1 + 5 = A14. Mit der Reihe der „Ortsgespräche“ organisiert die Schenkung Sammlung Hoffmann gemeinsam mit Akteur*innen im sogenannten ländlichen Raum Ausstellungen. Hierbei wählen die Kooperationspartner*innen jeweils ein zeitgenössisches Kunstwerk aus der Sammlung Hoffmann bzw. der Schenkung Sammlung Hoffmann aus und laden fünf künstlerische Positionen dazu ein, mit diesem Werk in Dialog zu treten, indem sie sich von dem ausgewählten Werk zu einer neuen Arbeit inspirieren lassen.
Ob Form, Inhalt oder Material, die Wahl des jeweiligen Kunstwerks wird oftmals von einem Thema bestimmt, das für den jeweiligen Ort bedeutsam ist. Für das Künstlergut Prösitz war die Autobahn 14 themensetzend, die nahe dem Dorf zwischen Leipzig und Dresden vorbeiführt. Die Künstlerinnen der Ausstellung „SCHALL_WALL“ haben sich im Vorfeld für die Videoarbeit „Accelerated Heavens“ (2001) der israelischen Künstlerin Rivka Rinn entschieden. Vor der Geräuschkulisse eines Autorennens lässt die in Berlin lebende Künstlerin fotografische Momentaufnahmen aus ihrem Alltag und von ihren Reisen – sei es aus dem Flugzeug, dem Zuge, dem Auto – in schneller Abfolge ablaufen und schafft damit den Eindruck großer Unruhe.
Ausgehend von Rinns Werk sind mit dem Projekt „SCHALL_WALL“ auf dem Künstlergut Prösitz klangkünstlerische Antworten auf die benachbarte Autobahn entstanden, die seit Jahrzehnten das soziale Leben im Dorf bestimmt. Alle fünf Bildhauerinnen haben sich dem zeitgenössischen Begriff der Skulptur unter Aspekt des Klangs angenähert. Als unsichtbares Phänomen prägt der Klang gemeinsame Räume und formt damit auch unser soziales Leben, denn wir reagieren – wenn auch unterbewusst – auf ihn. Die Ausstellung „SCHALL_WALL“ umfasst Arbeiten, die von ihnen während ihres Aufenthalts in der 80-SeelenGemeinde entwickelt wurden.
In ihrem mehrteiligen Werk macht Anna Holzhauer das Dorf Prösitz zur Bühne. Die Künstlerin bezieht große Heuballen mit kräftig rotem Stoff und positioniert diese – wie im Titel aufgegriffen – an bestimmten „Stellen“ (2024) im Dorf. Die überdimensionalen Skulpturen laden zum Umgehen, Draufklettern und Draufsitzen ein und markieren die von der Künstlerin ausgewählten Orte als Knotenpunkte, die eine Klangachse zur Autobahn freigeben und den Besuchenden erlauben den Ort und die Geräuschkulisse der Autobahn bewusst wahrzunehmen, sich zu ihr in Beziehung zu setzen.
Eine Gruppe von Anwohner*innen versammelt sich und hört eine Weile lang der A14 zu, dann beginnt die Gruppe zu improvisieren und dem der Autobahn ganz eigenen Chor von Autos stimmlich zu antworten. Die Künstlerin Grit Ruhland und die Sängerin Walburga Walde nutzen die Autobahn als produktives Moment und ermöglichen es einen neuen, weil stimmlichen Zugang zu ihr zu finden. Ruhland und Walde haben aus gesammelten Bild- und Tonmaterial während ihres Aufenthalts das Hörstück „Autobahn-Chor-Projekt" (2024) zusammengestellt, das den in Prösitz stattgefundenen Prozess einfängt.
In ihren Arbeiten verwertet Frauke Eckhardt die Störgeräusche des urbanen und landschaftlichen Raums. In „travelling_infra“ (2024) hat die Künstlerin auf dem Künstlergut Prösitz einen Wohnwagen zum Klangobjekt und mobilen Hörsaal umgearbeitet und macht die 8-Spur-Komposition von diversen Autobahn- und Transfergeräuschen im Liegen auch körperlich spürbar. Auch in weiteren in Prösitz ausgestellten Arbeiten deutet Eckhardt Störgeräusche um und verdichtet den Ort akustisch und optisch, wenn in „rush 2“ (2021) vorbeibretternde LKWs zu einem Meeresrauschen im Zerrbild der spiegelnden Klangmembrane verschmelzen.
Die Künstlerin und Sprachwissenschaftlerin Christina Stark hat während ihres Aufenthalts in Prösitz mit Anwohner*innen Interviews zu ihrem Leben mit Lärm geführt. In ihren Fragen spürte Stark den Bewältigungsstrategien zum Lärmempfinden der naheliegenden Autobahn nach. Aus den Antworten webt die Künstlerin auf feinen Streifen aus Papier die Lärm-Sprech-Collage „bruitorganismus, still“ (2024) zusammen, die in dem Moment zur interaktiven Installation wird, wenn die Ausstellungsbesucher*innen selber tätig werden, um in dem Konvolut aus Silben, Wörtern und Sätzen zu wühlen, zu lesen und über ihre eigene Geräuschbiographie ins Gespräch zu kommen.
Ihre Recherche hat die Künstlerin Anna Schimkat zu den in Prösitz verschwundenen Wegen geführt. In der Videoarbeit „Die A14 bei Prösitz“ (2024) beschäftigt sich die Künstlerin anhand von historischem Kartenmaterial mit der Wegeführung die durch den Bau der Fernstraße unterbrochen wurde. Unweit dem Künstlergut installierte Schimkat unterhalb der Autobahn ihre Klangintervention „Kirschen“ (2024). In einem kleinen, verborgenen Wasserlauf, der unter der Autobahn durchführt, erklingen aus dem verwachsenen Rohr sehnsüchtige Lieder die auch Sehnsuchtsorte besingen, die in den Geschichten der Anwohner*innen wiederzufinden sind und von dem alten, von Kirschbäumen gesäumten Schulweg erzählen, der – durch die Autobahn unterbunden – nun im Wasserlauf endet.
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