Let’s Talk – Lass uns reden 31. Januar 2025

Live Speaking als Vermittlungsmethode in der Ausstellung „Völkerfreundschaften“

Der Ausstellungsbereich „Völkerfreundschaften“ nimmt das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig und die Ethnologie vor 1990 in den Blick. Aufgrund der fehlenden Reisefreiheit wurden Museen zu Sehnsuchtsorten. 


Von März bis Mai 2024 untersuchten vier Live Speaker aus dem GRASSI Museum für Völkerkunde die Verbindung des Völkerkundemuseums zur Stadt Leipzig. Sie entwickelten im Projekt künstlerische Arbeiten, die auch ihre eigene Tätigkeit als Live Speaker im Museum reflektieren. Anhand von drei Ausstellungsobjekten – der Hirschtanzmaske aus Mexiko, der Nachbildung eines Tipis durch die IG Mandanindianer Taucha-Leipzig e.V. und einer Frauenfigur der Gemeinschaft der Iny Karajá aus Brasilien – trugen sie unterschiedliche Meinungen, Positionen und Erinnerungen aus der Stadtgesellschaft zusammen. 


Im Ergebnis des Projekts entsteht ein vielstimmiges Bild, das autobiographische und transkulturelle Perspektiven und Geschichten zu Objekten und Ausstellungen miteinander verbindet. Das Projekt nimmt die (jüngere) Vergangenheit des GRASSI Museums für Völkerkunde zum Ausgangspunkt, um über die gesellschaftliche Rolle von ethnologischen Museen in Gegenwart und Zukunft zu reflektieren. Begeben Sie sich auf eine virtuelle Reise in die jüngere Geschichte des Völkerkundemuseums und erhalten Sie Einblicke in die Vermittlungsmethode Live Speaking.
 

Uli Reible ist Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie ist seit 2022 als Live Speaker und Guide im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig tätig. 

SES Live Speaker

In meiner Tätigkeit gebe ich Einblicke in die Museumsarbeit und erzähle Hintergründe zu den Ausstellungen. Ich nutze meine eigene Expertise, um den Besuchenden mehr Wissen und Kontexte zu bestimmten Ausstellungsbereichen zu geben. Manchmal sammle ich Feedback von Besuchenden für das Museum. 

Die Ausstellung „Völkerfreundschaften“ befindet sich im 2. Stockwerk und ist einer der letzten Räume der Ausstellung. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die Gesprächsbereitschaft und auch die verbrachte Zeit der Gäste hier oft geringer sind.

Manche Menschen sind zurückhaltender uns gegenüber, weil sie nicht damit rechnen, angesprochen zu werden. Daher haben wir bestimmte Taktiken zum Gesprächseinstieg entwickelt. 

Ich stelle mich und das Prinzip Live Speaking zu Beginn gern vor; dabei bleibe ich in der Nähe der Besuchenden, ohne aufdringlich zu werden. Wenn Menschen die Ausstellungen etwas orientierungslos betreten, frage ich, ob ich helfen kann. 

Die Arbeit als Live Speaker ist herausfordernd und bereichernd. Es geht um mehr als Wissensvermittlung, es benötigt zusätzliche Sensibilität und Feingefühl im Umgang mit Menschen. Mein Ziel ist es, den Besuchenden Fragen mit nach Hause zu geben und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen. Umgekehrt interessiere ich mich auch sehr für ihre Eindrücke und Sichtweisen.

Ich sehe die Live Speaker als Teil des „REINVENTING“ Prozesses: Oft erkläre ich, warum sich das Museum verändert und warum dies wichtig ist. Häufig spreche ich mit Menschen über Museumsgeschichte und die Aufgabe eines Museums. Oft vermittle ich auch Wissen zu dem kolonialen Hintergrund der Sammlung.

Marita Caroline Meier ist Ethnologin und Bildende Künstlerin. Sie ist seit 2022 als Live Speaker im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig tätig. 

In ihrer künstlerischen Arbeit „How do we engage with the exhibited (object)?“ nimmt sie die unterschiedlichen Perspektiven der Begegnung mit Objekten in ethnologischen Museen in den Blick. 

SES Live Speaker - Hirschtanzmaske

Als Live Speaker übernehme ich einen interaktiven Part in der ethnologischen Ausstellung. Ich schaue sowohl aus meiner Perspektive als Ethnologie-Studentin und freischaffende Künstlerin, als auch durch die Augen von Besuchenden auf einzelne Objekte.

Über einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten habe ich meine Arbeit im Museum bewusst beobachtet und dokumentiert. Das Ergebnis ist eine Collage – ein abstrakter Körper als Medium für Dynamiken und vielfältige Stimmen, die aus Gesprächen über die Ausstellung „Völkerfreundschaften“ im Museum und dem Fokus auf die Hirschtanzmaske resultieren.

Die Schichten an Papier sind Metaphern für eingefangene Meinungen, Mitschriften eigener Recherchen zur Hirschtanzmaske und Reflektionen des Erlebten im Museum. Sie sind die Notizzettel, Skizzen und malerischen Verarbeitungen dieser Zeit. In Schichten übereinander gelegt stehen sie für die Schichten, durch die wir auf einen scheinbar neutralen Gegenstand schauen.

Die Hirschtanzmaske stammt von der Gruppe der Yoeme (Yaquí) und wurde ursprünglich im Zusammenhang mit der Jagd verwendet. Diese Maske ist meines Erachtens aus zwei Gründen interessant: 

Zum einen beschreibt der Hirschtanz der Gemeinschaft der Yoeme im heutigen Mexiko eine historische Praxis, die durch koloniale und neokoloniale Herrschaft Wandlungsprozessen und Einflüssen unterworfen war. Durch die Missionierungsversuche der Jesuiten sind auch christliche Elemente in den Hirschtanz eingeflossen. Diese Bedeutungserweiterung ermöglichte den Yoeme, die eigenen Bräuche trotz der kolonialen Besetzung zu behalten. Im Hirschtanz verschmolzen prähispanische religiöse Praxen mit christlicher Ikonographie zu neuen Formen. 

Zum anderen spielt bei ihrer Auswahl als Ausstellungsgegenstand in der Ausstellung „Völkerfreundschaften“ ein antiimperialistischer ethnologischer Forschungsfokus in der DDR eine wichtige Rolle. Beide Aspekte wurden in den Gesprächen mit Besuchenden in den Fokus gerückt. 

Gegenüber der symbolischen Bedeutung einzelner Aspekte der Hirschtanzmaske, wie dem roten Tuch um das Geweih und seiner Geschichte waren Besuchende stets interessiert und wissbegierig. Farblich spielt die Symbolik der Hirschtanzmaske auch in der Collage eine markante Rolle: Rot als Verbindung zu dem lebendigen Tier und dessen Opferung bei der Jagd und gleichzeitig seine metaphorische Bedeutung für das vergossene Blut Jesu. Das rote Band inspirierte mich durch seine Mehrdeutigkeit, einen symbolischen roten Faden, der sich durch die verschiedenen Begegnungen und Notizen in meinen Recherchen zieht, in die Collage einzubauen. Das Rot ist eine Metapher, die die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Hirschtanzes zusammenführt.

Die Auswahl der Hirschtanzmaske markiert eine Besonderheit der DDR-Geschichte des Museums. Im Vergleich zu ethnologischen Museen in Westeuropa und den USA wurde der Fokus in der Sammlung und Ausstellung stärker auf die Rechte indigener Gruppen, sowie ihren Widerstand gegen koloniale Gewalt und Landnahme gelegt. Das Augenmerk auf Objekten indigener Gemeinschaften entsprach dem marxistischen Forschungsfokus auf Klassenkämpfe und wirtschaftliche bzw. soziale Fragen der Ethnologie. Besuchende, vor allem ehemalige DDR-Bürger*innen, sind berührt von der Darstellung dieser sonst selten thematisierten DDR-Geschichte. Sie betonen, dass gerade diese Spezifik der Geschichte von Ethnologie bislang wenig beachtet wurde.

Die Hirschtanzmaske war in den Gesprächen oft Ausgangspunkt für Gespräche über Erwartungen und Haltungen gegenüber ethnologischen Museen allgemein. 

Der Dialog mit den Besuchenden macht deutlich, dass eine vielstimmige Betrachtung historischer und kultureller Perspektiven nicht nur das Verständnis und die Reflexion von Besuchenden über koloniale Geschichte fördern kann, sondern auch ihr Engagement und ihre Offenheit gegenüber ethnologischen Themen nachhaltig beeinflusst.

Johanna Martens ist Kulturwissenschaften. Sie ist seit 2016 als Guide und seit 2019 als Live Speaker im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig tätig.

SES Live Speaker - Tipi

Das Tipi wird in der Ausstellung „Völkerfreundschaften“ gemeinsam mit dem Thema „Hobbyismus“ ausgestellt.  
Im Rahmen meines Projekts führte ich Gespräche mit Besuchenden und Mitarbeitenden in der Ausstellung und nahm vier davon auf. Sie geben einen Einblick in die Eindrücke und Interpretationen der Besuchenden gegenüber dem Thema “Hobbyismus”.  
Durch die Lektüre von rassismuskritischen Theorien oder das Verfolgen gesellschaftspolitischer Debatten in den Medien haben zahlreiche Besuchende eine erhöhte Sensibilität gegenüber bestimmten Begriffen oder Praktiken. Oft kam ich in Gesprächen über das Verkleiden als „die anderen“ ins Gespräch.  
Ich eröffnete die Gespräche mit der Frage, was die Besuchenden denken und fühlen, wenn sie das Tipi im Museum in der Ausstellung sehen. Die Gespräche öffnen ein vielstimmiges Bild zur Thematik Hobbyismus und laden dazu ein, eine eigene Haltung zum Thema zu entwickeln. 


 

In den Interviews kommt der Begriff “Indianer” vor. Er wird oft als stereotypisierend und rassistisch kritisiert. Viele indigene Personen in/aus USA und Kanada bevorzugen heute andere Bezeichnungen, wie “Native Americans” oder “First Nations”. Wir haben für Euch in der Ausstellung die Zeitung „Darf man eigentlich noch Indianer sagen?“ entwickelt, die die Diskussion um den Begriff aus verschiedenen Perspektiven aufgreift.

Auszüge aus zwei Interviews:

Ein Besucher gibt im Gespräch interessante Einblicke in die gelebte Kultur der indigenen nordamerikanischen Bevölkerung. Er vergleicht Aspekte der Hobbyismus-Kultur in West- und Ostdeutschland und reflektiert über die gegenwärtige Entwicklung innerhalb der der Szene:

Bei so großen Treffen, da sollte das schon authentisch sein. Ich war in Amerika bei einem Pow-Wow. Die Natives, die da kamen, die sind modern mit Auto angefahren. Tipis gab es kaum, zwar standen drei, vier Tipis rum, aber ansonsten Wohnwägen. Das Pow-Wow, das ist immer im Kreis. Bei der Größe in Amerika, sind das fünf, sechs Trommelgruppen, die sich abwechseln im Tanzen, im Trommeln und Singen.

Das ist also in Amerika so, hier bei uns ist es nicht ganz so groß. Wir waren bei dem Medicine Wheel der Cheyenne. Das ist also ein riesiges Medizinrad, aus Steinen zusammengelegt. Und was für ein Durchmesser! Zwanzig, dreißig Meter Durchmesser. Da haben die Natives gebetet und haben irgendwelche Sachen reingelegt.

Das Hobby ist auch überschaubar in Deutschland. Und wenn man dann auf die Treffen fährt, trifft man die gleichen Leute. […] Dann wird gefachsimpelt darüber, wie zum Beispiel ein Tipi aufzubauen ist. Wenn einer Schwierigkeiten hat, kommen alle, “Ich helf, ich helf”. Die Jungen helfen sofort. Und dann steht so ein Tipi auch relativ schnell. 

Wir haben einen von unseren Oldmen, der aus Berlin ist. Der hat sich auch selber so eine Jacke gestickt. Aber die wiegt schon ein paar Kilo. […] In der DDR verstand man die Indianer eigentlich als ein unterdrücktes Volk, von den weißen Amis. Die Amerikaner waren ja hier nicht so gut angesehen, aber wenn jemand so indianisch irgendwas aufziehen wollte, wurde das gefördert. […] Das ist hier viel verbreiteter und viel angenehmer zu machen als jetzt, sagen wir mal, im Westen.

Als wir klein waren, haben wir Cowboy und Indianer gespielt. Das war früher so. Und dann kamen die Winnetou Filme, Pierre Brice, Lex Barker und da gab es so einen Aufschwung. Und dann kamen eigentlich danach erst die realistischen Indianerfilme, aber dann ging es langsam abwärts. Also so wie jetzt wird es immer weniger. Jetzt haben wir im Westen kaum Nachwuchs. […] Ich bin jetzt 76 und mache das immer noch, weil es einfach schön ist.

.

.

.

Eine andere Besucherin reflektiert über verschiedene Facetten des Hobbyismus. Einerseits beschreibt sie ein universelles, menschliches Bedürfnis nach Spiel und Role Play, das sich in der Nachahmung von Riten und Praxen nordamerikanischer indigener Bevölkerungen ausdrückt. Andererseits gibt sie zu bedenken, dass durch den Hobbyismus stereotype Vorstellungen wiederholt und verfestigt werden können:

Ich hab das selber nicht gespielt als Kind. Ich denke für uns ist das irgendwie ein bisschen dieses spielerische, playful, imaginative, what children play. Also was Kinder spielen miteinander. Ich habe eine humanistische Lesart. Menschen in Deutschland, so weit weg, können das sehen und haben irgendwie Lust das wieder zu machen. Ja, vielleicht gibt es auch diese problematische Seite. Aber es gibt diese Lust. Man muss ein bisschen selber reflektieren, woher diese Lust kommt. Diese Lust, ein bisschen zurück zur Erde zu gehen. […] Ja klar, das kann viele Probleme produzieren, oder Stereotype.

Es wäre da zu einfach zu sagen, dass Koreaboos (abwertende Bezeichnung für Menschen, die die Kultur Koreas fetischisieren - im Zuge der K-Pop-Welle zum Schlagwort geworden) oder solche Leute diese fremde Kultur kontrollieren wollen und ich denke es ist auch irgendwie menschlich. Es ist eine Art von Play Acting, Roleplay. Ich denke, es ist unmöglich zu sagen, das alles ist irgendwie problematisch, oder?

Also was ich hier sehe in diesen Bildern, dieses Oberflächliche, Romantisierte, Sentimentalische und ein bestimmtes Bild von dieser Kultur, dann bedeutet das, dass sie wirklich andere Gründe haben. Ich denke, es ist problematisch, irgendwie wenn sie dieses Bild für politische Ziele nutzen, aber für mich, wenn ich das sehe, sehe ich wirklich das: Hobbyists. Just a hobby. Also my conclusion is people have problems living life and they need all sorts of fantasy and play in order to cope with it. 

Also diese Cowboy-Sache, das für mich dieses Reenactment of violence oder so, right? Reenactment of a romantic colonizing past. Das ist für mich auch ein outlet for more dangerous feelings. Sie wollen in irgendwas sehr Fernes in Zeit und in Kultur. Das Ziel ist nicht, sich irgendwie heutzutage mit Indianern zu beschäftigen. Es ist das gleiche mit Korea, dieser Koreaboo-Sache. Es war so weit weg, anders und so fremd von deinem eigenen weißen, europäischen Leben. Du willst irgendwas, was so anders ist. […] 

People always need a space for fantasy, denke ich, ohne das ist das Leben unmöglich.

Filipa Pontes ist Bildende Künstlerin und Ethnologin. Sie ist seit 2022 als Live Speaker, Guide und Workshopleiterin im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig tätig.

Meine künstlerische Arbeit „Evocations“ spiegelt die unterschiedlichen Vorstellungen, Gefühle und Ideen wider, die durch eine vielstimmige Auseinandersetzung mit einem Sammlungsgegenstand entstanden sind. Wie kann ein pluriversaler Ansatz zu einem Austausch über kulturelle Praktiken und Zeugnisse anregen?

SES Live Speaker - Ritxoko

Ein ethnologisches Museum ist ein Ort, an dem unterschiedliche kulturelle Phänomene und Geschichten aufeinandertreffen. Es ist zugleich ein Ort der Forschung, Wissensproduktion und Bildung. Das Museum bringt verschiedene gesellschaftliche Akteure miteinander ins Gespräch, die teils auf sehr kritische Weise die kolonialen Denkmuster und Strukturen ethnologischer Museen reflektieren. 

James Clifford etwa beschreibt das Museum als „Kontaktzone“, in der unterschiedliche Perspektiven, Narrative und Wissenssysteme verhandelt werden. Widersprüchlichkeiten und Reibung werden vor allem dadurch erzeugt, dass akademisches westliches Wissen bis heute die Deutungshoheit über andere Wissenssysteme beansprucht und die Entwicklung eines pluriversalen Wissens verhindert.

Im Bemühen darum, anderes Wissen, wenig gehörte Perspektiven und Geschichten über die Sammlungen und ihre Herkunft einzubeziehen, ist dem GRASSI Museum für Völkerkunde Leipzig nicht nur an der Vermittlung dieser Themen an seine Besuchenden gelegen, sondern auch an einer gemeinsamen Aushandlung dieser. 

Wir LiveSpeaker agieren als Mediator*innen zwischen den Besuchenden und den Narrativen in den Ausstellungen. Besuchende sind eingeladen, ihre Ansichten, Kritik und Fragen mit uns zu teilen. Im Austausch mit den Besuchenden reflektieren wir die Vielschichtigkeit der Sammlungen und die Rolle des Museums als Wissensspeicher. Gemeinsam sprechen wir auch über eine mögliche Zukunft ethnologischer Museen.
 

Im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit steht eine sogenannte Ritxoko-Puppe aus der Gemeinschaft der Iny Karajá aus dem Westen Brasiliens, die der DDR-Ethnologe Erich Wustmann in den 1950er Jahren sammelte. Anhand dieses Objekts sprach ich mit Besuchenden über die Komplexität der Sammlungen, die Rolle des ethnologischen Museums als Ort des Wissens und dessen Zukunft. Die Mixed-Media-Zeichnung ist das Ergebnis dieser Interaktion. Die Zeichnung macht unterschiedliche und teils konträre Perspektiven, individuelle Interessen und fragmentierte Antworten in der Auseinandersetzung mit der Ritxoko-Puppe sichtbar.

Die schemenhafte Erscheinung der Abbildung verweist zum einen auf den begrenzten westlichen Zugriff auf Wissen der Gemeinschaft der Iny Karajá. Zum anderen weist es darauf hin, wie wichtig der Wissensaustausch mit der Gemeinschaft ist. Meine Arbeit ist eine Hommage an eine Ästhetik, die auf den ersten Blick schlicht wirkt und zugleich die ganze Komplexität von Wissen der Ahnen in sich trägt. 

Abschließende Gedanken von Uli Reible

In ethnologischen Museen werden Fragen zur deutschen und globalen Kolonialgeschichte und ihren Folgen beleuchtet, die sich heute in immer noch existierenden Ungleichheiten, Diskriminierungen und Rassismus äußern. Nicht alle Besuchende sind darauf vorbereitet, mit solchen Themen konfrontiert zu werden, manchmal fühlen sich Gäste deshalb unsicher oder unwohl. Mir ist es wichtig, diese Besuchenden in ihrer individuellen Lebenssituation abzuholen und ihnen respektvoll zu begegnen. Mein Ziel ist es, ein Verständnis für schwierig zu vermittelnde und komplexe Inhalte zu fördern und den Museumsbesuch zu bereichern.

Besonders inspirierend finde ich, wenn Besuchende eigene Vorschläge zur Präsentation und Vermittlung haben. Beispielsweise hatte ein Besucher die Idee, die Sammlung komplett ohne Texte und Erklärungen zu inszenieren und alle Hintergrundinformationen von den Live Speakern beitragen zu lassen. Denn der Akt des Ausstellens verändert immer den Kontext der Objekte, die selten für ein Museum geschaffen wurden.

Für mich fühlt sich die Arbeit als Live Speaker etwas an wie Feldforschung. Sowohl positives als auch kritisches Feedback kann zu angeregten Dialogen führen. Die Sammlung des Museums ist zwar eine historische, die Themen der Ausstellung sind jedoch aktuell und zu jeder Zeit relevant. Die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in Bezug auf kulturelle aber auch politische Themen ist zudem ein wichtiger Beitrag für eine offene und tolerante Gesellschaft.

Wir können Vergangenheit nicht ändern, aber wir können entscheiden, welche Geschichten wir wie erzählen.

Auch Interessant:

09. September 2022 — Lesen / Artikel
Mehr
Das lächelnde Gastgeschenk

Im Frühjahr 2020 zog eine sehr besondere und im wörtlichen Sinne bunte Truppe in das Depot der Puppentheatersammlung ein: Fischer und Bäuerinnen, Musiker und turnende Kinder, aber auch Enten, Wasserbüffel, Drachen und Feen. Sie alle gehören zum klassischen Personal des vietnamesischen Wasserpuppentheaters.

28. November 2024 — Sehen / Video
Mehr
Die Jäger des verlorenen Verstandes - Unfug und Ungefügigkeit im Puppentheater der DDR

Was sich zu Unfug erklärt, bekennt sich zur Harmlosigkeit. Vermeintlich. Denn Konsequenz solcher Selbstbestimmung ist die berühmte Narrenfreiheit, die in den 1980er Jahren auch eine Gruppe von Theaterleuten in der DDR für sich beansprucht, als sie sich „Zinnober“ nennt und beginnt, Kaspertheater für Erwachsene zu machen. Ihr Stück „Die Jäger des verlorenen Verstandes“ ist vom Publikum unschwer als Spottstück auf das DDR-Staatswesen zu lesen und seine Duldung in der Rückschau kaum zu glauben - aber wahr.

06. Januar 2022 — Lesen / Artikel (5 Minuten)
Mehr
Durchs Büffelhorn gesprochen

Vor genau einem Jahr gingen die Bilder vom gewalttätigen Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C. um die Welt. Unter den Fotos und Videos tausender Trump-Anhänger*innen, Verschwörungsapostel, rechtsextremer Milizen und anderer Neu-Rechter fielen schrill kostümierte Personen auf, allen voran der in der Szene als “Q-Schamane” bekannte Jake Angeli mit seiner Hörner-Fellmütze und US-Flagge an einem Speer. Frank Usbeck hat sich bereits damals auf dem SKD-Blog mit dem Sammelsurium von kulturellen und historischen Anspielungen beschäftigt – wir veröffentlichen seinen Blog-Beitrag heute neu.