnte und damit die Erwartungen und Beschränkungen aufgrund seiner Hautfarbe und Herkunft überwand. Dennoch erlebte er weiterhin Diskriminierung. Als er sich 1856 beim Generalgouverneur Duymaer van Twist (1809–1887) über den Zusatz „außerordentlich“ zu seinem Titel beschwerte, erklärte dieser, dass eine Änderung nicht möglich sei, empfahl ihm jedoch, sich in den Niederlanden zu beschweren. Bei einem Besuch bei Dr. Gerrit Simons erfuhr Boachi, dass der Zusatz „außerordentlich“ von de Groot persönlich eingeführt worden war.[89] Diese Erkenntnis veranlasste ihn dazu, seinen Rücktritt aus dem Staatsdienst zu erwägen, da ihn seine berufliche Laufbahn als Bergbauingenieur (er arbeitete genauer gesehen sogar nur als Ingenieurassistent) unausweichlich in ständige Interaktion mit de Groot bringen würde.[90] Im März 1856 wandte er sich mit der Bitte um Entschädigung für nicht eingehaltene Zusagen über Aufstiegsmöglichkeiten in seiner Karriere an den Kolonialminister Pieter Mijer (1812–1881). Obwohl der Minister dies ablehnte, gelang es Boachi König Wilhelm III. der Niederlande (1817–1890) für eine Entschädigung zu gewinnen. Einvernehmlich wurde beschlossen, dass Boachi aus seiner Position als Bergbauingenieur in Niederländisch-Indien ehrenvoll entlassen werden würde. Nach intensiven Verhandlungen wurde 1857 entschieden, Boachi eine monatliche Pension von 500 Gulden zu gewähren.[91] Im Oktober 1857 kehrt Boachi den Niederlanden den Rücken. Seine Enttäuschung und das dauernde Gefühl der Erniedrigung machte Boachi viele Jahre später in einem Leserbrief öffentlich, in dem er schrieb:
„Wäre ich eine
einflussreiche oder bedeutende Persönlichkeit (...) doch ich bin nur ein
unbedeutendes Individuum, ein vergessener Bürger in einer entlegenen Ecke
Javas, zudem ein Neger in einem Land, in dem der weiße Herrscher
verächtlich auf Schwarze herabschaut."[92]
Die Beschwerden von Kwasi Boachi zwischen 1850 und 1871 über den erlebten Rassismus sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert und werfen ein Licht auf die sozialen Dynamiken jener Epoche. Von dieser Diskriminierungsform waren sicherlich auch Indonesier im Umgang mit der niederländischen Kolonialbehörde betroffen. Die Tatsache, dass Boachi als Person afrikanischer Herkunft und als Adeliger in der Lage war, formell gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen und auf die Ungleichbehandlungen gegen ihn hinzuweisen, deutet auf eine außergewöhnliche Position innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchien hin. Dies lässt sich teilweise durch seine adelige Herkunft aber auch durch seine exzellente Bildung erklären, welche ihm ein gewisses Maß an Privileg und Status verlieh. Die Art und Weise, wie mit seiner Beschwerde umgegangen wurde – nämlich mit seiner Versetzung anstatt einer direkten Auseinandersetzung mit dem Problem – offenbart jedoch die Limitationen dieses Privilegs. Sie zeigt, dass Boachi zwar die Fähigkeit besaß, seine Stimme zu erheben, aber nicht genügend Einfluss hatte, um eine substanzielle Veränderung für sich oder andere zu bewirken. Sein Fall ist ein seltenes historisches Beispiel dafür, wie eine afrikanische Schwarze Persönlichkeit in einer von kolonialen Machtverhältnissen geprägten europäischen Gesellschaft agieren konnte.[93] Boachis Erfahrungen unterstreichen die Komplexität der Verhältnisse von Privileg und Macht innerhalb kolonialer Strukturen und veranschaulichen, wie eingeschränkt die Handlungsspielräume waren, die Menschen afrikanischer Herkunft zur Verfügung standen, um gegen strukturelle Benachteiligungen vorzugehen.
Nach seiner Entlassung erhielt Boachi zusätzlich zu seinem Unterhalt einen Erbpachtvertrag über 710 Hektar Land in Madiun zur eigenverantwortlichen Bewirtschaftung einer Kaffeefarm,[94] obwohl der Kaffeeanbau staatlich reguliert war. Boachi ließ sich im nahegelegenen Sukaraja nieder und gründete dort er eine Familie.[95] Als Unternehmer musste Boachi jedoch einige Rückschläge hinnehmen, sein Geschäft verzeichnete Verluste und musste letztlich aufgelöst werden. In der Folge beantragte er ein neues Landstück und bekam einen Pachtvertrag für Sokasari in der Assistentenresidenz Buitenzorg. Über die Zeit nach seinem Dienst als Ingenieur findet sich verhältnismäßig nur wenig Material in den bisher untersuchten Archiven und Bibliotheken. Mehrere Zeitungen berichteten im Verlauf seiner weiteren Jahre auf Java von seinem Schicksal.[96] Boachi erhielt von der niederländischen Regierung weiterhin eine kleine, lebenslange monatliche Rente als Kompensation. Über seine gesamte Zeit in Indonesien hielt er den Kontakt zu seinen Freunden in Deutschland und den Niederlanden, schickte einigen von ihnen auch Zigarren und Kaffee als Geschenke.[97] Bemerkenswert ist des Weiteren, dass Boachi in seiner Korrespondenz vornehmlich seine Beziehungen zu weißen Deutschen hervorhob, was seine Vertrautheit mit diesen und seine Integration in höhere gesellschaftliche Kreise belegt.
In einem Artikel aus der Zeitschrift Gartenlaube, der 1870 erschien, verdeutlicht er selbst, inwiefern er sich als Aschanti definiert und sich Deutschland zugehörig fühlt:
„Obgleich Afrikaner von Geburt und durch keine Bande des Blutes mit Deutschland verbunden, habe ich dies Land und seine Bewohner durch einen dreijährigen Aufenthalt lieb gewonnen. Sohn des fernen Ashanty betrat ich als Fremder Deutschland, genoß dort eine gastliche Aufnahme, fand warme Herzen, die sich an das meine schlossen, und knüpfte manches Band der Freundschaft (...) Mit dem innigsten Wunsch, daß Deutschland siegreich aus diesem Streit hervorgehen möge, um ungestört seine Einheit zu vollzeihe zeichne ich etc. etc. Aquasi Boachi.“[98]
Im Jahre 1871 schloss er sich dem Verband der Bauingenieure wieder an und übernahm zusätzlich die Rolle des Berichterstatters für die Region Niederländisch-Indien. Zwischen den Jahren 1871 bis 1893 sind wenige Briefe in Archiven und Zeitungen in Deutschland und den Niederlanden zu Boachi zu finden.[99] Erst im Jahr 1893 liegt wieder ein Dokument mit Boachi vor. In dem Jahr wurde er zum Ehrenmitglied des Vereins der Zivilingenieure ernannt.[100] Auf Empfehlung des Generalgouverneurs Herman van der Wijck (1815–1889) wurde Boachis Pension 1894 auf 600 Gulden pro Monat angehoben. Boachi versuchte sich auch im Reisanbau, der jedoch ebenfalls nicht profitabel war und 1898 eingestellt werden musste. Schlussendlich war Boachi über 50 Jahre Kaffeeplantagenbesitzer. Er engagierte sich aktiv innerhalb der lokalen Gemeinde und kümmerte sich insbesondere auch um die ehemaligen afrikanischen Soldaten, die in der niederländischen Armee gedient hatten, was ihn zu einer Schlüsselfigur bei der Bildung einer Schwarzen Gemeinschaft in Indonesien machte. Die Forschungen von Sophie Arnold legen außerdem nahe, dass Boachi nicht nur lokal, sondern auch international als Antirassismus-Aktivist Anerkennung fand. Seine Nennung in einem Atemzug mit Persönlichkeiten wie Booker Washington (1856–1915) [101] und seine Erwähnung in den gegenwärtigen African-American Studies in den USA[102] unterstreichen seinen Einfluss und seinen Einsatz für die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte er aufgrund einer hartnäckigen Krankheit im Krankenhaus von Buitenzorg, bis er schließlich 1904 auf Java verstarb.
2.7 Kwasi Boachi: Ein Leben voller Transformation und Engagement
Die hier dargestellte Biografie Boachis zeugt von einer beeindruckenden Persönlichkeit. Die vielen Stationen seines Lebenswegs – seine royale Kindheit im Aschantiland, die plötzliche Entwurzelung und Integration in eine völlig fremde Lebenswelt in seiner Jugend, seine Ausbildung und sein Studium in den Niederlanden und Deutschland, seine Teilhabe an der höfischen Gesellschaft als junger Erwachsener und schließlich seine Umsiedlung nach Indonesien – prägten ihn und sein Tun auf vielfältige Weise. Bemerkenswert dabei sein Navigieren zwischen Fremdbestimmung und Selbstbehauptung, seine Fähigkeiten zu netzwerken und sein beständiger Wille, trotz Rückschlägen und Diskriminierungserfahrungen erfolgreich zu sein. Als Adliger, der von den Umständen getrieben als Pflanzer arbeitete, demonstrierte er zudem eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in neuen kulturellen und sozialen Kontexten.[103] Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang auch seine Wissbegier, für die symbolisch seine umfangreiche Privatbibliothek steht.[104] In einer Zeit, in der Bildung ein Privileg der europäischen Elite war, stellt Boachis Besitz einer solchen Bibliothek eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Sie zeugt von seinem unerschütterlichen Streben nach Wissen und Bildung und von seinem Wunsch, die kolonialen Bildungsbarrieren zu durchbrechen. Die Bibliothek war nicht nur ein Zeichen seines persönlichen Erfolgs, sondern auch ein Instrument des intellektuellen Widerstands. So war Boachi Zeit seines Lebens nicht nur aktiver Gestalter seines eigenen Lebens, sondern auch seiner Umgebungen, in denen er sich stets engagierte. Sei dies als aktiver Erinnerungsakteur und Kritiker gesellschaftlicher Zustände, als Familienvater oder als Gestalter Schwarzer Gemeinschaft in Indonesien – Kwasi Boachis Persönlichkeit und Leben bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte und wertvolle Inspirationen für eine lebendige Erinnerungsarbeit.
3. Mapping Memories: Über die Möglichkeiten transkontinentaler Erinnerungsarbeit
Die Beschäftigung mit Kwasi Boachi glich einer wahren Entdeckungsreise.[105] Ausgehend von dem Porträt im Albertinum in Dresden führte mich meine Forschung nach Ghana und in die Niederlande, zu den Orten, an denen Boachi lebte und lernte. In nur sechs Monaten besuchte ich über 14 Archive und Museen in Ghana, den Niederlanden und Deutschland und sprach mit zahlreichen Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen, Künstler*innen und anderen Akteuren innerhalb und außerhalb der akademischen Welt. Meine Recherche umfasste auch community-basiertes Wissen aus der ghanaischen Gesellschaft sowie der Diaspora in den Niederlanden und Deutschland, und ich nutzte User-Generated Content aus sozialen Medien wie Facebook und Instagram. Diese vielfältigen Quellen erweiterten mein Wissen über Boachi, sein Leben und seine Bedeutung für das Gedächtnis der Schwarzen Community. Was als interdisziplinäre Forschung begann, entwickelte sich zu einer transakademischen und transnationalen Arbeit. In diesem abschließenden Teil möchte ich nun meine Erkenntnisse nutzen, um Möglichkeiten und Chancen transkontinentaler Erinnerungsarbeit aufzuzeigen und zu weiteren Forschungen anzuregen.
3.1 Mapping Memories: Ein persönliches Plädoyer für das Schwarze Archiv als lebendiges Gedächtnis afrikanischer Geschichten und identitätsstiftender Raum in Deutschland
Der Name Kwasi Boachi begegnete mir zum ersten Mal in meiner Jugend im Buch „Farbe bekennen – Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte” von May Ayim, Katharina Ogontoye und Dagmar Schulz. [125] Das Buch, das für viele Schwarze, Indigene und People of Color Grundlagenliteratur für Erinnerungsaktivismus in Deutschland ist, beeindruckte mich zutiefst: Dachte ich als „Booga Ba“[106] zuvor, dass meine Eltern zu den ersten Menschen aus Ghana in Deutschland gehörten, erfuhr ich durch das Buch nun von Schwarzen Persönlichkeiten, die schon Generationen zuvor in Deutschland lebten und wirkten. Durch das Lesen dieses Buches wurde mir bewusst, wie oberflächlich die Geschichte von Afrikaner*innen in Deutschland behandelt wird. In der Schule erfährt man nichts darüber, und wenn überhaupt einmal öffentlich von „afrikanischen Migrationsgeschichten“ gesprochen wird, dann häufig undifferenziert, ohne die vielfältigen und komplexen historischen Kontexte der einzelnen Personen oder ihre verschiedenen ethnischen Herkünfte zu berücksichtigen. Das gilt im Besonderen auch für Texte, die sich mit der historischen Präsenz versklavter Menschen afrikanischer Herkunft in Europa beschäftigen: Hier wird oft nur ganz allgemein von „Afrikaner*innen“ gesprochen.[134] Dies führt dazu, dass spezifische Geschichten von Gruppen (wie beispielsweise Ghanaer*innen) im prä-nationalen Deutschland sowie ihr einzigartiges regionales und clanbezogenes Wissen weitgehend übersehen werden. Die Geschichten und Biografien afrikanisch-migrantischer Personen werden somit fast ausschließlich in großen, verallgemeinernden Kategorien betrachtet. Dies vernachlässigt nicht nur die Nuancen und die spezifischen Erfahrungen der verschiedenen Personen und Gruppen, sondern trägt auch zur Unsichtbarmachung ihrer Geschichten und ihres gesellschaftlichen Beitrags bei.[107] Hinzu kommt, dass die Darstellung von Schwarzen Menschen zum Beispiel in deutschen Archiven oder der Kunst(geschichte) lange Zeit von rassistischen und kolonialen Vorurteilen geprägt war. Dies führte dazu, dass Individuen häufig zu marginalisierten, exotischen Objekten degradiert wurden, wie auch in der Abhandlung des Doppelporträts von Boachi und Poku weiter vorne näher ausgeführt wurde.[108] Diese verzerrte Darstellung hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Anerkennung Schwarzer Identitäten und Geschichten.
Erst in jüngerer Zeit entwickelt sich eine Sprache, die die spezifischen Erfahrungen und Diskriminierungen von Schwarzen Menschen in Deutschland (und anderswo) systematisch zu sammeln und adäquat zu erfassen sucht. Entscheidend dafür ist die Entstehung und Etablierung Schwarzer Archive und anderer Initiativen, denen es darum geht, die Geschichte und Kultur Schwarzer Menschen zu dokumentieren, zu bewahren und zugänglich zu machen.[109] Sie fungieren dabei – ganz im Sinne des Sankɔfa-Gedankens – als ein lebendiges Gedächtnis, das nicht nur historische Dokumente, Fotografien und Materialien sammelt, sondern auch Räume schafft, in denen die vielfältigen Erfahrungen und das Erbe der Schwarzen Gemeinschaft anerkannt, erforscht und gewürdigt werden. Solche Archive sammeln und bewahren Materialien, die die Geschichten und Erfahrungen von marginalisierten und unterrepräsentierten Gruppen dokumentieren, insbesondere solche, die mit Kolonialismus, Sklaverei und deren Nachwirkungen verbunden sind. In einem wissenschaftlichen Kontext fungiert die Arbeit Schwarzer Archive als essenzielle Quelle für Forschungen, die sich mit der Dekonstruktion von etablierten Geschichtsbildern auseinandersetzen und ein umfassenderes Verständnis der Vergangenheit fördern.[135] Sie bieten Orte, an denen Schwarze Geschichten und Beiträge zur Gesellschaft sichtbar gemacht und gefeiert werden können. Die Archive tragen somit zur Korrektur des historischen Narrativs bei, indem sie die Präsenz und den Einfluss Schwarzer Menschen in den Vordergrund rücken und ein differenzierteres Verständnis von Vergangenheit ermöglichen. Ihre Bedeutung geht damit weit über die bloße Sammlung von Artefakten hinaus. Sie dienen als kulturelle und pädagogische Werkzeuge, die individuelle und kollektive Erinnerungen bewahren und die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft stärken. Die Bedeutung dieser Archive liegt auch in ihrer Fähigkeit, Lücken in der öffentlichen Erinnerung und Bildung zu füllen, indem sie die Geschichten und Beiträge von Menschen hervorheben, die in den dominanten historischen Narrativen oft übergangen werden. Durch die Bewahrung und das Teilen dieser alternativen Geschichten wird nicht nur das kulturelle Gedächtnis bereichert, sondern es werden auch Strukturen der Ungleichheit und des Privilegs hinterfragt, was zur Schaffung inklusiverer Städte und Räume beiträgt, in denen die vielfältigen Hintergründe und Migrationsgeschichten der Bewohner anerkannt und wertgeschätzt werden. Durch Bildungsprogramme, Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen tragen sie dazu bei, das Bewusstsein für die Auswirkungen des Kolonialismus und der Sklaverei zu schärfen und die Diskussion über Rassismus, Diskriminierung und Gleichberechtigung zu fördern. Die Bedeutung dieser Institutionen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, da sie nicht nur das Wissen über die Vergangenheit bewahren, sondern auch zur Bildung der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen beitragen. Sie ermöglichen es Schwarzen Menschen, ihre eigene Geschichte zu erforschen und zu verstehen, was wiederum das Selbstbewusstsein stärkt und zu einem positiven Selbstbild beiträgt. In diesem Sinne sind Schwarze Archive aktive Teilnehmer im Prozess der Geschichtsschreibung und Identitätsbildung und damit notwendige Institutionen einer lebendigen Erinnerungskultur.
Transkontinentale Erinnerungsforschung erkennt dabei an, das Schwarze Geschichte(n) multilokal geschrieben und gelesen werden. Sie plädiert daher für die Vernetzung lokaler Archive und für Initiativen, Inhalte einem möglichst breit gestreuten Publikum zugänglich zu machen. Die Geschichte Kwasi Boachis, die in dieser Arbeit thematisiert und festgehalten wird, soll in diese Archive und ihre Arbeit einfließen und diese bereichern und vervollständigen. Sie soll dadurch auch dabei helfen, dass ghanaische Migrant*innen in Deutschland ihre eigene Geschichte und Identität besser nachvollziehen und reflektieren können. Mir jedenfalls hat die Beschäftigung mit Boachi gezeigt, dass wir Kinder aus einer „kleinen Schwarzen Mehrheit“[110] tatsächlich „Heimatgeschichten“ haben – nicht aus Ghana, nicht aus Deutschland, sondern aus dem „dritten Raum“, der Diaspora.
3.2 Exit frame! Die Komplexität der Identität von Kwasi Boachi: Von Mehrfachzugehörigkeiten, Intersektionalität und der Notwendigkeit eines differenzierten Blicks
Durch die Erhebung unterschiedlicher Quellen aus ganz unterschiedlichen Orten und Zeiten, stellt sich einer transkontinentalen Erinnerungsarbeit immer auch die Frage danach, auf welche Weise die Geschichten solch vielseitiger historischer Figuren wie Kwasi Boachi am adäquatesten dargestellt, analysiert und ins Schwarze Archiv eingegliedert werden können.
Betrachtet man Boachis Migrationsgeschichte, so steht diese in Beziehung zur sogenannten „alten"[111] Diaspora. Diese umfasst Personen, die im 18. und 19. Jahrhundert in Kolonialstaaten wie die heutigen Länder England, Frankreich, die Niederlande, Deutschland einwanderten. Einige kamen als versklavte Menschen oder Leibeigene,[112] die als Hausdiener*innen oder Musiker*innen für die europäische Elite arbeiteten. Andere, wie Boachi, Poku und weitere Aschanti-Prinzen, kamen für ihre Ausbildung aus Gründen der Diplomatie oder Ausbildung zu christlichen Missionaren und sollten wieder in Ihre Heimat zurückkehren.[113] Schon dieser kurze Blick zeigt, wie divers sich diese Gruppe der „alten Diaspora“ gestaltet und sich eindeutigen Klassifizierungen widersetzt. Ebenso unscharf bleiben Versuche, eindeutige nationale Zugehörigkeiten zu definieren. Anders als bei Mandenga Diek (Madengué Dika), einem Studenten aus Kamerun, Urgroßvater der bekannten Berliner Aktivistin Abenaa Adomako[114], der am 23. November 1896 in Hamburg seine Einbürgerungsurkunde erhielt, und später in Danzig als Kaufmann tätig wurde, zeigt die am 24. Juli 1847 ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung von Boachi, die heute in sächsischen Archiven gefunden wurde [siehe Abb. 14], dass er rechtlich weder Deutscher noch Bürger des Sächsischen Staates war. Dennoch fühlte er sich Deutschland stark verbunden. Ihn daher einer frühen Gruppe „Afro-Deutscher“ oder „Booga“ zuzuordnen, wäre allerdings wenig aussagekräftig.
Boachi selbst sprach von sich meist als „Schwarzer“, „Afrikaner“ und „Aschanti“.[115] Während seiner Zeit in Europa stand für ihn durch den diplomatischen Hintergrund seines Aufenthalts vor allem seine kulturelle Identität im Zentrum. Diese beeinflusste nicht nur seine Perspektiven und Handlungen, sondern unterschied ihn auch von anderen Schwarzen Menschen in Deutschland, die möglicherweise andere kulturelle Hintergründe hatten. Letztlich aber verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in Indonesien, wo er eine Familie gründete und seine vielfältigen Bestimmungen im Beruflichem – als Bergbaustudent, Ingenieursassistent, Büroleiter, Korrespondent der Niederländisch Ostindischen Gesellschaft, Wissenschaftler/Ethnograph[116], Pflanzer, Plantagenbesitzer – und auch seine diversen Aufgaben im sozialen Bereich – als Vereinsmitglied, Mentor für Menschen aus der indo-europäischen sowie indo-afrikanischen Gemeinschaft, Erinnerungsakteur, Bekannter, Nachbar, Freund, Ehemann, Vater, Großvater – seine Identität und seinen Lebensweg bestimmten. All dies illustriert auf eindrucksvolle Weise die Komplexität und Fluidität seiner sozialen Zugehörigkeiten.
Angesichts einer derartig komplexen Migrationsgeschichte, die sich über drei Kontinente und vier Länder (Ghana, die Niederlande, Deutschland und Indonesien) erstreckt, und angesichts multipler Zugehörigkeiten wird deutlich, dass zur Erfassung von Boachis Person und Geschichte über verallgemeinernde, stereotypisierende und anderswie eingeschränkte Perspektiven der Forschung hinausgegangen werden muss. Transkontinentaler Erinnerungsforschung[117] geht es daher immer auch darum, den engen „Rahmen zu verlassen“, in welchen historische Figuren wie Kwasi Boachi in der Vergangenheit oft betrachtet wurden. Sie entwickelt eine umfassendere und nuanciertere Sichtweise, in der Mehrfachzugehörigkeiten ebenso mitgedacht werden wie die jeweiligen politischen und sozialen Dynamiken, in denen sich die Akteure an den vielen verschiedenen Stationen ihres Weges bewegten. Da Schwarze Migrationsgeschichten immer auch mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung und strukturellen Benachteiligung durchzogen sind, verschreibt sie sich immer auch einem kritischen Blick. Dazu liefert vor allem die wissenschaftliche Diskussion um Intersektionalität wichtige Impulse: Als Konzept, das das Zusammenwirken und Überlappen verschiedener sozialer Kategorien und Unterdrückungsmechanismen betont und so über die reine rassische Identifikation hinausgeht, können komplexe Verflechtungen mit anderen sozialen Kategorien wie Geschlecht, sozialer Gesellschaftsschicht bzw. Klasse aufgezeigt werden.[118] Diese Verflechtungen sind entscheidend für das Verständnis vielschichtiger Identitäten und Geschichten: Erst die intersektionelle Analyse des Lebensweges von Kwasi Boachi offenbarte, wie stark die Wechselwirkungen zwischen ethnischer Zugehörigkeit, sozialökonomischem Status, aber auch Geschlecht und weiteren gesellschaftlichen Kategorien seine individuellen Lebenserfahrungen beeinflussten. Sein ethnisches Zugehörigkeitsgefühl z.B. kann nicht isoliert betrachtet werden; es ist eng verknüpft mit den Diskriminierungserfahrungen, die er aufgrund seines Hautfarbtons und seiner Herkunft machte, sowie mit den privilegierten oder benachteiligten Positionen, die ihm im akademischen Kontext zugeschrieben wurden.
3.3 Afrikanische Agency und die Unabgeschlossenheit afrikanischen Erbes: Das Prinzip Sankɔfa in der transkontinentalen Erinnerungsarbeit
Abschließend lässt sich festhalten, dass transkontinentale Erinnerungsarbeit entscheidend auf der Anerkennung afrikanischer Agency beruht. Der Begriff „Agency“ lässt sich im Deutschen als „Handlungsmacht“ oder „Eigenständigkeit“ übersetzen und bezeichnet die Fähigkeit von Afrikaner*innen, als aktive Akteur*innen ihrer eigenen Geschichte(n) und Entwicklungen aufzutreten. Diese Perspektive betont die Rolle, die Afrikaner*innen in der Gestaltung ihrer politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten spielen – innerhalb des Kontinents und in der globalen Diaspora. Afrikanische Agency stellt sich gegen die gängige Darstellung Afrikas als passives Objekt externer Politiken und hebt die aktive Rolle hervor, die Afrikaner*innen bei der Gestaltung ihrer Zukunft einnehmen.
Deshalb und darüber hinaus ist es entscheidend, die Fähigkeit Schwarzer Akademiker*innen zu betonen, ihre eigenen Geschichten und ihr afrikanisches Erbe aktiv zu nutzen. Diese Handlungsmacht ermöglicht es ihnen, aus ihrer Geschichte Kraft und Wissen zu schöpfen, um eine resilientere Zukunft zu gestalten. Sie können so bestehende Machtverhältnisse herausfordern und ihre Identität sowie ihr Wissen in den akademischen Diskurs einbringen. In der Beschreibung von Boachis Biografie wird diese Agency bereits deutlich: Er gestaltete aktiv seinen Lebensweg, traf überlegte Entscheidungen und setzte sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr. Zudem trat er als Kritiker und Kämpfer gegen rassistisch motivierte Unterdrückung auf und wirkte als Bewahrer der Akan-Kultur.
In diesem Kapitel soll die Fähigkeit hervorgehoben werden, aus eigenen Geschichten und afrikanischem Erbe Stärke und Wissen zu gewinnen. Diese Perspektive eröffnet neue Wege für Schwarze Akademiker*innen, um aktiv in den akademischen Diskurs einzutreten und ihre Rolle als Gestalter*innen der Zukunft zu festigen.[136] Im Rahmen meiner transkontinentalen Forschung bin ich auf verschiedene Kontexte gestoßen, in denen Boachis Person und Geschichte Teil derartig aktiver Erinnerungspraxis gewesen ist. Zwei dieser Kontexte möchte ich hier vorstellen: Erstens seine Reflexion und sein Symbolcharakter im Zuge von Ghanas Kampagnen rund um den 400. Jahrestag des Beginns des transatlantischen Sklavenhandels und zweitens seine Aktualisierung und Neuinterpretation durch den niederländisch-afrikanischen Künstler Kenneth Aidoo.
Auf diese erste erfolgreiche Kampagne folgte für die Jahre 2020–2030 dann mit der Kampagne „Beyond the Return“ der Aufruf zu einer Dekade Afrikanischer Renaissance. [siehe Abb. 15] [127] Die Aktivitäten aus dem „Year of return“ wurden in diesem Zuge fortgesetzt. Im Jahr 2024 bot sich anlässlich des 120. Jubiläums von Kwasi Boachis Tod die Gelegenheit, im Rahmen der Festlichkeiten auch seine bemerkenswerte Geschichte zu reflektieren und zu würdigen.[119] Im Zuge des Programms für Black Atlantic Residents 2024 an der LOATAD (Library of Africa and the African Diaspora) in Accra habe ich meine ersten Forschungserkenntnisse zu Kwasi Boachi präsentiert. Dabei habe ich versucht den Zusammenhang der Diaspora-Geschichte und deren Relevanz für die heutige Kampagne „Beyond the Return“zu vermitteln und auch den Beitrag zur Diversifizierung des Schwarzen Archivs beizutragen.
Als zweites Beispiel für eine aktive Erinnerungspraxis anhand von Boachi sind die Werke des Künstlers Kenneth Aidoo zu betrachten. Aidoo ist Teil der ghanaischen Diaspora in den Niederlanden und thematisiert in seiner Kunst die Erfahrungen und Herausforderungen von Menschen afrikanischer Abstammung in der niederländischen Gesellschaft und schärft so das Bewusstsein für historische und gegenwärtige Ungerechtigkeiten.[137] In seinen Werken betont er auch die historische Verantwortung der ehemaligen kolonialen Machthaber und die Notwendigkeit der Versöhnung – ein Engagement, das Früchte trägt[138]: Noch während der Forschungsreise im Rahmen dieser Arbeit in die Niederlande werden der Künstler und die Autorin dieses Textes Zeugen eines historischen Moments: Der niederländische König Willem-Alexander entschuldigte sich am 1. Juli 2023 für die Rolle der Niederlande im Kolonialismus und die damit verbundenen Verbrechen der Sklaverei.[120]
Aidoo erschuf zwei Gemälde von Boachi, die auf die vorangegangenen Porträts von Boachi zurückgreifen. Während ein Werk einen jungen Boachi zeigt und eine Referenz zu Vogels Porträt ist, lehnt die zweite Darstellung Aidoos an ein heute erhaltenes Foto von Boachi aus seinen späteren Lebensjahren an.
Auf einem ersten Bild ist Boachi wie auch bei Vogel in einem Dreiviertelporträt bis zur Brust dargestellt. [siehe Abb. 16] Boachi ist in tiefen Schwarztönen vor einem dunklen Hintergrund zu sehen, seine Kleidung hat der Künstler installativ mit Stoff an der Leinwand befestigt. Boachi ist also in einem weißen ntuma (Stoff) im Akan-Stil dargestellt, was auf Reinheit, Reinigungsrituale und festliche Anlässe hinweist. Aidoo wählt bewusst die Farbe Weiß, da sie symbolisch für Freude und die Feier seiner Rückkehr steht.[139] Aidoo geht in seiner Kunst weniger auf die Rolle von Kwasi Boachi in den Handelsbeziehungen der Aschanti mit den Niederlanden ein und thematisiert auch nicht seine Haltung zum Sklavenhandel. Vielmehr stellt das Porträt eine Versöhnung mit der Vergangenheit dar, indem es auf die Darstellung europäischer Kleidung verzichtet und stattdessen durch das weiße ntuma an die Symbolik der Aschantitradition anknüpft. Boachis beeindruckende Lebensgeschichte und Identität werden dadurch explizit in ghanaischen Traditionen verankert.
Auch im zweiten Bild führt der Künstler Boachi zurück in seine Heimat. Es zeigt Boachi als älteren Herrn, der über einem traditionell anmutenden Stoff eine Bauarbeiter-Warnweste trägt, die auf einen nie ausgeübten Beruf hindeutet. [siehe Abb. 17]
Durch die Darstellung von Szenarien, die nicht unbedingt einer tatsächlichen Geschichte entsprechen, eröffnet das Bild neue Perspektiven und regt dazu an, über Identität, Geschichte und soziale Gerechtigkeit nachzudenken.[121] Begleitet werden seine Werke von Social Media Posts, in denen Aidoo über Boachis Erfahrungen als Bergbauingenieur in den Niederlanden und in Indonesien, sein berufliches Scheitern aufgrund von Rassismus und auch die Gründung einer Familie in Indonesien schreibt. Immer wieder drückt er dabei auch den Wunsch aus, dass Boachi nach all den Herausforderungen die Möglichkeit gehabt hätte, nach Ghana zurückzukehren.[122] Auch im Interview mit der Autorin des Textes im Januar 2024 reflektierte der Künstler das Thema Rückkehr:
„Ich wünschte, dass [Boachi], nachdem er Rassismus und Rückschläge in den Niederlanden und auch in Indonesien erlebt hatte, selbst hätte erkennen können, dass die Rückkehr nach Ghana eine Option sein könnte.”
In seinen Neuinterpretationen möchte der Künstler also auch ein Nachdenken darüber anregen, wie Boachis Leben hätte aussehen können, wenn er nach Ghana zurückgekehrt wäre. Der künstlerische Ansatz, Boachi zu einer Symbolfigur zu machen, regt dazu an Gespräche zu den Themen Versöhnung und Rückkehr zu eröffnen. Die historische Figur des Boachi reflektiert bis heute das Schicksal vieler Menschen in der Diaspora und auch deren Gemeinden. Der Transfer der erhaltenen Porträts von Boachi in eine zeitgenössische Position macht das Thema nicht nur greifbar, sondern erinnert zugleich an das Schicksal der realen historischen Person Boachis sowie an die anderen Individuen, die Teil dieser gemeinsamen Geschichte sind, wie auch Kwame Poku. Diese Auseinandersetzung bringt das Leben und die Bedeutung Boachis in den heutigen Kontext und öffnet Raum für eine tiefere Reflexion über die Geschichte und deren Fortwirkung auf die Gegenwart.
Im Zuge der ghanaischen Feierlichkeiten in Folge des „Year of Return“ steht Boachi – neben anderen historischen Persönlichkeiten – symbolisch für afrikanische Widerstandskraft und dient als Quelle der Inspiration für Durchhaltevermögen und Resilienz, während er durch Aidoos Kunst zum Prisma wird, durch das die Themen Versöhnung und Chancen der Rückkehr reflektiert werden können. In beiden Erinnerungspraktiken ist dabei der Sankɔfa-Gedanke prägend: In der Auseinandersetzung mit Geschichten und Objekten aus dem Schwarzen Archiv wird ein positiver Bezug zur Vergangenheit hergestellt, um daraus eine starke und resiliente Zukunft aufzubauen.
“Sankɔfa is a necessary journey into the past of our indigenous culture so that we can march into the future with confidence and with a sense of commitment of our cultural heritage.”[123]
Derartige Erinnerungspraxis im Sinne von Sankɔfa hilft den verschiedenen Akteuren in ihrem Bestreben, sich selbst und die Welt besser zu verstehen und zu gestalten, das Wohlbefinden und die Widerstandsfähigkeit Schwarzer Communities zu fördern und die eigene Identität in eine historische Kontinuität zum afrikanischen bzw. migrantischen Erbe zu setzen.[132] Damit ist sie von elementarer Bedeutung für viele drängende Fragen gegenwärtiger Afrikanischer Diasporagemeinden. Transkontinentale Erinnerungsarbeit widmet sich neben der Durchsuchung von Archiven und historischen Quellen daher immer auch den gegenwärtigen Aktualisierungen afrikanischen Erbes. Nur indem sie diese prinzipielle Unabgeschlossenheit afrikanischen Erbes anerkennt, die sich im Kern des Sankɔfa-Gedankens befindet, kann transkontinentale Erinnerungsarbeit einer von afrikanischer Agency geleiteten Geschichtsschreibung gerecht werden.
4. Danksagungen
Zu Beginn meiner Forschung im März 2023 hatte ich die Ehre, das Manhyia Museum, das Manhyia Archiv und das Verwaltungsbüro des Aschantikönigs in Kumasi zu besuchen. Dort konnte ich wertvolle Gespräche mit Mitgliedern und Mitarbeitenden des Aschantikönighauses sowie des Opoku Ware II Museums an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) zu führen. Besonders dankbar bin ich für die großzügige Erlaubnis, aus der Diaspora heraus zur Erinnerung und Biographie von Kwasi Boachi zu forschen, die mir vom Chief of Staff, Mr. Kofi Badu, im Verwaltungsbüro des Aschantikönigs erteilt wurde. Diese Unterstützung hat mir den Zugang zu wichtigen historischen und kulturellen Quellen ermöglicht und meine Forschung maßgeblich bereichert. Entscheidend für die vertiefende Forschungen in Universitätsarchiven in Accra waren Archivleiterin Mrs. Judith Boateng aus dem J.H. Nketia Archive und Kurator im Museum des Institute of African Studies (University of Ghana, Accra) Mr. Philip Owusu. Ohne ihre wichtigen Hinweise hätte ich keinen Einblick in die Zusammenhänge der Aschantitraditionen in der Wissenschaft gehabt. Ich danke auch vielen weiteren Universitätsprofessor*innen und Mitarbeitenden aus anderen ghanaischen Städten, aus Deutschland, den Niederlanden und den USA. Besonders möchte ich Prof. Katharina Schramm, Prof. Tiffany Florvil, Prof. Meike Lettau, Dr. Anitha Oforiwah Adu-Boahen, Dr. Annika Hampel, Rev. Emmanuel Badu-Amoah, Jonathan Doe sowie Mitarbeitenden von Museen, Archiven und politischen Gremien wie Karl Klemm, Annett Wulkow Moreira da Silva, Petra Pilgram und Lucy Obeng danken. Ein besonderer Dank gilt auch Dr. Sarah Lentz vom Institut für Geschichtswissenschaften der Universität Bremen für die Einführung in die digitale Archivrecherche zu Kwasi Boachi und für die Übersetzung der Briefe. Ich danke auch Mitarbeiter*innen aus zivilgesellschaftlichen und Regierungsorganisationen wie z.B. Jennifer Tosch, Gründerin der Black Heritage Tours, die mich auf die weiteren Gemälde von Boachi in den Niederlanden aufmerksam machte und Sofia Lovegrove aus Dutch Center for International Cultural Cooperation, die mein Interesse weckte, mich auf meiner Reise in den Niederlanden mit der Geschichte der Belanda Hitam (Indonesisch „Black Dutchmen“) zu befassen. Ganz großen Dank an die Gründerin Sylvia Arthur sowie den Manager, Seth Avusuglo, aus der LOATAD (Library of Africa and the African Diaspora), bei denen nicht nur ich in meiner eigenen Residency ein Zuhause hatte, sondern auch zwölf ausgewählte Residents des „Black Atlantic 2024“ Programms aus den unterschiedlichen afrikanischen Diaspora-Gemeinschaften aus Europa, Afrika und den Amerikas, denen ich meine ersten Forschungserkenntnisse vortragen durfte.
Ich möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen der fca – Foundation of Contemporary Arts in Accra bedanken, die mit ihrem Format „Art and Conversation“ ein aktives Netzwerk von Künstlerinnen schaffen und ein kritisches Forum für die Entwicklung zeitgenössischer Kunst bieten. Ihre Unterstützung und die Möglichkeit, in diesem Umfeld zu arbeiten, haben meine Forschung bereichert und wichtige Perspektiven eröffnet. Ich danke den Historiker*innen in Bremen für die Möglichkeit, als „Fachfremde“ auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Globalgeschichte (GfGG) meine Forschung vorzutragen. Die Offenheit für interdisziplinäre Herangehensweise schätze ich sehr. Vielen Dank, dass ich meine ersten Forschungserkenntnisse vortragen durfte.
Ein herzlicher Dank geht auch an den Künstler Kenneth Aidoo in den Niederlanden für seine Bereitschaft, über seine Kunst zu Kwasi Boachi und dessen Bedeutung für die ghanaische Diaspora in den Niederlanden zu sprechen.
Ich danke der Illustratorin Soufeina Hamed, Tuffix, die seit 2021 meine wissenschaftlichen Beiträge zum Thema Erinnerungsaktivismus visuell darstellt und auch für dieses Forschungsprojekt ein Graphic Recording erstellt hat.
Danke an die Forschungsgruppe "Antropology of Inequalities" an der Univeristät Bayreuth die meinen ersten Forschungstext Entwurf im sehr frühen Stadium gelesen haben und deren Feedback ich versucht habe umzusetzen. Es war eine lange Reise und ich bin Euch allen sehr dankbar, dass ich auch immer wieder zwischendurch mit Einzelnen von Euch über die sehr intensive Erkenntnisse auf dieser Reise reden konnte. Danke!
Vielen Dank an Isabel Raabe und Dr. Maret Kupka von Talking Objekt für die Vernetzung zu dieser tollen SKD Projektplattform und vielen Dank auch, dass ich meine Forschung in La PALABRE: Lessons Learnt vorstellen durfte.
Die LOATAD Residency in Ghana führte zu Begegnungen mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen wie Esther Armah[128] und Dr. Kirstie Kwarteng[129], die ebenfalls der sogenannten „second generation“ angehören und wertvolle Beiträge zur Forschung leisteten aus denen ich einiges für diese Arbeit ableiten konnte. Ich möchte mich herzlich bei beiden für den Austausch bedanken.
Großen Dank an das gesamte Forschungsteam der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, Prof. Dr. Doreen Mende, Dr. Holger Birkholz und Elisabeth Schmidt. Besonderen Dank auch Antonella Bianca Meloni, die die Kapitel 1 und Kapitel 3 zu den kunsthistorischen Analysen mit mir im Tandem geschrieben hat. Herzlichen Dank auch an die Generaldirektion Dr. Marion Ackermann für diese Chance meine Arbeit vorzustellen. Auch danke ich dem Digital Curator Team der SKD, Jacob Franke und Dr. Martin Zavesky, für ihren unermüdlichen Einsatz diesen komplexten Forschungstext mit dieser doch eher ungewöhnlichen Visualisierung in diese Plattform zu integriren. Vielen herzlichen Dank!
Ganz herzlichen Dank auch meiner Familie, die mir nochmal deutlich gemacht hat, wie wichtig orales, community-basiertes Wissen aus Ghana für die Erforschung der Geschichte der ghanaischen Diaspora außerhalb Ghanas ist. Nyame Yehowa adom ara kwa.
5.1 Transkripte
Transkript Boachi Brief 25.10.1849, gefunden im Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, 13.11.2023, (übersetzte Handschrift von Dr. Sarah Lentz, Uni Bremen)
Werthester Freund!
Meinen herzlichsten Dank sage ich Ihnen für Ihre so freundliche Zeilen, und für Ihren so herzlichen Wunsch.
Wie schmerzlich es mir ist, vielleicht bald, so viele gute Freunde zu verlassen, zu verlassen auf eine unbestimmte Zeit, kann ich Ihnen nicht sagen, vielleicht wird meine Abreise verschoben, oder auch nur nach Holland stattfinden. Ich erwarte jeden Tag einen Brief aus Holland, der darüber entscheiden wird.
Ich danke Ihnen für die Güte und Freundlichkeit, daß Sie eine Lithographie von mir annehmen wollen, und ich bin so frei gewesen, eine davon an unserem Freunde Hess [Fr. Alb. Ferd. Hess aus Borne in Sachsen, 1847 an Bergakademie eingeschrieben] zur Hand zu stellen, und er wird Sie recht bald schicken, so oft Sie das Bild ansehen, behalten Sie denn ein freundliches Andenken von mir.
Unendlich würde es mich freuen, so Sie mir noch vor meiner Abreise Ihre Silhouette könnten zukommen lassen; 1 Duzend Silhouetten ist bald gemacht vorzüglich in Leipzig; wann ich abreisen werde, weiß ich noch nicht, und ich bitte darum herzlichst, so es Ihnen möglich ist, mir eine davon zu schicken, sollte ich nicht mehr hier sein, so wird Hess es im Empfang nehmen; und haben Sie noch die Güte, Wagner [Adolph Wagner (?) 1843 eingeschrieben, aus Cörzweiler und mittlerweile Bergcandidat zu Freiberg] und Tümpling [es gibt anscheinend ein Adelsgeschlecht von Tümpling, aber ich konnte ihn nicht unter den Studies finden, wohnen aber anscheinend in Freiberg] daran zu erinnern, daß sie mir ihre Silhouette auch schicken. Hess bittet auch um Ihre Silhouette.
Was noch aus unseren Luftschlössern und schönen Pläne wird weiß ich noch nicht, wir wollen das Beste hoffen und wünschen; [ ... Wort unleserlich] ob wir nicht einst noch Hochzeit feiern am Rhein, und dann ist die Freude des Wiedersehens umso größer!
Und nun leben Sie recht wohl; vergessen Sie mich nicht; daß es Ihnen stets wohl ergehe ist mein aufrichtigster und herzlichster Wunsch, und so Sie sich später die Reihe Ihrer Freunde durchgehen und die schöne Zeit des Studentenlebens im Geiste zurückrufen, so behalten Sie denn ihn auch in freundlicher Erinnerung,
2
der Ihrer stets und überall, auch jenseits des Meeres in wahrer und treuer Freundschaft gedenken wird als
Ihr treuer, aufrichtiger Freund
Aquasie Boachi
Freiberg den 25ten October 1849
Abends 6 Uhr
Viele Grüße an Wagner und Tümpling und aus der Ferne werden Sie herzlochst gegrüßt von den Freibergern.
Pet 96 Aufenthaltskarte
für
den Prinzen, Herrn Aquasi Boachi, aus Aschanti
in Afrika,
Auf die Zeit der Vorlesungen bei der H. Bergakad. hier,
Nach Verlaufe dieser Zeit ist diese Karte binnen 24 Stunden bei Vermeidung von einem Thaler -"-" Geld, oder verhältnißmäßiger anderer Strafe, von dem Hauswirth, oder, nach Befinden, Logisgeber bei der hiesigen Polizeiexpedition (?) wieder abzugeben
Freiberg, den 24. Juli 1847.
Acht Neugr. (?) Gebühren sind
bezahlt, - Fischer Stadtvoigt
Die Stadt-Polizei-Behörde
6 Referenzen / Anmerkungen
[1] Kapitel 1 sowie die Porträtanalyse in Kapitel 3 wurden von Antonella Bianca Meloni, Kunsthistorikerin und zur Zeit der Entstehung des Essays Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, unter Mitarbeit von Andrea-Vicky Amankwaa-Birago verfasst.
[2] In der deutschen und niederländischen Kunstgeschichte und in den Archiven wird hauptsächlich die Schreibweise „Aquasi Boachie“ verwendet (so schrieb Kwasi Boachi auch selbst seinen Namen). Die vorliegende Arbeit orientiert sich an der Asante Twi Schreibweise „Kwasi". Diese wurde von deutschen Missionaren wie Gottlieb Christaller und David Asante in den 1870er Jahren eingeführt. Es bleibt unklar, ob Kwasi Boachi im Austausch mit Christaller und Asante stand oder sie persönlich kannte. Dennoch führte er in seinen Erzählungen Asante Twi Begriffe wie „Cumasi" (auf Deutsch: Kumasi) oder „Oheneba" (auf Deutsch: Königssohn) in den deutschen Sprachraum ein, noch bevor Christaller das erste Akuapem Wörterbuch verfasst hatte. Dies verweist auf seine kulturelle Verbundenheit und sein Engagement für die Verbreitung seiner Herkunft und Sprache in einem fremden Umfeld, vgl. J.G. Christaller: A Grammar of the Asante and Fante Language Called Tshi (Twi, Chee) Based on the Akuapem Dialect With Reference to Other (Akan and Fante) Dialects. Basel, 1875.
[3] Die Bezeichnung „alla prima“, aus dem Italienischen „beim ersten“, beschreibt eine Nass-in-Nass Malmethode, bei der ohne Schichtung der Ölfarben direkt das Endgemälde entsteht und die ohne Trockenzeiten auskommt.
[4] „Schwarze Personen“ oder auch „Schwarze Menschen" ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine gesellschaftliche Position, die von Rassismus betroffen ist. „Schwarz" wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und nicht um eine tatsächliche Eigenschaft, die auf die Hautfarbe zurückzuführen ist.
[5] Vgl. David Bindman, Henry Louis Gates Jr. (eds.): The Image of the Black in Western Art, From the American Revolution to World War I: Black Models and White Myths. Cambridge/London: The Belknap Press of Harvard University Press, 2012, xi ff.
[6] Ann-Sophie Arnold: Afrikaner werden „entdeckt“, in: Ulrich van der Heyden: Unbekannte Biographien: Afrikaner im deutschsprachigen Europa vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Berlin: Kai Homilius Verlag, 2008.
[7] Vgl. Monica L. Miller: Slaves to Fashion: Black Dandyism and the Styling of Black Diasporic Identity. Durham/London: Duke University Press, 2009, S. 11.
[8] Ina Weinrautner, Die Sammlung von Porträts von Carl Christian Vogel von Vogelstein in Dresden, Magisterarbeit Universität Bonn 1990
[9] Raden Saleh (1811–1880) entstammte ebenso wie Boachi einer adligen Regentenfamilie. Über die Verbindungen zur Ostindienkompanie erhielt er zuerst in Java und schließlich in den Niederlanden eine umfassende Ausbildung, die ihm ermöglichte Maler zu werden und weitere Bildungsreisen anzutreten. Anfang der 1840er Jahre befand er sich parallel zu Boachi in Dresden. Für eine weitere Beschäftigung mit der Person Saleh soll an dieser Stelle auf die Publikation des Lindenau-Museums in Altenburg verwiesen werden: Julia M. Nauhaus (Hg.): Raden Saleh (1811–1880): Ein javanischer Maler in Europa [anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Lindenau-Museum Altenburg vom 29. Juni bis 22. September 2013]. Altenburg/Thüringen: Lindenau Museum, 2013.
[10] Kwasi Boachi wohnte bei Caroline Geudtner aus der Künstler*innenfamilie von Hermann und Rudolph Geudtner in der Petersstraße in Freiberg. Vgl. Beilage des Freiberger Anzeigers vom 25. August 1882.
[11] Nauhaus 2013, S.34.
[12] Ein weiteres Porträt, eine Zeichnung, die Saleh zeigt, befindet sich heute in der bereits erwähnten Sammlung Vogel von Vogelsteins des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
[13] Das Porträt von Carl Vogel von Vogelstein wurde möglicherweise als Andenken gemalt, was im mittleren 19. Jahrhundert eine gängige Praxis war. In dieser Zeit war es üblich, Porträts anzufertigen, um die Erinnerung an geliebte Menschen oder bedeutende Persönlichkeiten zu bewahren.
[14] Nauhaus 2013, S.118.
[15] Als einer von vielen Fällen soll hier auf den prominenten Fall von Fotografin Annie Leibovitz verwiesen werden, deren Fotografien von Schwarzen Modellen in den letzten Jahren vielfach diskutiert wurden: https://www.theguardian.com/commentisfree/2022/aug/23/annie-leibovitz-ketanji-brown-jackson-vogue-photos, abgerufen am 18.07.2024.
[16] Es könnte sich hier um eine phyrgische Mütze handeln, zu der Zeit ein in Europa gebräuchliches Symbol, um sich als Anhänger einer republikanischen und demokratischen Freiheitsbewegung zu bekennen. Da eine umfassende Bildanalyse dieses Werkes den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen würde, sei auch an dieser Stelle auf die Altenburger Publikation (Nauhaus 2013) verwiesen.
[17] Obwohl die Produktion gestiegen ist und der Stoff nun einem breiteren Publikum zugänglich ist, bleibt er bis heute ein Symbol für Reichtum, hohen Status und kulturelle Finesse.
[18] Zu den Bedeutungen der Kente-Stoffe und deren Farben wurde die Mutter (*1944) der Autorin Amankwaa-Birago mündlich interviewt. Sie ist gelernte Lehrerin aus Ghana und Tochter eines Kente-Verkäufers aus der Aschanti-Region, Isaac Frempong (1914–1979).
[19] Orales Wissen aus der Akan-Gemeinschaft, aus einem Audiointerview über WhatsApp Audio am 19.05.2024 mit Kwame Brenya, Philosoph und Künstler, und Megbona, Künstler, die beide der Kwame Nkrumah University of Science and Technology, Fachbereich „Sculpture and Arts Department“ verbunden sind.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Vgl. Otumfuo Nana Osei Agyeman: Prempeh II: History of the Asante. Oxford: Oxford University Press, 2022.
[23] Audiointerview mit Kwame Brenya und Megbona, 19.05.2024.
[24] Es handelt
sich hier um das Buch „Bijdragen tot de natuurlijke geschiedenis van den negerstam“
aus dem Jahr 1842, abrufbar unter
https://wellcomecollection.org/works/e429ugbs/items?canvas=74, abgerufen am
20.07.2024. Als
Schwarze Autorin möchte ich darauf hinweisen, dass wir Originaltexte mit
diskriminierenden Titeln in die Fußnote setzen. Das bedeutet nicht, dass diese
Texte keinen Wert haben, sondern dass sie verletzende Begriffe wie das N-Wort
enthalten. Das Wort wird durchgestrichen, um die problematischen Auswirkungen
solcher Begriffe zu reflektieren und zu kritisieren. Diese Methode soll eine
respektvolle Auseinandersetzung mit dem Thema anregen.
[25] François Bernier: Nouvelle division de la Terre, par des différentes espèces ou Races d’hommes qui l’habitent”, in: Journal des Sçavants pour l’année, MDCLXXXIV, 1684.
[26] An dieser Stelle ist Tim Huisman, Konservator und Kurator am Rijksmuseum Boerhaave in Leiden, herzlich zu danken. Im Austausch mit der Co-Autorin dieses Kapitels, Antonella Bianca Meloni, leistete er fachliche Unterstützung zur Bildgeschichte des Leidener Doppelporträts, da eine vertiefte Forschung in Leiden den Rahmen dieser Arbeit überschritten hätte.
[27] Übersetzung des Originaltitels:
Bijdragen
tot de natuurlijke geschiedenis van den negerstam.
[28] Original: „Ik bezit van dezelfde hand ook eene olijverwschilderij, welke deze twee knapen en face voorstelt, doch waarvan ik, om de kosten van mijn werk niet te zeer te verhoogen, geene copie meende te moeten geven.“, van der Hoeven 1842, S.68.
[29] Original: „voor vijf jaren“, ebd.
[30] Setth Oppng: History of Psychology in Ghana since 989AD, in: Psychological Thought,10(1): 7–48, 2017. Hier: S.26.
[31] Kweku Ananse ist eine beliebte fiktive Figur, die in vielen mündlichen und später auch schriftlichen ghanaischen Erzählungen vorkommt. Ananse bedeutet „Spinne“ in der Akan-Sprache. Ähnlich wie andere Volksmärchen sind Ananse-Geschichten, traditionell als Anansesem bekannt, Erzählungen über verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens, über die Ursprünge von Orten, Tieren, kulturellen Werten und Traditionen. Man nimmt an, dass die Ananse-Geschichten im 16. Jahrhundert ihren Ursprung hatten und Teil der mündlichen Tradition der Aschanti-Völker Ghanas in Westafrika waren. Ananse‘sem sind in ganz Westafrika und Teilen der Karibik weit bekannt.
[32] Adinkra sind visuelle Symbole, die Konzepte, Sprichwörter und Aphorismen darstellen und ursprünglich von den Gyaman in Ghana und der Elfenbeinküste stammen. Sie wurden zunächst auf Stoffen bei königlichen Zeremonien verwendet. Das älteste erhaltene Adinkra-Tuch wurde 1817 hergestellt. Es zeigt 15 gestempelte Symbole, darunter nsroma (Sterne), dono ntoasuo (doppelte Dono-Trommeln) und Diamanten. Die Muster wurden mit geschnitzten Kalebassenstempeln und einem pflanzlichen Farbstoff aufgedruckt. Seit 1818 befindet sich das Tuch im Britischen Museum. Heute finden heute jedoch Anwendung in Logos, Kleidung, Möbeln und Architektur. Adinkra repräsentieren die Tiefe der Akan- und afrikanischen Kultur und sind weltweit als Symbole afrikanischer Philosophie anerkannt, besonders in der afrikanischen Diaspora.
[33] San- bedeutet “zurück”, Ko- bedeutet “gehen”, Fa- bedeutet “nehmen”.
[34] In der Doktorarbeit „Doing Memory on Anton Wilhelm Amo. A Booga Ba’s intervention“, an der die Autorin des Textes zur Zeit noch arbeitet, wird noch näher auf das Verständnis vom „Schwarzen (deutschen) Archiv“ eingegangen.
Fort São Jorge da Mina, heute auch Elmina Castle genannt, ist das älteste Gebäude, in dem versklavte Menschen in Ghana untergebracht wurden. Vgl. hierzu: Rattray, Captain R. S.: Ashanti Law and Constitution. By Captain R. S., Oxford: Clarendon Press, 1929. Die niederländische Goldküste (“Dutch Gold Coast”) bildete eine wichtige niederländische Kolonie in Westafrika, die nach dem Einstieg der Niederländer in den regionalen Handel um 1598 etabliert wurde, anfangs neben den Portugiesen, die bereits seit dem späten 15. Jahrhundert dort aktiv waren und Fort Elmina 1482 errichtet hatten. Die niederländische Präsenz verfestigte sich schließlich mit dem Bau von Fort Nassau im Jahr 1612 und der Eroberung von Fort Elmina im Jahr 1637. Das Gebiet blühte als Handelszentrum auf, insbesondere im Gold- und Sklavenhandel, bis die Abschaffung des Sklavenhandels zu seinem Niedergang führte. Die Niederländer traten das Territorium 1872 nach den anglo-niederländischen Verträgen an die Briten ab. Trotz des letztendlichen Abzugs der Niederländer blieb die Goldküste eine Region mit einer dichten Konzentration europäischer militärischer Architektur. Vgl. hierzu: Larry Yarak: Asante and the Dutch, 1744–1873. Oxford: Clarendon Press, 1990.
[36] Das Aschantikönigreich sowie andere mächtige Staaten wie Benin und Dahomey handelten bereits vor der Ankunft der Europäer mit versklavten Menschen (vgl. Otumfuo 2022). Die Beteiligung der Aschanti am transatlantischen Sklavenhandel ist ein komplexes Thema, das sowohl die internen Dynamiken innerhalb der Aschanti-Gesellschaft als auch den Einfluss der europäischen Kolonialmächte berücksichtigen muss. Das Aschantikönigreich konnte durch diesen Handel erhebliche wirtschaftliche Gewinne erzielen, was zur Stärkung seiner Macht an der Westküste Afrikas beitrug.
[37] “Ashanti Empire, circa 1800,” Karte aus: Willie F. Page, R. Hunt Davis Jr. (eds.): Encyclopedia of African History and Culture, Vol. III, S. 21, 2005. Copyright: Infobase. Reprinted with permission of the publisher.
[38] Der Titel „Asantehene“ stammt aus der Twi-Sprache und lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen. Oft wird er als „Aschantikönig“ wiedergegeben, doch diese Übersetzung erfasst nicht die volle Bedeutung des Begriffs.
[39] Vgl. Otumfo 2022.
[40] Schmiede genossen gerade im vorkolonialen Afrika ein hohes Ansehen und wurden oft mit Königen in Verbindung gebracht oder arbeiteten für diese. Erst nachdem während des Kolonialismus große Goldvorkommen im heutigen Ghana entdeckt wurden, verbreitete sich neben der Kunst des Eisenschmieds auch die Kunst des Goldschmieds. Vgl. Patrick McNaughton: The Mande Blacksmiths: Knowledge, Power, and Art in West Africa (Traditional Arts of Africa). Bloomington: Indiana University Press, 1993.
[41] Owusu-Ansa (1822–1884) war der Sohn des Aschantikönigs Osei Bonsu, der von 1804 bis 1824 regierte. Als Teil eines politischen Abkommens wurde er den Briten als Pfand übergeben und in England ausgebildet. Während seiner Karriere diente er verschiedenen Rollen: als Agent der britischen Kolonialverwaltung, Wesleyanischer Missionar und Gesandter des Aschantikönigs. Schließlich ließ er sich in Cape Coast nieder, besuchte jedoch gelegentlich Aschanti. Zusammen mit seinem Cousin Owusu Kwantabisa (1819–1858), dem Sohn des Aschantikönigs Osei Yaw Akoto, wurde er 1831 den Briten als „Pfand“ übergeben. In diesem Kontext bedeutete „Pfand“, dass die beiden Prinzen als Garantie oder Sicherheit für die Einhaltung politischer oder militärischer Vereinbarungen dienten. Diese Praxis war im Kolonialzeitalter üblich, um die Einhaltung von Vereinbarungen durch lokale Herrscher zu sichern. Die verpfändeten Personen wurden in England ausgebildet und übernahmen später verschiedene Funktionen sowohl für die britische Kolonialverwaltung als auch für ihre eigenen Gemeinschaften.Vgl. I. S. Ephson, A Gallery of Gold Coast Celebrities, Accra, 1969
[42] Siehe hierzu: Gijsbertus Koolemans Beijnens Beitrag in Philipp Christiaan Molhuysen, Petrus Johannes Blok, Laurentius Knappert: Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek. Leiden: A.W. Sijthoff ,1921, S. 1012–1015.
[43] Otumfuo ist ein Herrschaftstitel aus der Aschantikultur, der mit „Allmächtiger“ übersetzt werden könnte.
[44] Yarak 1990.
[45] Um die gesetzlichen Vorschriften von Anti-Sklaverei-Gesetzen zu umgehen, wurden ausgeklügelte Manöver angewandt. Diese umfassten häufig die Nutzung rechtlicher Lücken und semantischer Feinheiten, um die tatsächlichen Absichten der Gesetze zu umgehen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Praxis der „Schuldknechtschaft“ oder „Vertragsarbeit“, bei der Personen formal als freie Arbeiter betrachtet wurden, aber aufgrund von langfristigen Verträgen und wirtschaftlicher Abhängigkeiten tatsächlich in eine Form der Knechtschaft versetzt wurden. Durch diese Vorgehensweise konnten die Beteiligten die oberflächlichen Wortlaute der Anti-Sklaverei-Gesetze erfüllen, während die betroffenen Personen weiterhin in Verhältnissen lebten, die denen der Sklaverei gleichkamen. Solche Praktiken machen deutlich, wie kompliziert und herausfordernd es war, Gesetze zur Beseitigung der Sklaverei durchzusetzen. Auch die im Abkommen zwischen Kwaku Dua Panin I. und König Wilhelm I. der Niederlande verwendete offizielle Bezeichnung als „freiwillige Rekruten", war eine solche Möglichkeit, rechtliche Vorschriften zu umgehen und die wahre Beschaffenheit des Handels zu verschleiern.
[46] Lebensdaten konnten in der Literaturrecherche nicht ermittelt werden.
[47] Larry W. Yarak: Kwasi Boakye and Kwame Poku: Dutch-educated Asante ‘Princes’, in: Enid Schildkrout (ed.): The Golden Stool: Studies of the Asante Center and Periphery. New York: American Museum of Natural History, 1987.
[48] Vgl. Otumfuo 2022.
[49] Carl Schiffner: Aus dem Leben alter Freiberger Bergstudenten. Freiberg: Ernst Mauckisch, 1935, S. 328.
[51] Der Begriff wurde von Boris Nieswand geprägt, als er in seiner Dissertation „Ghanaian Migrants in Germany and the Status Paradox of Migration: a multi-sited ethnography of transnational pathways of migrant inclusion" (2011) vom Phänomen des Statusparadoxons der Migration im 21. Jahrhundert sprach: Es beschreibt den Umstand, dass ghanaische Migrant*innen in ihrem Herkunftsland oft einen hohen sozialen Status genießen, während sie in der Diaspora tendenziell einen relativen Statusverlust erleben. Diese Beobachtung stellt einen zentralen Punkt in der Analyse von Migrationserfahrungen dar und spiegelt sich deutlich in den Leben von Boachi und Poku wider. Kwasi Boachi und sein Cousin Kwame Poku, beide Mitglieder des Ashanti-Königshauses, illustrieren, wie dieses Phänomen schon vor der theoretischen Konzeptualisierung durch Nieswand präsent war. Boachi und Poku erlebten, dass ihre königliche Herkunft und ihre soziale Stellung in Ghana ihnen in Europa nicht den gleichen Status verschafften. Das soziale Prestige, das sie in ihrer Heimat genossen, wurde in der europäischen Gesellschaft relativiert. Dennoch konnten beide durch ihre Bildung und ihre kulturelle Identität ein neues Prestige erlangen, was zeigt, wie Bildung und soziale Mobilität innerhalb eines neuen kulturellen Kontextes als Mittel zur Statusaufwertung dienen können, auch wenn die traditionelle Hierarchie des Herkunftslandes nicht vollständig übertragen werden konnte.
[52] Schiffner 1935, S.328.
[53] Vgl. Petrus Johannes Blok und Philipp Christiaan Molhuysen: Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 7, 1927.
[54] https://www.dbnl.org/tekst/molh003nieu07_01/molh003nieu07_01_0258.php, aufgerufen 22.07.2024.
[55] Ebd.
[56] Boachis Entscheidung nach Freiberg zu gehen war das Ergebnis wohlüberlegter Bemühungen. Bereits in den Niederlanden hatte er sich mit dem deutschen Prinzen Herrmann Bernhard Georg von Sachsen-Weimar-Eisenach (1825–1901) angefreundet. Er kannte also schon Personen in Deutschland. Auch erhielt er von ihm ein Empfehlungsschreiben für die 1765 gegründete Bergakademie Freiberg. Ein weiteres Empfehlungsschreiben stellte ihm das niederländische Kolonialministeriums aus.
[57] Bernhard von Cotta: Das Zentralfeuer, in: Meyer's Monats-Hefte. Deutsch-amerikanische Zeitschrift für Literatur, Kunst und Gesellschaft, 1(2), 1853: S. 139–140.
[58] Siehe Schiffner 1935, S.327.
[59] Dieser informelle Wissensaustausch, der durch persönliche Interaktionen und informelle Netzwerke stattfand, bleibt in der wissenschaftlichen Forschung oft undokumentiert. Zwar könnte dieser Bereich möglicherweise durch Briefwechsel oder persönliche Aufzeichnungen nachvollziehbar gemacht werden, doch solche Quellen sind häufig schwer zugänglich oder nicht systematisch erfasst. Hier liegt ein bedeutender Forschungsschwerpunkt, da diese informellen Netzwerke und der Austausch von Wissen zwischen migrantischen Studierenden und internationalen Gemeinschaften bislang in vielen Bereichen der Wissenschaft weitgehend unbeachtet bleiben. Eine detaillierte Untersuchung dieses informellen Austauschs könnte neue Einblicke in die Art und Weise bieten, wie Wissen über offizielle akademische Kanäle hinaus verbreitet wird und wie kulturelle Perspektiven die wissenschaftliche Praxis beeinflussen. Dieser Bereich der Wissensvermittlung und -zirkulation ist daher noch unterforscht und sollte in künftigen Studien stärker in den Fokus rücken.
[60] Bernhard von Cotta: Erinnerungen aus Aschanti, in: Fortschritte der Geographie und Naturgeschichte 63, 1848.
[61] Das Adae Kese Festival, auch bekannt als das „große Adae“ (wobei „Kese“ für „groß“ und „adae“ für „Tag“ steht), zählt zu den bedeutendsten Festen des ghanaischen Volkes der der Aschanti. Zudem dient das Festival der Reflexion und Ehrung der Errungenschaften und der Geschichte des Königreichs Asante. Die Autorin Andrea-Vicky Amankwaa-Birago wurde im Jahr 2024 von den Mitarbeiter*innen des Aschantipalastes eingeladen, dem Fest beizuwohnen. Wie in den vergangenen Jahrhunderten verlief das Festival auch in diesem Jahr nach traditionellen Mustern. Das Adae Kese Fest erlangte zwischen 1697 und 1699 besondere Bedeutung und markierte einen wichtigen historischen Meilenstein für das Asante-Reich. Nachdem das Reich nach dem Unabhängigkeitskrieg, der Schlacht von Feyiase gegen die Denkyira, seine Staatlichkeit erreicht hatte, wurde das Fest eingeführt, um die Errichtung des Goldenen Stuhls (Thron) im Jahr 1700 zu feiern. Das Adae Kese wird gefeiert, um bedeutende historische Ereignisse des Asante-Reiches zu würdigen. Im Rahmen dieses Festes werden die Überreste verstorbener Könige, die in einem Mausoleum auf dem heiligen Begräbnisplatz in Bantama, einem königlichen Vorort von Kumasi, aufbewahrt werden, geweiht. Das Festival spielt eine zentrale Rolle bei der Herstellung einer Verbindung und einem Gefühl der Einheit und des Glaubens zwischen den Lebenden und den Ahnengeistern. Es dient als Gelegenheit zur Stärkung der historischen und spirituellen Bindungen innerhalb der Gemeinschaft und zur Betonung der Kontinuität der der königlichen Traditionen. Vgl. Rattray 1929, hier ein Mitschnitt des Festivals 2024: https://www.youtube.com/watch?v=ULtft08iuSg, aufgerufen am 10.05.2023.
[62] Während der Recherchen der Autorin Andrea-Vicky Amankwaa-Birago an der University of Ghana von September bis Dezember 2023, genauer gesagt im Performing Arts-Department sowie im J.H. Nketia Archiv, konnte nicht ausfindig gemacht werden, um welches Lied es sich bei der sogenannten „Aschanti Hymne” handelt. Es könnte sein, dass die Melodie aus musikalischen Fragmenten der Erinnerungen besteht, die Boachi hatte. Liszt Spiel orientierte sich dabei an der Melodie, die Boachi ihm zuvor vorgesungen hatte.
[63] Vgl. Adam Jones: Franz Liszt und die Musik Afrikas, in: AfS-Magazin 3, 1997, S. 24–27; zu finden unter https://www.bmu-musik.de/fileadmin/Medien/BV/Archiv_AfS/nr._3_1997/AfS-Mag03_Jones.pdf, aufgerufen am 10.05.2023.
[64] Diese Informationen stammen aus dem mündlich überlieferten community basiertem Wissen der Eltern der Autorin. Eine ausschließliche Interpretation durch deutsche Experten für Wappen stößt hier an ihre Grenzen, da Kenntnisse über afrikanische Clan-Symbole in der europäischen Forschung nicht weit verbreitet sind. Daher wäre es sinnvoll, Boachis Wappen in zukünftigen Forschungen von einem gemeinsamen Team aus ghanaischen und deutschen Expert*innen umfassend untersuchen zu lassen. Der Archivar Dr. Eckhart Leisering hat darauf hingewiesen, dass es möglicherweise Briefe mit dem entsprechenden Stempel in Familienarchiven von Personen geben könnte, die mit Boachi befreundet waren. Bisher konnten solche Briefe jedoch in den staatlichen Archiven Deutschlands, Ghanas und der Niederlande nicht gefunden werden.
[66] Rattray, 1928
[67] Kwasi Boachis stimmgewaltige Erinnerungen an seine Heimat im Aschanti-Reich tragen zu dem bei, was man als „königliche Erzählung“ oder „royale Narrative“ (in Englisch “royal narratives") bezeichnen könnte. Sie bieten einen einzigartigen Einblick in die Lebensrealität von Schwarzen Menschen mit königlichem Hintergrund und tragen dazu bei, historische Lücken zu füllen und vielfältige Perspektiven zu präsentieren. Zu Kwasi Boachi finden wir zahlreiche persönliche Aufzeichnungen und Dokumentationen in Archiven in Sachsen und Amsterdam, die einen eigenen Archivraum öffnen, den ich hier als „black royal archive" betrachte. Diese Erzählungen beleuchten die persönlichen Beschreibungen politischer, kultureller und sozialer Umstände aus afrodiasporischer, royaler Perspektive. Royal narratives bieten oft eine distanzierte, aber informierte Perspektive auf koloniale Machtverhältnisse, während slave narratives aus der unmittelbaren Erfahrung und dem Widerstand der Versklavten heraus geschrieben werden. Texte, die von Kwasi Boachi selbst verfasst wurden sowie die Erinnerungen, die er seinem Betreuer Professor Bernhard Cotta über das Aschantiland mitteilte und die er dann in wissenschaftlichen Vorträgen teilte, sind daher besonders wertvoll. Sie bieten eine intersektionale Perspektive für die deutsche Leserschaft, die sonst vielleicht nicht bekannt wäre. Kwasi Boachi nutzte seine Stimme als Privileg, um sich aktiv zu erinnern, seine Zuhörerschaft an seiner Erinnerung teilhaben zu lassen und gleichzeitig als Erinnerungsakteur zu agieren.Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Biographien Slave Narratives” wie z.B. Olaudah Equiano, The Interesting Narrative of the Life of Olaudah Equiano, London, 1789 sowie Frederick Douglass, Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave, Boston, 1845 aus dem Genre als mitunter die ersten in Englisch verfassten Texte, die in deutscher und niederländischer Sprache wurden, die dem europäischen Leser Einblicke verschafften in die Realität von Schwarzer Selbst- und Fremdwahrnehmung zu jener Zeit. Es lässt sich nicht ausschliesen, dass auch Kwasi Boachi und Kwame Poku Zugang zu dieser Literatur hatten und sich mit anderen intersektionalen Identitätsgeschichten aus Schwarzer Perspekitve auseiandergesetzt haben . Vgl. Germany and the Black Diaspora: Points of Contact, 1250-1914 (Studies in German History, 15) Taschenbuch – Illustriert, 6. Juli 2016Englisch Ausgabe von Mischa Honeck (Herausgeber), Martin Klimke (Herausgeber), Anne Kuhlmann (Herausgeber),vgl: Huisman, M. H. (2015). Verhalen van vrijheid: Autobiografieën van slaven in transnationaal perspectief, 1789-2013. Uitgeverij Verloren.
„Royal Narratives“ in der afrikanischen Diaspora sind ein bislang wenig erforschtes Thema, das dringend mehr Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung erfordert. Im Gegensatz zu den häufig untersuchten „Slave Narratives“, die die passiven, erzwungenen Erfahrungen von versklavten Menschen darstellen, bieten „Royal Narratives“ eine aktive Form der Auseinandersetzung mit Geschichte und Identität. Sie entstehen aus den Perspektiven von Afrikanern, die aus königlichen oder hochrangigen Familien stammten, oder solchen, die durch Bildung und Status in der Diaspora eine gewisse Machtposition innehatten. Diese Erzählungen reflektieren nicht nur die individuelle Erfahrung von Unterdrückung, sondern auch das Streben nach politischer, sozialer und kultureller Wiederaneignung von Macht und Würde. Sie geben einen Einblick in die komplexe Interaktion zwischen kolonialer Unterdrückung und traditioneller Führung, die eine einzigartige Perspektive auf die afrikanische Diaspora ermöglicht. Diese königlichen Erzählungen, die oft von Geburtsrecht, Bildung und politischer Autorität geprägt sind, stehen in starkem Kontrast zu den „Slave Narratives“ und erfordern eine vertiefte, differenzierte Forschung, um ihre Bedeutung und ihren Einfluss in der Diaspora-Geschichte vollständig zu verstehen.
[68] Vgl. Michael Rapport: 1848: Year of Revolution. New York: Basic Books, 2009.
[69] Ebd.
[70] Dänemarks finanzielle Einschränkungen führten 1850 letztendlich zum Verkauf der Forts an Großbritannien, was das Ende der dänischen kolonialen Ambitionen in Afrika markierte. Am 30. März 1850 wurden alle dänischen Territorien und Forts an der Goldküste an Großbritannien verkauft und in die britische Kolonie Goldküste eingegliedert. Das Aschantireich setzte seinen Niedergang unter Prempeh I., der 1888 den Thron bestieg, fort. Während seiner Herrschaft wurde Aschanti am 1. Januar 1902 offiziell zur britischen Kronkolonie erklärt. Am selben Tag wurden die früheren nördlichen Provinzen separat zum Protektorat der Nordterritorien der Goldküste erhoben. Siehe: Walton Claridge: A History of the Gold Coast and Ashanti. London: Frank Cass & Co, 1964.
[71] Ebd.
[72] Als Grundlage für die folgenden Ausführungen dienen vor allem Briefe und andere historische Dokumente, die europäischen Quellen entstammen. Damit hat sich die bisherige Forschung primär auf Korrespondenzen mit europäisch sozialisierten Individuen konzentriert, die entweder freundschaftlich oder beruflich mit Boachi verbunden waren. Darüber, wie Kwasi Boachi als Schwarzer in einer vorwiegend weißen Gesellschaft gelebt hat und wie seine Kontakte zu Menschen in Afrika seine Gedanken über eine mögliche Rückkehr beeinflusst haben könnten, gibt es nicht viele Informationen. Es ist unklar, ob er Verbindungen zu seiner Familie im Aschantiland pflegte, wie seine Beziehungen zu anderen afrikanischen Studierenden in Europa waren und welche Rolle seine Begegnungen mit versklavten Personen in europäischen Herzogshäusern sowie ehemals Versklavten aus Suriname oder den USA spielten. Auch ist nicht ausreichend erforscht, ob anti-koloniale Literatur seine Sichtweisen veränderte. Hier zeigt sich eindeutig noch ein Forschungsdesiderat.
[73] Brief von Kwasi Boachi an G. S. de Veer, 25.01.1850 (aus dem niederländischen übersetzt), in: ARA, Minierien de Kolonien.
[74] Die begrenzte Dokumentation zu Kwame Poku ist ein aufschlussreiches Beispiel für die Herausforderungen, die mit der Erforschung der Geschichte von Rückkehrern aus kolonialen Kontexten verbunden sind. Trotz seiner potenziell bedeutenden Rolle in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Goldküste gibt es nur wenige schriftliche Quellen über sein Leben, wie etwa ein Porträt, aber keine erhaltenen Briefe oder Zeitungsartikel. Diese Knappheit an Dokumenten ist nicht ungewöhnlich, besonders wenn es um Personen aus kolonisierten Gesellschaften geht, deren Geschichte oft unvollständig oder durch koloniale Machtstrukturen verzerrt dokumentiert wurde. Ein zentraler Faktor für diese Lücke in der Dokumentation ist die koloniale Dynamik, die dazu führte, dass viele Aspekte der Geschichte von Rückkehrern nicht ausreichend aufgezeichnet wurden. Während westliche und koloniale Archive häufig detaillierte Aufzeichnungen über Individuen aus kolonisierten Ländern führten, fehlten oft umfassende Dokumentationen über die Rückkehrer selbst. Diese Diskrepanz verdeutlicht die Notwendigkeit, alternative Quellen wie mündliche Überlieferungen, kulturelle Artefakte und andere historische Dokumente zu nutzen, um ein vollständigeres Bild von Personen wie Kwame Poku und ihrem Einfluss auf die Geschichte der Goldküste zu erhalten. Zusätzlich zu diesen Herausforderungen spielt das königliche Archiv des Aschantikönigreichs eine entscheidende Rolle in diesem Kontext. Hier könnte es Informationen über Kwame Poku geben, die jedoch absichtlich nicht der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Historische Dokumente und Aufzeichnungen, die im privaten Familienarchiv des Aschantikönigtums aufbewahrt werden, könnten wichtige Einblicke in Pokus Leben und seine potenziellen Beiträge zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung bieten. Das bewusste Schweigen und die selektive Archivierung solcher Informationen reflektieren eine bewusste Entscheidung, bestimmte Aspekte der Geschichte privat zu halten oder nur einem eingeschränkten Personenkreis zugänglich zu machen.
[75] Schiffner 1935, S. 328.
[77] Ebd.
[78] Vgl. Kwame Essien: Brazilian-African Diaspora in Ghana: The Tabom, Slavery, Dissonance of Memory, Identity, and Locating Home. Michigan: State University Press, 2016.
[79] Hermann W. von Hesse and Larry W. Yarak: A Tale of Two "Returnee" Communities in the Gold Coast and Ghana: Accra's Tabon and Elmina's Ex-Soldiers, 1830s to the Present; in: The International Journal of African Historical Studies, 2018, S. 197–217.
[80] Vgl. David Jenkins: Black Zion: The Return of Afro-Americans and West Indians to Africa. London: Wildwood House, 1975.
[81] Vgl. Yarak 1987, S. 131–145.
[82] Ebd.
[83] Vgl. hier als Beispiel den Artikel “Die Gartenlaube”, Heft 48, Leipzig: Ernst Keil. 1860, S. 811.
[84] C. Fasseur: De weg naar het paradijs en andere Indische geschiedenissen. Amsterdam: Bert
Bakker, 1995, S.143.
[85] Adam Jones, in: Emmanuel Kwaku Akyeampong, Henry Louis Gates, Jr. (eds.): Dictionary of African Biography, Volumes 1–6. Oxford: University Press, 2012, S. 268.
[86] Vgl. https://vangorselslist.com/pdf/Pioneers_samples_vol_2_feb2022_van_gorsel.pdf, aufgerufen 10.05.2023.
[87] Aus: J.T. van Gorsel: Pioneers and Milestones of Indonesian Geology, 2: Geological Survey, Volcanology. Bandung: ITB Press, 2022, S.23, abgerufen unter: https://vangorselslist.com/pdf/Pioneers_samples_vol_2_feb2022_van_gorsel.pdf am 20.07.2024.
[88] Vgl. Maarten Kuitenbrouwer: Dutch Scholarship in the Age of Empire and Beyond: KITLV - the Royal Netherlands Institute of Southeast Asian and Caribbean Studies, in: Rosemarijn Hoefte, Henk Schulte Nordholt (eds.): Verhandelingen van het Koninklijk Instituut voor Taal- Land- en Volkenkunde, Vol 289, 2014, abgerufen unter https://web.archive.org/web/20180721070745id_/https://pure.knaw.nl/ws/files/1414020/Poeze_Dutch_Scholarship.pdf am 11.12.2023.
[89] Vgl. Blok, Molhuysen 1927.
[90] Ebd.
[91] Ebd.
[92] Erschienen in: De Locomotief: Samarangsch handels-en advertentieblad 24(7), 1871.
[93] Ein anderes Beispiel ist Abdul Rahman (1762–1829), ein Prinz aus dem Fula-Königreich aus Fouta Djallon in Guinea, der die drastischen Auswirkungen des transatlantischen Sklavenhandels erlebte. Nachdem er mit 26 jungen Jahren gefangen genommen und gegen seinen Willen und den seiner Familie nach Amerika verschifft wurde, war er gezwungen über 30 Jahre in einem System der Versklavung zu leben, das seine soziale und wirtschaftliche Position drastisch einschränkte, bevor er in seine Heimat zurückkehren konnte. Trotz seiner hohen Herkunft und Bildung in Afrika sah sich Abdul Rahman in den USA extremen rassistischen und kolonialen Barrieren gegenüber. Seine Versuche, durch den Einsatz von Unterstützern wie Dr. John Coates Cox und den US-Konsulaten seine Freiheit zu erlangen, verdeutlichen die geringen Handlungsspielräume, die ihm zur Verfügung standen. Diese Bemühungen zeigen auf, wie tief verwurzelt und strukturell die Benachteiligungen für Schwarze Menschen aller Gesellschaftsschichten waren, die auch durch institutionelle Unterstützung kaum überwunden werden konnten. Vgl. Terry Alford: Prince among slaves. The true story of an African prince sold into slavery in the American South. New York: Oxford University Press, 1986.
[94] Obwohl der Wechsel von Kwasi Boachi vom Ingenieur zum Pflanzer auf den ersten Blick als „sozialer Rückschritt“ interpretiert werden könnte, weist er tatsächlich auf eine tiefere Verbindung zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Aschantireiches hin. Die Wirtschaft des Aschantireiches war primär auf den Handel mit Gold, landwirtschaftlichen Exporten und den Sklavenhandel angewiesen. In der damaligen Zeit galt die Tätigkeit als Pflanzer unter den Aschanti der oberen Mittelschicht als ehrenhaft, was auch für Boachi zutraf. Zudem konnte im 19. Jahrhundert die Tätigkeit als Pflanzer in Indonesien durchaus profitabel sein, insbesondere wenn man über Zugang zu umfangreichem Land und Ressourcen verfügte.
[95] Es gibt nur wenige Aufzeichnungen über Kwasi Boachis Privatleben während seiner Zeit in Indonesien. Die meisten Informationen, die wir haben, betreffen seine berufliche Tätigkeit und sind hauptsächlich in digitalisierter Form in den staatlichen Archiven der Niederlande zu finden. Vgl. Kuitenbrouwer 2014, S. 47 ff.
[96] Ebd.
[97] Arnold 2008, S. 27.
[98] Die Gartenlaube. Leipzig: Ernst Keil, 1870, S. 811.
[99] Ein besonders vielversprechendes Forschungsfeld stellt die Untersuchung von Familienarchiven und privaten Sammlungen von Boachis Freunden dar. Es ist plausibel, dass sich in diesen Archiven wertvolle Dokumente, wie zum Beispiel Briefwechsel, befinden könnten, die weitere Erkenntnisse über Boachis Beziehungen zu seinen deutschen Bekannten und seinen Aufenthalt in Deutschland liefern. Ein konkreter Anhaltspunkt für solche Quellen ist ein Zeitungsartikel, der in der Beilage des Freiberger Anzeigers vom 25. August 1882 veröffentlicht wurde. Dieser Artikel enthält einen Brief von Kwasi Boachi, aus dem deutlich wird, wie gut vernetzt er in Deutschland war. Solche Dokumente sind von besonderem Interesse, da sie persönliche und direkte Einblicke in Boachis soziale Netzwerke und seine Integration in die deutsche Gesellschaft bieten. Für eine umfassende Rekonstruktion von Boachis Beziehungen zu Deutschland und seiner deutschen Umgebung ist es daher naheliegend, diese familiären und privaten Archive systematisch zu durchsuchen. Die Analyse solcher Quellen könnte nicht nur das Verständnis von Boachis persönlichem Netzwerk vertiefen, sondern auch einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der transnationalen Dynamiken jener Zeit leisten. Zusätzlich könnte eine Folgeforschung weitere Materialien ans Licht bringen, die die Verbindung zwischen Boachi und Deutschland weiter beleuchten. Dies würde nicht nur zur Erweiterung der bestehenden Kenntnisse über Boachis Einfluss und Integration beitragen, sondern auch die Rolle Deutschlands in der transkulturellen Migration des 19. Jahrhunderts präzisieren. Das gezielte Studium solcher Quellen könnte somit bedeutende neue Perspektiven auf die Verflechtungen zwischen Ghana und Deutschland an der Person Boachi eröffnen.
[100] Vgl. P. Caljé: De jongens van weleer, in: E. Henssen (ed.): Het Corps als Koninkrijk: 150 Jaar Delftsch Studenten Corps. Hilversum: Uitgeverij Verloren, 1998.
[101] Arnold 2008.
[102] Allison Blakely: Blacks in the Dutch world. The evolution of racial imagery in a modern society. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1993.
[103] Diese Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen und in verschiedenen Berufen erfolgreich zu sein, ist eine Erfahrung, die viele Migrant*innen heute teilen. Sie müssen oft ihre ursprünglichen Berufe oder sozialen Stellungen hinter sich lassen und sich in neuen, oft herausfordernden Umgebungen zurechtfinden. Diese Anpassungsfähigkeit und der Wille, in verschiedenen Bereichen erfolgreich zu sein, sind wesentliche Merkmale, die Migrant*innen helfen, in neuen Gesellschaften Fuß zu fassen und sich zu integrieren.
[104] Arnold 2008.
[105] Danke an Tuffix, die mir die Möglichkeit gab, Auszüge, Bilder und wissenschaftliche Momentaufnahmen aus meinem Audio-Forschungstagebuch, das ich zwischen März 2023 und Februar 2024 führte, zu teilen. Aus diesen Materialien entstand das Graphic Recording. Es stellt nicht nur durch visuelle Kommunikation dar, wo ich war und was ich an den jeweiligen Orten entdeckte, sondern vermittelt auch den Gedanken einer gezielten Intervention.
[106] Der Begriff „Booga“ ist eine im ghanaischen Kontext bekannte Kategorie. Sie bezieht sich auf ghanaische Migrant*innen in Deutschland, speziell auf „Hamburger“ und wurde von Angehörigen von ghanaischen Migrant*innen entwickelt, die sich auf dem Kontinent befinden. „Ba“ bedeutet Kind. Es handelt sich um ein so genanntes „Migrantenkind“, bei dem beide Elternteile ghanaischer Herkunft sind, die in Deutschland in den 1970er / 1980er Jahren geboren oder aufgewachsen sind und überwiegend dort sozialisiert wurden.
[107] Vgl. Tina Campt: Image Matters: Archive, Photography, and the African Diaspora in Europe. Durham: Duke University Press, 2012.
[108] Ein weiteres Beispiel für eine solche Degradierung in der Kunstgeschichte ist die Verwechslung von Personen wie Anton Wilhelm Amo mit anderen historischen Persönlichkeiten wie Lois Benoit Zamor (1762–1820), Jacobus Capitain (1717–1747) oder Gannibal Petrovic ( 1696–1781). Es ist wichtig, solche Verwechslungen aufzudecken und zu korrigieren, um die korrekte Identität der Personen zu klären und die Genauigkeit und Authentizität der Kunstgeschichte zu gewährleisten. Weitere Informationen zu diesem Thema siehe: C. A. Meissner und J. C. Brigham: Thirty years of investigating the own-race bias in memory for faces: a meta-analytic review, in: Psychology, Public Policy, & Law, 7(1), 2001, S. 3–35.
[109] Dabei hat sich in den letzten Jahren in Europa und Afrika eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen, die sich in der Zunahme von Institutionen manifestiert, die von Schwarzen Bibliotheksinhaber*innen sowie Forscher*innen zur Erweiterung des Schwarzen Archivs betrieben werden. Diese Entwicklung ist ein Zeichen für die wachsende Selbstbestimmung, Sichtbarkeit und Forschungserweiterung von afro-europäischen, afrikanischen, afro-diasporischen und Schwarzen Menschen. Der Betrieb von Bibliotheken und Archiven durch Schwarze Menschen in Europa und Afrika stellt einen Akt der Selbstrepräsentation und des kulturellen Widerstands dar.
[110] In Anlehnung an Gianni Jovanovics Buch „ Wir, Kinder der kleinen Mehrheit“ aus dem Jahr 2023. Die Autorin bezieht sich auf die Idee der „kleinen Mehrheit“, um die Bedeutung und den Wert von Identität und Geschichte für Nachkommen der Diaspora, wie den ghanaischen Transmigranten in Europa, zu unterstreichen. Jovanovic verwendet den Begriff „kleine Mehrheit“, um zu betonen, dass auch zahlenmäßig kleinere Gruppen wertvoll und beachtenswert sind und dass sie nicht akzeptieren sollten, wie die Gesellschaft sie abwertet. Die Forschung, die die Autorin anspricht, bietet diesen Nachkommen eine Plattform, um ihre eigene Geschichte zu rekonstruieren und ihre Identität im Kontext einer langen und oft komplexen Migrationsgeschichte zu reflektieren. Dies ist besonders wichtig für Menschen, die oft Ablehnung und Diskriminierung erfahren, weil sie nicht dem dominanten Gesellschaftsbild entsprechen. Jovanovic hebt hervor, dass es viele Menschen gibt, die als Minderheiten betrachtet werden, obwohl sie in Wirklichkeit Millionen von Individuen mit eigenen Lebensrealitäten sind.
[111] Mit der sogenannten „neuen Diaspora“ wird das Migrationsphänomen von ghanaischen Migranten beschrieben, die ab der Unabhängigkeit in den 1960–1980er Jahren in die Niederlande migrierten. Siehe auch Yarak 1990, hierzu gehören die Been-Tos und auch die Booga-Bewegung. Vgl. Steve Tonah: Ghanaians Abroad and Their Ties Home: Cultural and Religious Dimensions of Transnational Migration. Bielefeld: COMCAD, 2007.
[112] Immer offensichtlicher in der Forschung zum Thema Handel mit versklavten Menschen in Europa wird, dass die deutschen Königreiche und die Kleinstaaten nicht nur passiv-ökonomisch, sondern aktiv am Sklavenhandel beteiligt waren. Die Spuren reichen bis nach Sachsen. Der Handel mit Versklavten aus der Karibik und Afrika war aus Retroperspektive ein interdisziplinäres transnationales Projekt. Auf Sklavenschiffen waren Sklavenhändler, Plantagenbesitzer, Aufseher, Seeleute, Soldaten und Reisemediziner tätig. Für diesen Zweck benötigt man Handelsunternehmen und Niederlassungen der europäischen Nachbarn und Mithändlern. In den außereuropäischen Kolonien und Handelsplätzen finden sich Hinweise auf den Sklavenhandel, die sich bis in deutsche Gebiete und Städte ausdehnen. Die Deutschen versorgten Plantagen mit Kapital, Schiffen, Kleidung und Ausrüstung, tauschten Waren gegen Menschen an der afrikanischen Küste aus und verbrauchten koloniale Waren, die von Sklavenarbeit hergestellt wurden. Die ökonomischen Folgen dieser Beteiligung waren in manchen Gebieten des Alten Reiches so bedeutend, dass sich die Einwohnerzahl dort innerhalb von fünfzig Jahren verdoppelt hat. Mehr dazu in Rebekka von Mallinckrodt: Sklaverei und Recht im Alten Reich. Ein Überblicksbeitrag zur Rechtsgeschichte der Sklaverei im Alten Reich (in Vorbereitung, Stand 2023).
[113] Vgl. Anne Kuhlmann-Smirnov: Schwarze Europäer im Alten Reich: Handel, Migration. Hof und Göttingen: V&R unipress, 2013.
[114] Im Buch „Farbe bekennen" wird erzählt, dass schon seit vielen Generationen Afrikaner in Deutschland leben. Die Familie Diek, die darin zum Beispiel vorkommt, ist bereits in der fünften Generation in Deutschland zu Hause. Vgl. May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz (eds.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 2020. Siehe auch https://migrations-geschichten.de/die-geschichte-der-familie-diek-die-sich-seit-fuenf-generationen-fuer-die-rechte-schwarzer-deutscher-einsetzt/, abgerufen am 02.06.2024 und https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1283919.php , abgerufen am 10.03.2023 sowie https://www.dw.com/en/black-and-german-the-afrodeutsch-story/a-64272967, abgerufen am 10.03.2023.
[115] Auch kam es
vor, dass er den Begriff „Neger" verwendete, um sich selbst zu
beschreiben. Jedoch kam dies zumeist im Kontext von Zeitungsartikeln zu tragen,
in denen er auf die Rassismuserfahrungen hinwies, die er in den Niederlanden
und Indonesien machte. Ansonsten bezeichnete er sich überwiegend als Aschanti
und Afrikaner. Es ist wichtig zu beachten, dass die Verwendung des Begriffs
offensichtlich auch damals schon überwiegend als abwertend und beleidigend
angesehen wurde.
[116] Kwasi Boachi hat sich in seinen Schriften mit der Untersuchung verschiedener Kulturen auseinandergesetzt. Besonders in seinem Artikel „Notizen über die Chinesen auf der Insel Java", der in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft erschien, widmete er sich der chinesischen Gemeinde auf Java. Er erforschte deren Alltagsleben, Traditionen und gesellschaftliche Organisation und hielt seine Beobachtungen fest. Diese Arbeiten stellen einen wichtigen Beitrag zur ethnographischen Wissenschaft aus einer Süd-Süd-Perspektive (ggfs. auch afrikanisch-asiatischer Regionalwissenschaften) dar, indem sie Einblicke in eine Kultur bieten, die zu seiner Zeit noch selten Gegenstand aus einer Schwarzen Perspektive war. Vgl. Aquasie Boachi, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Vol. 9, No. 3/4 (1855), S. 808-823
[117] Transkontinentale Erinnerungskultur bezieht sich auf das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen, die über nationale Grenzen hinweg Bedeutung haben und oft verschiedene Kontinente betreffen. Diese Art der Erinnerungskultur erkennt an, dass die Geschichte und das kulturelle Gedächtnis von Menschen und Gemeinschaften durch Ereignisse geprägt sind, die auf globaler Ebene stattgefunden haben, wie zum Beispiel Kolonialismus, Sklavenhandel, Weltkriege oder Migration. Sie betont die Notwendigkeit, Geschichte aus einer multiperspektivischen Sicht zu betrachten, die die Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Regionen der Welt berücksichtigt. Ziel ist es, ein umfassenderes Verständnis der Vergangenheit zu fördern und zur Versöhnung und zum Dialog zwischen Kulturen beizutragen. Vgl. De Cesari, Chiara, und Ann Rigney, Hrsg. Transnational Memory: Circulation, Articulation, Scales. Band 19 der Reihe Media and Cultural Memory, 2014.
[119] Ebenso gefeiert wurden hier im Jahr 2024 das 100. Jubiläum der Rückkehr von Otumfuo Prempeh I aus dem Exil und das 25. Jubiläum der Krönung von Otumfuo Osei Tutu II. Vgl. Otumfuo 2022. Auch könnte das 290. Jubiläum der ersten wissenschaftlichen Dissertation einer Person of Color gefeiert werden: Anton Wilhelm Amo (ca. 1700–ca. 1759), der ebenfalls aus einer Akan- Gemeinschaft stammte und seine Dissertation mit dem Titel: De humanae mentis apatheia (Über die Empfindungslosigkeit des menschlichen Geistes) veröffentlichte.
[120] Diese historische Entschuldigung fand im Oosterpark in Amsterdam statt. Der 1. Juli ist ein bedeutendes Datum, da es der Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei in den niederländischen Kolonien ist, bekannt als Keti Koti. Diese Geste zeigt ein tiefes Bewusstsein und eine Anerkennung der historischen Verbrechen, die im Namen des niederländischen Staates und des Königshauses begangen wurden. Die Entschuldigung ist nicht nur symbolisch, sondern auch ein wichtiger Schritt zur Versöhnung und Heilung der Wunden, die durch die Sklaverei und den Kolonialismus verursacht wurden. Vgl. Fernsehbeitrag über die Entschuldigung des niederländischen Königs https://www.youtube.com/watch?v=AX2hBUHYroY, 10.05.2024.
[121] Die Arbeit des Künstlers Aidoo ist von Saidiya Hartmans Konzept der „Critical Fabulation“ beeinflusst, das Fiktion und Spekulation bevorzugt, wenn es darum geht, marginalisierte Geschichten (neu) zu schreiben. Vgl. Saidiya Hartman: “Venus in Two Acts”, in: Small Axe 12(2), 2008, S. 1–14, hier: S. 11f.
[122] In einem Interview im Dezember 2023 mit Kenneth Aidoo betonte der Künstler, wie spannend es wäre zumindest die Geschichte Boachis zurück nach Ghana zu bringen – wissend, dass sich viele bis heute fragen, warum Boachi nie zurückgekehrt ist. Vgl. https://www.linkedin.com/posts/kenneth-aidoo-8b049b27_after-graduating-on-the-technical-university-activity-7127988170415124481-Vpns, abgerufen am 12.01.2024.
[123] Zitat von N.K. Dzobo im Buch des bekannten ghanaischen Philosophen Kwame Gyekye: Tradition and Modernity. Philosophical Reflections on the African Experience. Oxford: University Press, 1997.
[124] Es ist bekannt, dass fünf Jahre nach der Entstehung des Porträts die Stofffabrik von Vlisco gegründet wurde. Vlisco wurde 1846 ins Leben gerufen, und bereits zu dieser Zeit gab es Stoffe, die unter anderem auch von Kente-Mustern inspiriert waren. Dieser Austausch trug zur Entstehung des „Dutch Wax Prints“ bei, der sowohl indonesische als auch afrikanische kulturelle Symbole vereint und bis heute weit verbreitet ist (vgl. Vermeulen, Ingelies, 2008: „Van boerenzakdoek tot Afrikaanse mode: Kleurrijke wereldstoffen van Vlisco“, in: Handwerken zonder grenzen, 146, van Kessel, Ineke).
[125] Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz. Orlanda Frauenverlag, Berlin 2020.
[128] Esther Armah ist eine preisgekrönte Journalistin, Autorin, Dramatikerin und Medienpersönlichkeit. Sie ist bekannt für ihre Arbeit in den Bereichen Medien, Rassengerechtigkeit und Heilung. Armah hat in verschiedenen Ländern gearbeitet, darunter Großbritannien, Ghana und die USA. Sie ist die Gründerin und Geschäftsführerin von "The Armah Institute of Emotional Justice," einer Organisation, die sich auf die Heilung von „race trauma“ und die Förderung emotionaler Gerechtigkeit konzentriert. Ihre Arbeit umfasst auch das Schreiben und Produzieren von Theaterstücken, die sich mit sozialen und politischen Themen auseinandersetzen. https://www.theaiej.com/
[129] Dr. Kirstie Kwarteng ist eine Forscherin und Aktivistin, die sich auf afrikanische Diaspora-Studien und soziale Gerechtigkeit spezialisiert hat. Sie hat in verschiedenen akademischen und gemeinnützigen Organisationen gearbeitet und sich auf Themen wie Migration, Identität und kulturelles Erbe konzentriert. Kwarteng ist bekannt für ihre Arbeit zur Förderung des Verständnisses und der Unterstützung von afrikanischen Diaspora-Gemeinschaften. Sie hat auch an verschiedenen Projekten und Initiativen mitgewirkt, die sich mit der Geschichte und den Erfahrungen von Menschen afrikanischer Abstammung befassen. https://www.thenanaproject.org/team
[130] Der Titel „Building (B)ridges beyond the Portrait – Mapping Memories of Kwasi Boachi – Exit Frame!“ verweist auf die Brückenbildung zwischen den Erinnerungen an Kwasi Boachi und den kreativen, kollektiv entwickelten Praktiken von dem ghanaischen Kurator*innen und Künstler*innen Kollektiv Exit Frame, die ich zu Beginn meiner Forschung kennengelernt und schätzen habe. In diesem Kontext wird der Begriff „Building Bridges“ als Metapher für die transformative Arbeit des Kollektivs verwendet, das neue Modelle der Kunstproduktion und Wissensaustausch schafft. Das Kollektiv Exit Frame in Ghana versteht sich als Plattform, die durch ihre unkonventionellen und pädagogischen Ansätze einen Raum schafft, in dem das Bewusstsein für historische und gegenwärtige Fragen, auf innovative Weise weiterentwickelt werden können. https://critlab.exitframecollective.org/about-critlab/
[131] Im Aschanti-Reich gab es ein System von Kontrollmechanismen, um sicherzustellen, dass der Staat seine Pflichten nicht vernachlässigte und seine Macht nicht missbrauchte. Die Entscheidung über die Thronfolge und die Wahl des Asantehene wurde von verschiedenen einflussreichen Gremien getroffen. Zu diesen gehörten die Asantehemaa (Queenmother), die Nsafohene (politische Amtsträger in der Hauptstadt Kumasi) und die Amanhene (Herrscher der anderen Aschanti- Staaten im 18/19. Jahrhundert). Diese Institutionen hatten nicht nur die Aufgabe, den Asantehene auszuwählen, sondern konnten ihn auch aus dem Amt entfernen, wenn dies notwendig erschien. Das Zusammenspiel dieser Institutionen gewährleistete eine Balance der Macht und eine faire Auswahl des Thronfolgers. Vgl. Rattray, Robert Sutterland, Aschanti Law and Constitution, 1929.
[132] Owusu, Philip (2019). Adinkra Symbols as “Multivocal” Pedagogical/Socialization Tool. Contemporary Journal of African Studies, 6(1), 46-58. Adinkra Symbols as “Multivocal” Pedagogical/Socialization Tool | Contemporary Journal of African Studies
[133] Dies ist ein spannendes Beispiel, weil es direkt mit der Idee aus dem Text zu „Regions of Memory“ verknüpft ist. Kwasi Boachi kommunizierte durch die Veröffentlichung von Cotta über geografische und kulturelle Grenzen hinweg, was zeigt, dass Erinnerungsräume nicht an bestimmte geografische oder theoretische Kategorien gebunden sind. Vielmehr ermöglichen solche Räume einen interdisziplinären und internationalen Dialog, der über (post-)koloniale Diskurse hinausgeht und unterschiedliche Perspektiven und Traditionen einbezieht. Vgl. Lewis, S., & Wawrzyniak, J. (2022). Introduction: Regions of Memory in Theory. In Regions of Memory , S.7.
[134] Vgl. Martin, Peter: Edle Mohren, Schwarze Teufel- Afrikaner im Bewusstsein der Deutschen, 1993, Vgl. Schumacher, Yves: Sklaven und Hofmohren: Afrikaner in Europa zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, 2021, et al.
[135] Hierzu gehören Black Cultures Archives, England (1984), Each One Teach One e.V., Deutschland (2014), Afropea, Frankreich (2016), Black Queer Archives Netherlands, Niederlande (2018), Black Archives Amsterdam, Niederlande (2017), LOATAD Library of Africa and the African Diaspora, Ghana (2017), Dikan Center, Ghana (2019), Black Archives Sweden, Schweden (2023).
[136] Ich schließe mich dem Gedanken von Prof. Dr. Ruramisai Charumbira an, die in ihrem Essay „On Transformative Inclusivity in the Memory Studies Association (MSA)“ (Charumbira, R., Dez. 2021) die Notwendigkeit betont, nicht nur Diversität zu fördern, sondern eine transformative Inklusivität zu etablieren, die über bloße Vielfalt hinausgeht. Sie fordert die Schaffung gerechterer Wissenssysteme, die aktiv marginalisierte Gruppen einbeziehen. Charumbira hebt hervor, dass akademische Institutionen oft von historischen Machtstrukturen durchzogen sind und plädiert dafür, diese Strukturen zu überwinden, um eine tiefere, strukturelle Veränderung zu erzielen. Eine transformative Inklusivität ist somit ein Schritt hin zu einer gerechteren und inklusiveren Wissensproduktion. vgl. Charumbira, R. Dec. 2021, “On Transformative Inclusivity in the Memory Studies Association (MSA)” MSA December Newsletter: https://www.memorystudiesassociation.org/thoughts-on-transformative-inclusivity-in-the-msa/
[137] Erlls Konzept des „Travelling Memory“ betrachtet Erinnerung als dynamischen, transnationalen Prozess, der in verschiedenen kulturellen und politischen Kontexten weiterentwickelt wird. Die Kunst von Kenneth Aidoo bringt Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit und Sklaverei in die niederländische Gegenwart und fordert die Gesellschaft auf, sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen. So wird Aidoos Werk Teil eines globalen Gedächtnisprozesses, der koloniale Vergehen über verschiedene Länder und Generationen hinweg wachhält. Vgl.: Erll, Astrid. "Travelling Memory." Parallax, vol. 17, no. 4, 2011, pp. 4–18.
[138] Kenneth Aidoo bewegt sich in der Tradition der sogenannten „second generation“ Aktivist:innen, die Nachkommen der Booga-Bewegung, die ab Ende der 1970er migrierten, und der Been-To's, die ab den 1960ern nach Europa migrierten, die nach den ersten postkolonialen Bewegungen und nachfolgendem Migrationserfahrungen Erinnerungsarbeit leisten. Die „second generation“ bezeichnet die Nachkommen der ersten Migrant:innen, die verstärkt auf die Bewahrung von Geschichte und kulturellem Erbe setzen, um transnationale Verbindungen zu schaffen. Durch seine Kunst trägt Aidoo dazu bei, eine „Versöhnung mit der Vergangenheit“ zu fördern, indem er historische und gegenwärtige Ungerechtigkeiten in den Fokus rückt und zur Reflexion anregt (vgl. Kwarteng, Kirstie: Sorry for My Left: The Transnational Practices and Identity Formation of Second Generation Ghanaians, London 2023, S. 4; Armah, Ester: Emotional Justice: A Roadmap for Racial Healing, 2023, S. 17).
[139] Bartle, Phil. "The Universe Has Three Souls: Notes on Translating Akan Culture." Journal of Religion in Africa, vol. 14, no. 2, 1982, pp. 85-114. Brill Academic Publishers.
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