Machtspiele – Von Lustgärten und Golfplätzen 10. November 2023

Man must have dominion over nature and that nature is merely a playground for his activities.

Stappmanns, Viviane/ Kries, Mateo/ Vitra Design Museum und Wüstenrot Stiftung (Hrsg.):
Garden futures: designing with nature, Weil am Rhein: 2023, 16.

Die Idee der Natur als Spielplatz und Spielball des Menschen ist in der westlichen Welt seit vielen Jahrhunderten eine etablierte Vorstellung, die zunehmend hinterfragt, kritisiert und angefochten wird. Beschäftigt man sich näher mit der Verbindung von Natur und dem Spiel, lassen sich einige Bezüge erkennen, die Spannungsverhältnisse von Natur zu Künstlichkeit und Kontrolle zu Kontrollverlust eröffnen. Ausgehend von der Entstehung des Lustgartens mit seinem Charakter des Vergnügungsparks am Beispiel des Schlossparks Pillnitz wage ich den Sprung in die Gegenwart der Golfplatz-Kultur. Deren politische wie wirtschaftliche Systeme waren schon immer eng mit Rasen, als der dominierten Kulturpflanze, verbunden.


Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Kontrolle von Natur und dem Garten schon immer mit Unterhaltung verbunden war? Welche Machtverhältnisse und damit einhergehende Institutionen und Glaubensvorstellungen stecken hinter dem Anlegen und Gestalten von Natur und dem damit zusammenhängenden sozialen Spiel und Regelwerk? Welche Systeme, Werkzeuge und Infrastrukturen werden in Bewegung gesetzt, damit das Spiel am Laufen bleibt? Kann die Betrachtung durch die Linse des Spiels auf die Gestaltung von Natur helfen, den menschlichen Exzeptionalismus gegenüber der Natur zu verstehen, um ihn mit diesem Wissen anschließend  zu dekonstruieren?


Inmitten der Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird das dokumentarisch-künstlerische Filmprojekt Plant Circus vorgestellt, welches im Kontext des Workshops Curating Change des Design Campus 2023 entstand. Die Arbeit stellt auf ironische Weise die Frage, ob der Mensch nicht selbst die Spielfigur seiner eigenen Gartengestaltung wurde.
 

Wer spielt im Lustgarten?

Seit jeher ist der Lustgarten verbunden mit Unterhaltung, Genuss, Erholung und Flucht aus gesellschaftlichen Konventionen und vor allem dem Spiel.1 Vormals als private und anschließend als öffentliche Orte entwickelten sich diese beaux jardins im 18. und 19. Jahrhundert in Europa, vorrangig in England. Neben der gängigen Funktion als Orte der Erholung sind die umfangreichen Attraktionen wie opulente Konzerthallen, zoologische Menagerien, bunte Karusselle und Feuerwerke das Hauptcharakteristikum der Gärten gewesen. Lustgärten können somit als erste Form des Freizeitparks verstanden werden.2

1 Wimmer, Clemens Alexander: Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt: 1989, 414.
2 Philips, Deborah: Fairground Attractions: A Genealogy of the Pleasure Ground. 1. Bloomsbury Publishing Plc, 2012, 9.[Link][29.09.2023]

Im Vergleich zu anderen Gartenanlagen seiner Zeit, zeichnete sich der Schlosspark Pillnitz insbesondere „dadurch aus, dass er ausdrücklich als ein großes abwechslungsreiches Spielgelände angelegt worden ist“3, und nicht nachträglich ummodelliert wurde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter August I. und August III. formte sich der barocke Spielgarten mit seinen sechs Arealen aus: Rasenbeete zum Ballspiel, Maillebahnen, die Buchenheckenquartiere – auch Charmillen genannt –, Reitbahnen, die Orangerie mit den Karussellen sowie die künstliche Dorfanlage.

3 Fröhlich-Schauseil, Anke: Barocke Spiele im Schlosspark von Pillnitz ein Ort des Feierns und Spielens, in: Die Gartenkunst, Worms: 1/2016, S.33-46, 42.

Das noch heute markante Gestaltungsmerkmal des Gartens sind die zuvor erwähnten Charmillen, die um 1713 entstanden und ebenfalls auf das Spiel zurückzuführen sind. Diese 3,50 m hohen Heckenspielzimmer wurde für das etablierte Kegelspiel angelegt. Je eines der sechs Areale war für eine Version des Kegelns bestimmt – in einer Zeit, in der es „fast hundert gebräuchliche Arten“4 dieses höfischen Spiels gab. Das Beschneiden der Hecken in der gewünschten Höhe und Dichte war damals und ist bis heute eine Herausforderung für die Gärtner*innen, die mit Geduld und Fachkenntnis den Wuchs der Pflanzen in die immerwährenden Rechtecke formen. Gegenwärtig nicht mehr vorhanden sind die 20 Schaukeln, mit je einer Höhe von fünf Metern, die vor den Eingängen der Hecken platziert wurden. In der Relation zu den uns heute bekannten Schaukeln auf öffentlichen Spielplätzen, die für Kinder bestimmt sind, erscheint die barocke Version umso üppiger.

4 Fröhlich-Schauseil, 41.

Die Aktivitäten im Garten ermöglichten den Besuchenden zumindest für einen kurzen Zeitraum aus ihrer Rolle im Hofstaat auszubrechen. So gaben sie sich dem Schwindel der Schaukel hin oder in Verkleidung in Bauernspielen ihre Standesposition zeitweise auf und kamen sich womöglich auch unter anderem Vorwand körperlich näher. Diese Art des höfischen Spiels galt einerseits der Unterhaltung und kann andererseits leicht als Strategie der herrschenden Klasse verstanden werden. In einem gezielt abgesteckten Rahmen konnte gewissen Freiheiten nachgegangen werden, wie dem spielerischen Kräftemessen oder der körperlichen Ertüchtigung. Schon Huizinga fasst in seiner Kulturtheorie homo ludens zusammen, dass das Spiel eine Handlung ist,...

...die außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird, (...) die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigen bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben.

Huizinga, Johan: Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg: 2022, 22.

Der Lustgarten mit seinen akkurat zurechtgestutzt, geordneten und beschnittenen Pflanzen dient als perfekter Hintergrund – ein künstlich hergestelltes Spielfeld seiner Zeit. Es ist der Raum und Zeitpunkt, an dem gespielt werden darf. In diesem Kosmos werden die Angehörigen der höfischen Gesellschaft zu Spielfiguren. Somit sind nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Besuchenden des Schlossgartens dem Gestaltungswillen des aristokratischen Herrschers unterworfen. Sie alle dienten einem künstlich geschaffenen Gesamtkunstwerk.5 So hält auch die Kunsthistorikerin Anke Fröhlich-Schauseil in ihrer Analyse zum Pillnitzer Lustgarten fest:

5 Wimmer, 424.

Bei choreografierten Umzügen, Pferdeballetten, Ringrennen oder Bällen waren die Menschenmassen mit Pferden und Requisiten als bewegliche 'Muster' oder Ornamente im Raum wahrzunehmen. Sie entsprachen darin den unbeweglichen Mustern der Ranken, Ornamenten, Boskettes sowie dem Dekor der Wände, Möbel, Kleider usw. [...] Es ist anzunehmen, dass diese Perspektive im Sinne einer Perspektive als symbolischer Form bewusst auf die Person, auf das Auge des Herrschers ausgerichtet war: er blickte auf den Staat, dessen Ordnung sich in der inszenierten Anordnung seiner Untertanen widerspiegelte.

Fröhlich-Schauseil, 35.

Der Schlosspark – einstig dem Vergnügen der anderen Art gewidmet – steht nach wie vor Gartenliebhaber*innen zur Verfügung. Der Erhalt vergangener Gartenkunst mag ein stummes Festhalten sein, in einer Zeit, in der die Natur zunehmend zerstört wird.6 Noch immer lässt sich das aristokratische Spielfeld besuchen, jedoch mit neuem Regelwerk und Anweisungen im Sinne der Denkmalpflege: „Bitte nicht auf die Äste setzen“ oder „Bitte nicht den Rasen betreten.“ Die Besuchenden folgen den vorgegebenen Pfaden und verweilen auf aufgestellten Parkbänken.

Vor dem Hintergrund dieser Szenerie porträtiert der Kurzfilm Plant Circus von Mludek, Schwarz und Sulikowska einen typischen Tag im Pillnitzer Park und Palast und die immer wiederkehrenden, scheinbar absurden, performativen Handlungen der Gärtner*innen. Der Rasen wird gemäht, die Randstreifen begradigt, Unkraut verbrannt und die Hecken wie 1713 auf exakt 3,5 Meter beschnitten. Dabei stellt der Film in Frage, wer seit vielen Jahren für wen performed? Die Pflanzen für die Besuchenden? Oder die Pfleger*innen für die Pflanzen? Überträgt man diesen Gedanken auf den Rasen: Sind wir die Spielfiguren unserer eigenen Gestaltung geworden?

6 Wimmer, 431.

Plant Circus (2023) Katharina Mludek, Katrin Schwarz, Julia Sulikowska.

Das gesellschaftliche Spiel der Rasenpflege

Lawn articulate the ideologies of those who create […] them

Kozlowski Moore, Kris: On the Lawn. In: Garden futures: designing with nature, Weil am Rhein: 2023, 92

Rasen als Untergrund, anders gesagt als Hintergrund für das Spiel, erscheint heute so selbstverständlich wie die Zuchtpflanze in unserem Alltag selbst. Diese Entwicklung kann ebenfalls als Erweiterung von Machtverhältnissen und der Demonstration verstanden werden. Ausgehend vom englischen Landschaftsgarten wurde Rasen als quasi natürliches Element – aber vor allem als Zeichen des Überflusses im Sinne einer unbewirtschafteten Fläche – integriert. Eine Perspektive, die bis in die Gegenwart reicht. „Also grünt es heute großflächig vor dem deutschen Bundestag, und wenn der amerikanische Präsident etwas Wichtiges verkünden will, tut er das auf dem Rasen vor dem Weißen Haus.“7 Die Verbreitung des grünen Gutes in der US-amerikanischen Mittelklasse entstand mit der Entwicklung des Rasenmähers (Edwin Budding 1830) und der Ausformung amerikanischer Planstädte und Vorgartenkultur, wie Riverside und Levittown Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.8

7 Pöhner, Ralph: Die große Güte Verschwendung, Tages-Anzeiger 2017, [Link][29.09.2023].
8 Kozlowski Moore, 96.

Das United States Department of Agriculture (USDA), die United States Golf Association (USGA), und der Garden Club of America (GCA) sind maßgeblich an der Verbreitung von Rasen in Amerika beteiligt gewesen. Während sich in den 1880ern das Golfspiel etablierte, stieg der Bedarf an Sportrasen und die Suche nach dem perfekten Grün: “The grass on golf greens and fairways had to be cut short so that it would not interfere with the swing of the club, the roll of the ball, or the player’s ability to find the ball after it had been hit. The ideal grass would thrive under frequent cutting and trampling and would be consistent in texture.“9

9 Jenkins, Virginia Scott: The lawn: a history of an American obsession. Washington, D.C: 1994, 72.

In den darauffolgenden Jahren entwickelten sich wissenschaftliche Forschung und eine umfängliche Rasenindustrie, die zunehmend ihre Macht ausbauten. Golf, welches vorwiegend von weißen Männern ausgeübt wurde, verbreitete sich mit den Weltkriegen: Im Ersten Weltkrieg wurde das Spiel in Kreisen amerikanischer Offiziere populär. Im Zweiten Weltkrieg wurden vielfach Golfplätze neben Militärkrankenhäuser gebaut, um Veteranen zu ertüchtigen. Die Golf- und Rasenindustrien warben mit dem satten Grün der Fairways, bekannten Golfspielern für Dünger, Rasensamen und Gerätschaften und erzogen die amerikanische Bürgerschaft zum perfekten Vorgartengrün – ganz nach der Devise: “Brown grass is shameful.“

Heute, fasst Kozlowski Morre in seinem Artikel zusammen, sind in Amerika allein 40 Millionen Hektar bewässerter Rasen angelegt, ein Drittel des Wassers aller Haushalte wird für die Bewässerung verwendet, der jährliche Verbrauch von Pestiziden umfasst 27 Millionen Kilogramm und ca. 40 Milliarden Dollar werden für Rasen ausgegeben.10 Die Rasenmafia und -industrie in Winnipeg ist maßgeblich daran beteiligt, dass die Pflege des Vorgartenrasens unter Gesetz steht. Youtuber, wie SB Mowing, filmen sich dabei während sie verwahrloste Vorgärten wieder zurechtstutzen und rufen online Millionen Klicks auf. Die Titel der Videos verweisen oft auf die „wilde” Natur, die es zu zähmen gilt: “This home was TAKEN OVER by mother nature – I FIXED THAT“ (SB Moving 2023). Diese Videos, vielleicht mit guter Intention gedreht, können nach wie vor ein Bild von Kontrollverlust Einzelner vermitteln, nur weil der Vorgarten nicht nach gesellschaftlichen Standards gepflegt ist.

10 Kozlowski Moore, 96.

This home was TAKEN OVER by mother nature - I FIXED THAT

In anerkannten Studiengängen werden Greenkeeper*innen unterrichtet, die weltweit mit Techniken und Werkzeugen das ewige Grün erhalten. Eine ganze Produktwelt steht ihnen zur Verfügung – von Rasen-Lochbohrern, Spezialrasenmähern, Rasenrakeln, Kantenstechern, Rasenbowlingwalzen bis zum Topdressingsand. 


Gegenwärtig scheint die Sehnsucht nach dem satten Grün vor dem Hintergrund zunehmender Wasserknappheit und dem Rückgang der Artendiversität absurde Ausmaße angenommen zu haben, wie die Existenz des Berufs Rasenmaler*in beweist, der braunen Rasen wieder grün ansprüht. Die Kunst- und Rollrasenindustrie wächst zunehmend und bestückt Stadien über Stadien. Nach wie vor ist Rasen das etablierte Medium, welches mit Sport und Spiel verbunden ist und Teil des gesamtgesellschaftlichen Spiels, welches historisch gewachsene Machtstrukturen erhält.
 

For thousands of years humans played on almost every conceivable kind of ground, from ice to desert. Yet in the last two centuries, the really important games – such as football and tennis – are played on lawns. Provided, of course, you have money.

Harari, Yuval N.: Homo Deus: A Brief History of Tomorrow New York, NY: 2017, 66.

In seinem Buch Homo Deus plädiert der Historiker Yuval Harari in seiner Geschichte des Rasens, dass es diesen als kulturelle Last abzuschütteln gilt. Sie repräsentiert etwas Überholtes, etwas, das wir zweifellos nicht mehr benötigen – ein Relikt aus der Vergangenheit, von dem wir uns befreien müssen, um mit einem Gefühl der Offenheit in die Zukunft zu gehen – und, um historische Machtstrukturen abzubauen. In anthropogenen Zeiten erscheint es wichtiger denn je, die Ideologie des Rasens zu überwinden. Noch offen ist, wie und wer das neue Spiel und Spielfeld gestalten wird? Wie wird der Lustgarten und der Golfplatz von morgen aussehen?
 

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