„Wir nähern uns dem Essen zunächst einmal mit dem Tastsinn. Wie in ganz Indien essen Bengalis alles mit ihren Fingern ... Was könnte schließlich besser sein als die feinfühligen Finger, um die Konsistenz der Speise zu fühlen, und das wird so wichtig wie das Gefühl der Zunge. Die verschiedenen Gemüsepürees, die unterschiedlichen Sorten Reis, die zahlreichen Arten Fisch, die wir essen, werden alle von den Fingern genossen, bevor sie in den Mund gelangen.“ So schreibt Autorin Chitrita Banerji in ihrem 1991 erschienenen Buch „Life and Food in Bengal“.
Mehr Genuss, wenn man störende Zwischenträger auf dem Weg der Speise zum Mund weglässt? So sah das auch 300 Jahre zuvor und auf einem anderen Kontinent der Barock-Autor Moscherosch: „Wie kan mir der Salat wol schmecken, wan ich ihn nicht mit den Fingern esse?“
Besteck zum Essen ist in Europa eher neueren Datums. Es gab Messer in der Küche, um Speisen zur Zubereitung zu zerkleinern. Auch große zweizinkige Gabeln und Schöpflöffel wurden in Küchen verwendet, aber nicht am Esstisch. Zum Essen nahmen alle im Mittelalter ihre eigenen Messer mit. Damit schnitt man von der großen Servierplatte Fleisch oder andere feste Teile ab, wenn man sie nicht mit den Händen abreißen konnte. Als Teller gab es oft eine besonders harte, vier Tage alte Brotscheibe. Darauf konnte man die Stücke noch weiter zerteilen und dann mit der Hand, manchmal auch mit dem Messer in den Mund schieben. Was zu flüssig war, um es auf die Brotscheibe zu befördern, das schlürften alle direkt aus der großen Schüssel. Oder es gab kleinere Schüsseln, die sich meist zwei Personen teilten. Es kam aber eher Brei als Suppe auf den Tisch, und den konnte man auch mit Fingern greifen.
Seit der Zeit Karls des „Großen“ gab es Tafeltücher, eine Art sehr große Servietten, an denen man sich die fettigen Finger abputzen konnte. Das Brot, das sich beim Essen mit allerlei appetitlicher Sauce vollsaugte, war am Schluss auch eine gute Speise. In reicheren Häusern aß es die Bedienung, oder es wurde an die Armen verteilt, die bei festlichen Essen schon vor der Tür darauf warteten.
Sehen wir einem Kaiser beim Essen mit den Fingern zu: im Jahr 1547 speist Karl der Fünfte. Günter Wiegelmann zitiert in seinem Buch „Alltags- und Festspeisen“ einen Augenzeugenbericht: „Ich habe den Kaiser auf etlichen Reichstagen oft essen sehen ... Er ließ sich nichts vorschneiden, brauchte auch das Messer nicht viel, sondern schnitt so viele Stücklein Brot, so groß, wie er sie zu jedem Bissen in den Mund stecken konnte. Das Gericht, von dem er essen wollte, löste er an der Ecke, wo es ihm am besten gefiel, mit dem Messer, sein Stück brach er mit den Fingern auseinander, zog die Schüssel unter das Kinn und aß so natürlich, jedoch reinlich und sauber, dass man seine Lust daran sah.“
Zu der Zeit wurden bei Tisch schon Löffel benutzt. Man teilte sich einen am ganzen Tisch, putzte ihn nach dem Benutzen am Brot oder am Tuch ab und gab weiter. Meist wurde auch zum Trinken ein gemeinsamer Pokal von einem Gast zum anderen gereicht. Etwa im 14. Jahrhundert setzte sich mehr und mehr durch, dass jeder einen eigenen Löffel bekam, mit dem man in die gemeinsame Schüssel langte. In einfacheren Häusern waren es selbstgeschnitzte Holzlöffel, in reichen Häusern waren sie meist aus Zinn. Als dann eigene Suppenteller und Servierlöffel die unkomplizierte Gemeinsamkeit ablösten, schrieben Benimmbücher vor, wie so ein Löffel zu benutzen sei. England, Ende des 19. Jahrhunderts: „Jetzt muss ich aber noch sagen (denn dieses Buch ist ja für diejenigen geschrieben, die sich in der Gesellschaft nicht so gut auskennen), dass man seine Suppe von der Seite des Löffels essen soll, niemals von der Spitze.“ Deutschland, Anfang des 20. Jahrhunderts: „Der Löffel wird nicht mit der Seite, sondern mit der Spitze zum Munde geführt.“
Auf dem Land haben sich die alten Sitten länger erhalten. Bei einem Symposium für ethnologische Nahrungsforschung in Helsinki 1973 beschrieb ein Teilnehmer aus seiner Heimat Norwegen: „An vielen Orten auf dem Lande verwendete man bis in die letzte Hälfte des 19. Jahrhunderts nur Löffel und Messer. Daher waren Eintopfgerichte sehr verbreitet. Brei oder Suppe hat man aus der gemeinsamen Schüssel gegessen. Das Fleisch wurde in passende Teile zerschnitten und mit Rüben, Kohl oder Erbsen gekocht. Bei Tisch nahm jeder ein Stück Fleisch aus der Schüssel, legte es auf einen Holzteller oder ein Stück flaches Brot, zerschnitt es und führte den Bissen mit dem Messer in den Mund. Gleichzeitig wurde die Brühe aus der Schüssel gegessen.“
Die Gabel kam noch später als der Löffel auf den Tisch und wurde zunächst mal als lächerlich empfunden. Als in Frankreich König Heinrich III Ende des 16. Jahrhunderts Gabeln bei Hof einführte, spottete eine anonyme Satire mit dem Titel Insel der Hermaphroditen: „Sie führten das Fleisch mit Gabeln zum Munde, streckten dabei ihren Hals und ihren ganzen Körper zum Teller hin aus ... denn in diesem Land ist es verboten, das Fleisch mit den Händen zu berühren, wie schwierig auch immer das ist, sie wollen lieber, dass dieses kleine gezinkte Instrument ihre Lippen berührt als ihre Hände ... Danach gab es Artischocken, Spargel, Erbsen, Bohnen, und es war ein Vergnügen zu sehen, wie sie das mit den Gabeln aßen. Denn die es nicht ganz so gut konnten, ließen das meiste in die Schüssel fallen, auf die Teller oder unterwegs auf dem Weg zum Mund.“
Noch ein Jahrhundert später lehnte Ludwig XIV es ab, mit Gabeln zu essen, und verbot das auch den Prinzen in seiner Gegenwart, wie seine Schwägerin Liselotte von der Pfalz nach Deutschland berichtete. Sie fügte hinzu: „Mir hat noch niemals jemand dergleichen verboten, ich habe mich zeit meines Lebens beim Essen nur meines Messers und meiner fünf Finger bedient.“ Nicht mal einen Löffel hat sie benötigt!
Auch interessant:
Was von der Fast-Food-Kultur übrigbleibt
Einwegbestecke aus Plastik sind ein Symbol für die globale Wegwerfgesellschaft. Seit 3. Juli 2021 sind sie in der EU verboten. Die auf der Basis der Sammlung der Designer Peter Eckart und Kai Linke entstandene Ausstellung „Spoon Archaeology“ im Kunstgewerbemuseum greift das Thema auf.
Spoon Archaeology trifft Lunch for Locals
Die Ausstellung Spoon Archaeology, die aktuell im Kunstgewerbemuseum besucht werden kann, ist eine Reaktion auf das EU-Verbot von Einwegbesteck zum Juli 2021. Aber was kommt nach dem Plastiklöffel? Diese Frage stellte sich auch den Designern Peter Eckart und Kai Linke, deren Bestecksammlungen den Kern der Ausstellung bilden. Nachhaltig muss es sein und funktionieren sollte es natürlich auch. Die Antwort, die sie finden, ist weit weniger futuristisch, als man es vielleicht vermuten mag. Es ist: die Hand. Gemeinsam mit dem Palais Café haben wir ihren Einsatz erprobt.
Die Befreiung der Küche
Speisekultur schlägt sich nicht nur im Besteck nieder, mit dem wir das Essen in unsere Münder befördern, sondern auch in den Räumen, in denen wir es zubereiten. Die Küche ist allerdings erst im Verlauf des letzten Jahrhunderts zum festen Bestandteil unserer Wohnbereiche aufgestiegen. Als Designobjekt hat sie im Zuge dessen nicht nur unsere Vorstellung vom Wert des Essens und Kochens geprägt, sondern sie bezeugt als solches zugleich unterschiedliche Stufen und verschiedene Systeme, in denen dieser kulturelle Aufstieg verhandelt worden ist. Agata Szydłowska über die Befreiung der Küche.