Seit der Industriellen Revolution beschleunigt sich die Produktion rapide, woraus der immer selbe Ablauf von Abbau-Produktion-Abfall resultiert. Bis heute basiert dieser sequenzielle Vorgang auf der Annahme einer unendlichen Verfügbarkeit von Ressourcen. Die Gewinnung und Erstverarbeitung von Metallen und anderen Mineralien ist heute verantwortlich für 26% des globalen CO2-Ausstoßes.
Designer*innen, Architekt*innen und Künstler*innen können in diesem globalen System als kritische Vermittler wirken, doch sie müssen ihre Fähigkeiten und ihre Perspektive zusehends und über das Selbstverständnis ihrer Arbeit hinaus erweitern. Im Angesicht der immer weiter schwindenden Ressourcen unseres Planeten, ergibt sich ein dringender Bedarf, unsere Vorstellung von Material, Angebot und Produktion neu zu denken. Formafantasma lädt dazu ein, Teil der „School of the Untold“ zu werden, einem sechswöchigen kollaborativen Programm am Design Campus des Kunstgewerbemuseums in Dresden Pillnitz. Das Programm ist radikal in einem umfassenden Verständnis derjenigen Realitäten verwurzelt, die unsere heutige Welt formen. Es zielt darauf ab, ihre komplexen Verwicklungen anhand von Materialitäten zu sezieren. Mit diesem Leitgedanken widmen wir uns den reichhaltigen Sammlungen des Museums, um die unerzählten Geschichten („untold stories“) hinter dem historischen Vermächtnis der ausgestellten Artefakte aufzudecken.
Materialität zu hinterfragen bedeutet, Museologie als Ganzes zu hinterfragen. Innerhalb des Programms wollen wir deshalb die materiellen Rahmenbedingungen überdenken, die aktuell das museale Sammeln strukturieren. Für jede Woche wird dafür von den Kurator*innen des Museums eine andere Serie von Objekten aus den Sammlungsschwerpunkten, Metall, Holz, Keramik, Plastik und sonstigen ausgewählt. Das Programm zielt auf eine Rekontextualisierung der Einordnung dieser Objekte, indem sie sich ausschließlich auf ihre physikalische Materialität richtet. Die Kategorien dafür entstammen Gottfried Sempers Konzept des idealen Museums von 1852. Basierend auf seiner kritischen Perspektive auf die erste Weltausstellung 1951 in London schlug Semper eine Klassifizierung von musealen Sammlungen nach Materialität vor. Sein progressives Konzept hatte zur damaligen Zeit großen Einfluss auf die konzeptionellen und räumlichen Entscheidungen in kunstgewerblichen Museen. Zu diesen zählte das Victoria and Albert Museum in London, aber eben auch das Kunstgewerbemuseum in Dresden, sodass die Teilnehmenden Sempers Vorschlag vor Ort nachspüren können.
Seine Geschichte ist eng verbunden mit der der Stadt Dresden, in der er seine Karriere begann, diverse Gebäude errichtete und an der örtlichen Kunstakademie unterrichtete. Gemeinsam mit den Teilnehmenden und dem Team des Museums werden wir die Art der Präsentation von Objekten in Museen neu denken und dekonstruieren. Das Programm wird Sempers Konzept einer ganzheitlichen, universellen Perspektive in den Blick nehmen, indem es Materialität als dasjenige erschließt, das durch Technik, Handwerkskunst und Industrie unsere Umwelt formt.
Wöchentliche Workshops, Sammlungsbesuche und Vorträge werden von Designer*innen und Architekt*innen geleitet, aber auch von Theoretiker*innen, Performance-Künstler*innen, Kurator*innen und Philosoph*innen. Das Programm umspannt materielle Geschichte, kulturelle Weltvorstellungen, das Verhältnis zwischen Tradition und Lokalkultur, kritische Bezugnahmen auf Ökologie, Kolonialismus, Extraktivismus, das Verhältnis zwischen Mensch und nicht-Mensch ebenso wie die Bedeutung von Objekten als kulturelle Verbindungselemente.
Wir hoffen den Teilnehmenden Möglichkeiten zu bieten, neue Methodologien zu entwickeln, die Techniken der materiellen Praxis mit innovativen medialen Formaten, historische Philosophie mit aktuellen kritischen Diskursen und transparente Kollaboration mit taktischer Subversion miteinander verbinden.
Formafantasma ist der Überzeugung, dass wir durch diese Workshops (zum Beispiel vom Filmen im Museum zur Erstellung materieller Muster) neue Verbindungen zwischen den gezeigten Artefakten und größeren geopolitischen Kontexten, die den Umlauf dieser Objekte ermöglicht haben, erschließen können. Nur durch eine Gemeinschaft von Architekt*innen, Designer*innen, Künstler*innen, aber auch Talenten aus geistes- und naturwissenschaftlichen Forschungsbereichen mit Neugier und Leidenschaft für Design können wir investigative Praktiken und Instrumente entwickeln, um Veränderung zu bewirken.
Jede Woche wird mit einer Ergebnispräsentation, die innerhalb des Museums stattfindet, in Dialog mit der Sammlung getreten. Diese neuen Verbindungen werden es den Teilnehmenden erlauben, die immaterielle Kultur zutage zu fördern, die gerade nicht im Museum konserviert wird, und nach den Gründen dafür zu fragen. Die Ergebnisse des Programms werden später Teil der Planungen des Kunstgewerbemuseums darüber werden, wie seine Dauerausstellung sich rekontextualisieren ließe.
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