Die Welt von Livia Rossi und Gianluca Giabardo – dem Paar, das hinter dem italienischen Designerstudio Dossofiorito, was wörtlich „blühender Hügel“ heißt, steht – ist von ihrer Passion (oder sollte man sagen „Obsession“?) für Pflanzen und von ihrem gemeinsamen Bedürfnis, von diesen umgeben zu sein, erfüllt. Ob in ihrem Haus in Verona, Italien, oder in ihrem Studio, einer ehemaligen Autowerkstatt mit großen pflanzenfreundlichen Öffnungen – jeder Winkel ihrer Wohn- und Arbeitsbereiche ist voller Pflanzen der verschiedensten Arten. „Vielleicht zu viele!“, sagen sie scherzhaft.
Die Pflanzen, mit denen sie Haus, Balkon und Studio teilen, gehören – gemeinsam mit ihrem Hund Aru – zur Familie. Die zwei Designer lieben es, die Beziehungen, die sich mit der Welt der Pflanzen und deren unsichtbarem Leben entwickeln lassen, auf kreative Weise zu erforschen.
Was als „neugierige Erkundung“ begann, führte das Paar unvermeidlicherweise dazu, mehr über das geheime Leben der Pflanzen zu erfahren und so eine Reihe von spielerischen Projekten ins Leben zu rufen, in denen die Pflanzen nicht auf „dekorative Elemente“ reduziert sind, sondern zu dem entscheidenden Puzzleteil werden, mit dem ein Projekt vollkommen und bedeutungsvoll wird.
Letztlich brauchen Zimmerpflanzen zum Überleben genau uns, die Menschen, die sich um sie kümmern. Auch wenn es offensichtlich erscheint: Die Bedürfnisse von jeder dieser Pflanzen zu kennen, ist grundlegend. „Ohne dabei zu Wissenschaftlern zu werden, kommt doch der Versuch Pflanzen zu verstehen, dem Erlernen einer neuen Sprache nahe. Das kann nur mit Sorgfalt, Nähe und Beobachtung erreicht werden“, erklärt das Paar.
Im Gegensatz zum gegenwärtigen Trend verwendet Dossofiorito keinerlei technischen Vermittler oder irgendwelche Hightech-Apps, da diese den „Abstand zwischen uns und den Pflanzen“ vergrößern würden, wie die Designer sagen. Statt also kurzfristige, und künstliche Verbindungen zu erschaffen, sind ihre Projekte – von Phytophiler bis Ludmilla – als interaktive Tools zu verstehen, die dem Nutzer dabei helfen, sich der Natur zu nähern und seine Neugier und Kenntnis über die Pflanze zu vertiefen.
Das Erkunden der Beziehung zwischen Mensch und Pflanze half Livia und Gianluca nicht nur, ein besseres Verständnis der grünen Welt zu entwickeln, sondern führte sie auch dazu, die globale Pflanzenindustrie in Frage zu stellen. „Das Problem“, argumentieren sie, „ist, dass wir zwar vielleicht zu verantwortungsbewussteren Konsumenten geworden sind, wenn es um Essen oder Kleidung geht, es aber noch nicht gewohnt sind uns zu fragen, wo die Pflanzen und Blumen, die wir uns nach Hause holen, herkommen oder wie sie gezüchtet wurden. Kommen sie vom anderen Ende der Welt, wo eine unkontrollierte Verwendung von Düngemitteln und Pestiziden Gang und Gäbe ist, die den Boden zerstören, unterbezahlte Arbeiter toxischen Substanzen aussetzen und ganze Ökosysteme gefährden? Wenn das der Fall ist, dann ist unser Versuch, unsere Umgebung grüner zu machen, ein kompletter Fehlschlag!“, suggerieren sie.
„Pflanzen und Blumen sind eine demokratische Art und Weise, Schönheit und Freude in den Alltag zu bringen,“ sagen sie. „Es ist wichtig, dass sie für jedermann zugänglich bleiben. Und es ist auch wichtig, Raum für Zimmerpflanzen zu lassen, da nicht alle einen Garten oder Balkon haben.“
Als Designerstudio ist Dossofiorito in einer guten Position, um allgemein übliche Praktiken zu hinterfragen, von anderen Bräuchen zu lernen und Entdeckungen zu Handlungen zu machen – wie die Epiphyten-Sammlung zeigt.
Das Projekt entstand aus einer einfachen Beobachtung heraus: Die Mehrheit der Zimmerpflanzen gehört zur Familie der Epiphyten bzw. Aufsitzerpflanzen, wie zum Beispiel Farne und Orchideen, die keinen Boden zum Wachsen brauchen, sondern in der Natur imstande sind, sich an Bäumen einzunisten. Dennoch werden sie in Töpfen verkauft. Im Bestreben, eine positive Alternative anzubieten, welche die „natürlichen Wachsgewohnheiten“ der Epiphyten respektiert, ohne die Ästhetik zu beeinträchtigen, brachte Dossofiorito das Konzept einer Reihe von hängenden Terrakotta-Töpfen heraus.
Aber Epiphytes ist nicht der übliche Blumentopf, den jeder vor Augen hat! Statt nämlich in einem Behältnis eingepflanzt zu sein, sind die Pflanzen an der Außenfläche des Objekts befestigt, das versiegelt und mit Wasser gefüllt wurde. Dank der Porosität von Terrakotta wird jede Art mit genau der Menge an Feuchtigkeit versorgt, die sie zum Wachsen braucht. Diese geniale Idee war von zwei alten Traditionen inspiriert: der in Mittelamerika weit verbreiteten „Olla“-Praxis, bei der die Durchlässigkeit von Keramikkrügen genutzt wird, welche zur Bewässerung von Pflanzen im Boden vergraben werden; und „aus tropischen Ländern stammende Methoden, bei denen wassergefüllte Terrakottatöpfe zur Züchtung von Orchideen genutzt werden“, erläutern die Designer.
Im Einklang mit neuesten wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass sich Pflanzen bewegen, kommunizieren, auf äußere Reize reagieren und sich sogar an frühere Erfahrungen erinnern, erwarb das Paar ein Bewusstsein vom Metabolismus von Pflanzen, das ihnen dabei half, die Art und Weise zu analysieren, wie wir die Welt der Pflanzen verstehen und mit dieser zusammenleben.
Schlussendlich bewirkte dieses Wissen, dass die beiden Designer „ein unwiderstehliches Verlangen nach Gärten, Landschaften und Ökosystemen“ entwickelten und „Pflanzen nicht mehr als isolierte Wesen sehen, sondern als System, als Gemeinschaft ... Auch wenn wir noch nicht wissen, wo uns das genau hinführen wird.“
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