ostZONE entstand in Kooperation mit dem Dresdner Verein Kultur Aktiv e.V. und wird ab dem 17. August 2024 im Albertinum fortgesetzt.
1979 kam ich in die DDR, mit 16 Jahren, und lebe heute in Dresden. Nach dem Sprachkurs in Brandenburg begann ich meine Berufsausbildung als Betriebsschlosser in Weimar und qualifizierte mich als Facharbeiter. 1987 zog ich nach Freital um. Dort arbeitete ich als Sprachmittler und betreute die vietnamesischen Frauen, die im VEB Kinderoberbekleidung in Freital beschäftigt waren. Zunächst war ich nur als Sprachmittler tätig, übernahm dann aber auch andere Aufgaben, die nicht im Vertrag standen, wie Arbeitsschutzbelehrungen und die Regeln im Wohnheim.
Mein Workshop im Projekt „ostZONE" hieß „Jeans nach Dienstschluss“, weil wir nach
Dienstschluss mit dem Nähen begannen. Dort erzählte ich den Teilnehmer*innen, wie wir
in den 1980er Jahren Jeans nach Maß in den Wohnheimen fertigten. Das Nähen brachten
wir uns gegenseitig bei. Die Besucher*innen kamen zu uns ins Wohnheim, wir nahmen die
Maße ab und nähten. Eine wichtige Frage war: „Welche Marke willst du? Wrangler,
Montana, Levis oder Lee?“ Aber alle wollten nur Levis Nieten und Schilder. Die Schilder
bekamen wir aus Polen von anderen Vertragsarbeiter*innen, bei denen wir sie bestellten.
Damals gab es auch in Polen schon Kopien. Wir verlangten 120 Mark für eine Jeans.
Auch wir träumten von Westware, egal ob echt oder nicht. Durch Kontakte konnten wir das
verdiente Geld tauschen und uns im Intershop T-Shirts kaufen: Boney M. und ABBA – wir
waren immer cool gekleidet. Mit Lohnarbeit verdiente man wenig Geld, wenn ich zehn
Jeans pro Woche nähte, verdiente ich so viel wie in einem Monat. Wir haben Tag und
Nacht gearbeitet, warum nicht? Ich nenne das „Rotarbeit“, nicht Schwarzarbeit, weil wir
nicht beschränkt wurden. Die DDR konnte selbst nicht genug produzieren, um den Bedarf
zu decken, deswegen wurde es einfach ignoriert. Auch die Polizei war Kunde bei uns.
Demonstrieren und in den Westen fahren war verboten, aber „Rotarbeit“ nicht.
In den Wohnheimen gab es immer mal wieder Einbrüche. Ich denke, das war Rassismus,
aber heimlich und nicht so offen wie später. Ich glaube, sie waren neidisch auf die Ausstattung im Wohnheim und die Fahrräder und Mopeds, die wir hatten.
Wir haben viel gekauft und dann nach Vietnam geschickt, denn wir waren verpflichtet zu unterstützen, da Vietnam durch den Krieg und die Konflikte abgeschnitten war. Nach der Wende habe ich meine Kündigung bekommen und es gab kaum noch Nachfrage nach den Jeans. Ich bin dann nach Dresden umgezogen. Wir haben damals 3000 DM Entschädigung angeboten bekommen: „Du nimmst 3000 DM und dann gehst du wieder“, war die Information. 90% sind zurück nach Vietnam. Viele wollten nicht bleiben, auch aus Angst wegen des Rassismus, und haben sich gesagt: Wir gehen freiwillig. Andere sahen die 3000 DM als Startkapital in Vietnam.
Ich war hier schon integriert und wollte bleiben. Aber meine Berufsabschlüsse wurden
nicht anerkannt und Arbeitsstellen waren meist nur für Deutsche und europäische
Gastarbeiter*innen. So entschieden viele von uns, dass wir uns selbstständig machen. Ich
arbeitete wieder mit Textilien und verkaufte in einem Reisegewerbe auf Märkten gemischte
Waren, denn Ladenfläche war teuer. Später arbeitete ich in einer Änderungsschneiderei.
Ich habe auch Nageldesign gemacht. Das ist eine Kunst – das ist ein Kunstwerk. Dass ich
mich gut unterhalten kann, half bei der Arbeit, aber das viele Sitzen war mir zu
anstrengend, ich bin lieber aktiv.
Mittlerweile bin ich fast 20 Jahre im vietnamesischen Verein tätig. Meistens organisiere
ich hier Kulturveranstaltungen. Bei Afropa e.V. bin ich seit 5 Jahren. Das ist eine Stelle, die
gut für mich ist. Hier habe ich den Proberaum meiner Band „Dresdner Brüder“ und seit ich
hier bin, habe ich viele Projekte gemacht: Seminare, Ausstellungen, Musikfeste – alles zum
Thema vietnamesische Kultur. Das Hobby von vielen Vietnames*innen hier ist das Malen,
deswegen habe ich für sie eine Galerie hier im Verein gemacht. Dieser Raum ist wie ein
Spielplatz für unsere Kinder, sie können hier Bilder ausstellen. Im Museum geht es mehr
um eine ältere Generation – hier im Verein stellen wir die Werke der jungen, der dritten
Generation, aus. Aber es ist nicht einfach, von allen Arbeiten zu bekommen und Geld für
die Projekte zu erhalten. Es ist immer schwer mit dem Geld und ich mache viel alleine.
In meinen anderen Projekten geht es um vietnamesische Kunst, Kochkunst und Emigration. Der Stadtrundgang, den ich für das Projekt „ostZONE“ gemacht habe, gehört da irgendwie auch dazu. Es ist eine Gelegenheit, unsere Restaurants mal kennenzulernen. Beim Stadtspaziergang über die Alaunstraße stellte ich über 10 Lokale aus unserer Community vor. Die vietnamesische Küche spielt mittlerweile eine große Rolle in Deutschland und ist integriert. Essen soll man jeden Tag und die vietnamesische Küche ist sehr gesund. Ich kenne viele, die auf der Alaunstraße ihr Restaurant haben, und wir versuchen gerade, diese Straße für Touristen „Hanoi Straße" zu nennen: Die Straße soll einen Namen von uns haben.
Die vietnamesische Kultur ist mir wichtig, wir sind auch Teil der deutschen Bevölkerung, aber wir müssen auch daran denken, was wir mitgebracht haben: Essen, Kunst, Kostüme und Sprache. Wir sind eine deutsche Minderheit und Deutschland ist ein Land mit vielen kulturellen Gruppen: Ein Land, das Vielfalt hat, ist ein Land, in dem man sich wohlfühlen kann. Es ist nicht mehr so wie damals. Wir sind nicht nur vietnamesisch, sondern auch Deutsche. Wir wollen unsere Feste teilen und unsere Veranstaltungen sind für alle. Wir haben die Feste mitgebracht und sie sind auch Teil von Deutschland. Unsere Kinder sind Deutsche, nur wir kommen noch aus Vietnam.
Ich reise bald mit Dr. Verena Böll nach Vietnam. Dort sprechen wir mit Menschen, die zurückgegangen sind. Wir wollen ihre Geschichten sammeln und suchen Kontakt: Wie erfolgreich oder erfolglos werden wir uns im Alter wieder treffen? Wir besuchen dort ehemalige Vertragsarbeiter*innen und auch Künstler*innen, die damals hier gearbeitet und studiert haben. Sie alle sind über 80 Jahre alt und viele von ihnen sind schon gestorben.
Die Kunstschüler*innen waren beeinflusst von der DDR und in Vietnam sind sie jetzt berühmte Künstler*innen.
Zum Beispiel Huy Van Le. Er ist der Direktor einer Kunstschule in Hanoi und hat in Halle studiert. Wir kennen uns gut und ich darf seine Grafiken auch für meine Veranstaltungen nutzen. Huy Van Le kam auch sehr früh nach Moritzburg als einer der ersten Vietnamesen. Er hat in der DDR bei Hannes H. Wagner studiert und wurde von ihm porträtiert. In diesem Bild sieht man ihn und den buddhistischen Mönch, Thich Quang Duc, im Hintergrund, der sich bei den Protesten in Südvietnam 1963 verbrannte. Er steht vorne mit einem Hammer. Es geht in diesem Bild um Solidarität. Wir fragen uns, wo das Bild ist, denn es ist wertvoll.
Solidarität ist auch für mich ein Bezugspunkt in der Ausstellung gewesen. Es gab viele Briefmarken zum Thema Solidarität mit Vietnambezug. Auch ich habe viel Material in meiner Sammlung mit Symbolen zur Vietnamsolidarität. Solidarität, das hieß eigentlich mal „gegenseitige Hilfe“. Während Corona haben wir in der Community 20.000 Masken in sehr kurzer Zeit genäht: für Krankenhäuser, Pflegeheime und Ärzt*innen. Viele importierten wir auch aus Vietnam. Wir sind Dresdener und müssen einen Beitrag für die Stadt leisten, wenn sie Hilfe braucht.
In der Ausstellung fand ich besonders interessant, wie verschiedene Länder ihre Solidarität
zeigten. Es wäre schön gewesen, wenn sie mehr mit den Vietnames*innen
zusammengearbeitet hätten, denn es ist sehr wenig aus unserer Geschichte zu sehen, bis
auf ein paar Bilder vietnamesischer Künstler*innen und ein paar Fotos. Die
Zusammenarbeit fehlt. Es braucht mehr Werke von vietnamesischen Künstler*innen und
Bilder von unserer Geschichte. Wir haben auch Fotos, Erinnerungen und Gegenstände in
unseren privaten Archiven. Bei den Kunstgesprächen habe ich unserer Community und
weiteren Besucher*innen die Ausstellung gezeigt. Von uns machen viele Kunst und auch
wir wollen unseren Beitrag in der Kunst- und Kulturstadt Dresden leisten. Eigentlich müsste
jedes Jahr so eine Ausstellung gemacht werden.
Auf einer Veranstaltung sagte ich zu euch: „Es ist nett, dass ihr mich einladet, aber es ist auch ein bisschen spät.“ Denn die Zeitzeug*innen leben jetzt noch, aber einige sind sehr alt, manche fast 100 Jahre alt. Ich habe viele Fotoalben, Gedichte von dieser Generation der ersten Vietnames*innen in Moritzburg. Sie haben viel Material, das sie mir geben würden, und ihre Archive gehen nach ihrem Tod an mich, aber die, die noch leben, muss man jetzt einbinden und ihnen Fragen stellen.
Die Zeitzeug*innengespräche und Kunstgespräche für Museen mache ich, weil ich meine Zeit nutzen will, um den jungen Leuten, die das nicht miterlebt haben, von damals zu erzählen. Ich will der Öffentlichkeit sagen, dass diese Perspektive dazugehört. Wir leben in einem Land, in dem Freiheit und Demokratie gelten, und unsere Erfahrungen sind bestimmt interessant für die zweite und dritte Generation. Es gibt auch viele Geschichten, die man noch nicht gehört hat, und deswegen bin ich immer bereit, bei solchen Gelegenheiten davon zu erzählen. Deutsche Bürger*innen kennen die DDR-Vergangenheit teilweise, aber wir als Vertragsarbeiter*innen haben nochmal eine andere Erfahrung durch die Arbeit in den Betrieben und das Leben in den Wohnheimen gemacht. Es müsste zum Beispiel auch mal eine Ausstellung über die Geschichte der vietnamesischen Frauen in der DDR geben.
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