Ortsgespräche: Die Schenkung Sammlung Hoffmann im Dialog mit Schkeuditz 23. November 2022

Das Gebäude der art Kapella Schkeuditz: Ein kleiner Kapellenbau mit Spitzdach auf dem Gelände des alten Friedhofs.

Nach einem Besuch der Sammlung Hoffmann in Berlin und einem gemeinsamen Workshop mit uns von der Schenkung Sammlung Hoffmann, hat sich Petra Kießling, Kuratorin der art Kapella Schkeuditz, aus zahlreichen Werken der Schenkung für die Videoarbeit „Met losse handen“ (Mit losen Händen, 2004) der niederländischen Künstlerin Marijke van Warmerdam entschieden. In dem Ausstellungsraum der ausgebauten Kapelle auf dem Alten Friedhof in Schkeuditz geben die großzügigen Fenster den schweifenden Blick auf eine Landschaft frei, die die Kuratorin in dem Video wiedererkannte.

Aufsicht auf den Lenker eines Fahrrades aus Sicht des Fahrenden. Am Lenker sind keine Hände zu sehen, es wird freihändig gefahren.

Das Video „Met losse Handen“ (Mit losen Händen, 2004) nimmt uns mit auf das von der Künstlerin „freihändig“ gefahrene Fahrrad. Mit der subjektiv geführten Kamera konzentrieren wir uns erst auf den Lenker des Fahrrads und die Schnelligkeit, mit der der Asphalt unter uns hinwegzieht, um dann den Blick mit einem Schwenk der Kamera erst zögerlich, dann immer selbstsicherer aufzurichten und abseits des Weges über einen für Holland typischen Wassergraben schweifen zu lassen, um schließlich in die Lüfte abzuheben, wo unsere Augen um eine Baumkrone kreisen.

Eine kleine Straße führt neben einem kleinen Kanal entlang eines Feldes. Die Perspektive ist gekippt, sodass die gerade Horizontlinie in der Ferne sich zur rechten Seite hin nach unten neigt.

Spätestens jetzt fragen wir uns, ob wir nicht schon längst in den Graben gefallen sein müssten oder uns in einem Tagtraum befinden. Die absolute Freiheit befindet sich demnach zwischen Beherrschung und Wagnis, in der Leichtigkeit und nah am Risiko, aber auch eng verknüpft mit Täuschung und Fantasie. Die Pointe liegt in der Überraschung am Übergang zwischen Wirklichkeit und Täuschung. Die mit Film und Fotografie arbeitende Künstlerin Marijke van Warmerdam wendet oft eine einfache Bildsprache aus krassen Farbkompositionen, Verdoppelungen oder Spiegelungen an. Damit spricht sie die Betrachter*innen direkt an. Marijke van Warmerdam wurde 1965 in Nieuwer-Amstel, Niederlande, geboren. Von 1987 bis 1990 studierte sie an der Rijksakademie van beeldende Kunst, Amsterdam. 1995 stellte sie im niederländischen Pavillon auf der Biennale di Venezia aus. Sie lebt und arbeitet in Amsterdam und Karlsruhe.

Die Künstler*innen Nori Blume, Konrad Hanke, Markus Heller, Lisa Wölfel und Mihaela Vujnovic mit der Kuratorin Petra Kießling im Ausstellungsraum.

Eingeladen wurden die Künstler*innen Nori Blume, Konrad Hanke, Markus Heller, Lisa Wölfel und Mihaela Vujnovic darauf mit eigenen kraftvollen und teils bildgewaltigen Arbeiten zu reagieren. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Werk – sagt die Kuratorin – war eine besondere Herausforderung für die Künstler*innen. Jede und jeder hat dieses Unterfangen auf ganz individuelle Weise gelöst, worin sich in den Augen von Petra Kießling die einfache und offene Bildsprache der Kunst von Marijke van Warmerdam widerspiegelt, die in ihren Werken die Schönheit alltäglicher Handlungen unterstreicht.

An der rot geziegelten Wand im Hintergrund hängt das Acryl- und Ölkreide-Gemälde von Nori Blume, das entlang einer Diagonallinie zwei Kreisformen mit kleineren Ringen darin arrangiert.

Nori Blume

„In meiner künstlerischen Antwort habe ich mich auf die Blickrichtungen im Video konzentriert. Ein Film kann nicht in einem einzigen Bild verstanden werden, während in einem Kunstwerk alles in einem einzigen Moment geschieht und gleichzeitig die Zeit nie zu vergehen scheint. Das Video „Met losse handen“ katapultiert die Beobachter*in auf ein Fahrrad. Beim Betrachten des Videos scheinen wir selbst zu fahren. Wir fahren freihändig über eine glatte Straße, schauen einmal nach rechts und einmal nach links und es entsteht ein Sog, der ewig weiterzugehen scheint. Die gerade Linie entspricht dem Gleichgewicht, das das Fahrrad auf der Straße hält und uns nicht umkippen lässt. Die Kreise, die sich nach rechts und links öffnen, zeigen den Blick auf die Landschaft, den Himmel und die Bäume. Die Bewegung des Blicks bildet eine horizontale Acht, die ihrerseits die Unendlichkeit symbolisiert.“

Die Skulptur von Konrad Hanke, eine kompalte Form mit glatter Oberfläche, die einem Feuerstein gleicht und deren organische Oberfläche durch eine akkurate, gerade Nahtstelle optisch in zwei Glieder aufgeteilt ist.

Konrad Hanke

„Als ich das Video zum ersten Mal sah, war ich irritiert angesichts der Einfachheit. In einer meiner ersten Reaktionen las ich in der kontemplativen Blickfahrt eine gewisse Ironie. Intuitiv reagierte ich mit dem Bedürfnis, mich von Details der Umgebung ablenken zu lassen. Ich schätze, dem liegt meine eigene Konsumhaltung zugrunde, die mich dazu verleitet hinter den leisen Tönen einen lauten Kommentar zu vermuten. Gleichzeitig ist meine Reaktion auf das freihändige Fahrradfahren von einer länger zurückliegenden, eher unangenehmen Erfahrung geprägt. Also wollte ich die Inszenierung der Fahrradfahrt durch die Inszenierung einer unterbrochenen Oberfläche aufgreifen. Meiner Irritation über den diffusen kontemplativen Moment der Blickfahrt wollte ich mit einem Element begegnen, welches die unendliche Bewegung des Loops unmittelbar unterbricht, sie aber gleichzeitig in der spiegelnden Oberfläche aufgreift.“

Skulptur aus verschiedenen Materialien von Markus Keller. Auf der Acrylglasplatte steht eine bronzene, vierbeinige Figur (weitere Beschreibung folgt in seinem Tnachstehenden Text).

Markus Heller

„Meine Arbeiten und deren Inhalte entstehen prozesshaft. Der Vorgang des Suchens ist stets zentral für mich. Ich lasse einzelne Objekte aus Keramik und gefundenen Materialien entstehen und bringe diese in Installationen in neue Kontexte, auf denen ich wiederum aufbaue. Analog dazu entwickle ich digitale Grafiken im selben Prinzip des Sammelns und Kombinierens. Keramik und Ton sind rudimentäre, archaische Materialien, wie auch Pixelgrafiken eine rudimentäre Form der digitalen Grafik darstellen. Mit diesen Medien nähere ich mich dem Themenkomplex „Archaik – Technik – Mensch“ an. An Marijke van Warmerdam‘s Videoarbeit fasziniert mich die Anmut und Leichtigkeit der fliegenden Kamera (die auch mein Auge als Betrachter ist) sowie der kurze Moment des Schwindels, des Bruches, den ich erlebe als ich scheinbar vom fahrenden Fahrrad abhebe und in die Wolken und die Landschaft abschweife. In meinem Objekt „Met grote ogen“ überführe ich diese Wahrnehmungen in meinen Arbeitsprozess. Beton und Metall als Sockel auf dem Boden stellen den erwarteten, aber nicht eintretenden Unfall im Video dar. Der UV-Print auf Acrylglas bezieht sich aufs Schweben und das Immaterielle. Die auf der Platte stehende Figur stellt den Sinn des Objektes in Frage und spiegelt durch ihren plakativ überraschten Ausdruck auf ironische Art mein Erlebnis beim Betrachten von „Met losse handen“.“

Zwei Gemälde von Lisa Wölfel im Ausstellungsraum in Schkeuditz (Beschreibung im nachstehenden Text von der Künstlerin selbst).

Lisa Wölfel

„Für mich stand der gerade in seinem Abschweifen, voll konzentrierte und ernsthafte Blick im Fokus meiner Beschäftigung mit der Videoarbeit von Marijke van Warmerdam. Als Beifahrerin habe ich an der im Video eingetragenen Gegenwartswahrnehmung angeknüpft. Denn nach vielen Versuchen mich zeichnerisch anzunähern, rückte eine Arbeit in den Fokus, die parallel entstanden ist: ein Gesicht, das sich in pflanzlichen und tierischen Formen auflöst, das Vorder- und Hintergrund gleichzeitig ist – eine persönliche Übersetzung. Das konzentrierte Beobachten von Natur, kann, wenn ich es zulasse, meine Selbstwahrnehmung komplett in den Hintergrund rücken. In etwa entspricht das vielleicht dem, was die Radfahrerin in der Arbeit Warmerdam´s erlebt. Einige „Steintierwolken“ entstanden ebenfalls, sowie ein weiteres Bild, das zusätzlich durch die Beobachtung von Totenkopfäffchen im Leipziger Zoo beeinflusst wurde: Das Schaffen einer besonderen Konzentration durch genaues Beobachten, ist also das verbindende Element zu „Met losse handen“. Generell arbeite ich viel mit Erinnertem, aber auch Erfindungen und Unterbewusstem, immer mit einer bestimmten atmosphärischen Anforderung als Zielsetzung vor Augen. Ich verschränke also Gegebenes zu etwas Neuem, das ich in Bildern, Skulpturen oder Raumsituationen fasse. Ich arbeite mit viel Bewegung und mit Rhythmus im Tun und überprüfe in regelmäßigen Abständen meine intuitiven künstlerischen Handlungen.“

Auf dem Boden des Ausstellungsraumes steht neben einem der Bilder von Lisa Wölfel die Papierskulptu von Mihaela Vujnovic, die sich in einer Schlängellinie nach vorn und hinten wölbt. Sie ist vielfarbig bemalt, wobei die Farbflächen diagonal zum Aufbau stehen, sodass die suggerierte Schlängelbewegung verstärkt wird.

Mihaela Vujnovic

„Die Hauptinspiration für „Ein Tag mehr ... ein Tag weniger“ ist die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft sowie dem gegenwärtigen Moment, der die lebendige Verbindung zwischen diesen beiden Polen der Existenz in der Zeit darstellt. Unser Leben kann auch mit diesem Video als eine Reise zwischen diesen beiden Zeitpolen verglichen werden. Beim Übergang vom Unbekannten zum Unbekannten durchschreiten wir einen Zeitpfad, von dem wir im Voraus wissen, dass er ein Ende hat. Der/die imaginäre Fahrer*in im Video scheint einem konkreten Weg zu folgen, wandert aber auch ziellos umher, da sich dessen Blickfeld von der Straße auf die Felder und Bäume verlagert. In ähnlicher Weise verläuft unser Leben oft entlang festgelegter Wege, aber wir wandern auch und unsere Reisen entfalten sich auf unkontrollierbare und unlogische Weise voller unterschiedlicher Landschaften, Gefühle, Menschen und Objekte. Ausgehend von Gedanken über Bewegung, Rotation, Entfaltung und Verdrehung, die Straße, Zeit und die Punkte eines Anfangs und eines Endes habe ich ein Objekt geschaffen, das an beiden Enden spiralförmig verdreht ist. Diese Enden stellen den Ausgangspunkt und den Endpunkt dar (wie die Reise von der unbekannten Vergangenheit in die unbekannte Zukunft), und alles, was dazwischen liegt, steht für die Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen.“

 

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