Palais-Garten #2 - Von Blattläusen, Ameisen und Marienkäfern 14. August 2023

Aus einer Blattlaus einen Dinosaurier machen

Zum Anfang die Hard Facts: Blattläuse haben wunderbare Überlebensstrategien entwickelt, weshalb es sie auch schon seit 200 Millionen Jahren auf dieser Erde gibt. Es gab sie also schon, als noch die Dinosaurier ihr Unwesen trieben. Von 5000 Arten kommen etwa 800 in Mitteleuropa vor und ernähren sich von Pflanzensaft. Da die hungrigen Tiere in ihrer Masse eine Pflanze stark schwächen und schädigen können, werden sie weitläufig als Schädlinge gesehen. Aber ganz so einfach ist es nicht auf dieser komplexen Erde: Der Schaden des einen ist der Nutzen des anderen und das Ziel ist es, irgendwie die Balance zu halten.

Bei der Blattlaus beginnt alles mit einem Ei, zumindest wenn die Erzählung mit dem Gartenjahr beginnt. Aus dem Ei schlüpft eine weibliche Blattlaus. Die frisch geschlüpften weiblichen Blattläuse vermehren sich ab dann jungfräulich - das heißt, sie brauchen keinen männlichen Partner, um sich fortzupflanzen. Tatsächlich gebären sie ab dann bis zu vierzig lebende, weibliche Blattläuse. Erst am Ende der Saison, bevor der Winter naht, werden wieder männliche Blattläuse geboren, damit die aus der Paarung entstehenden robusteren Eier überwintern können.

Blattläuse wollen, wie alle Lebewesen, ihr Überleben sichern. Deshalb wollen sie weder ihren Wirt töten, noch den natürlichen Fressfeinden zum Opfer fallen. Auch dafür legen sie eine faszinierende Ausweichstrategie an den Tag: Sobald sich bereits eine zu große Blattlauskolonie auf einer Pflanze befindet oder Marienkäferlarven auf den Riecher gekommen sind und sich an die Blattläuse machen, stoßen sie Pheromone aus, die dazu führen, dass die Läuse ab dann mit Flügeln geboren werden. So können sie mithilfe des Windes auf andere Pflanzen ausweichen und dort munter weitersaugen.

Wobei saugen nicht ganz richtig ist: eigentlich stechen sie mit ihren Mundwerkzeugen in die Blattadern, der austretende Pflanzensaft strömt ganz von alleine in die kleinen Lauskörper und ernährt sie. Dabei kommt allerdings viel mehr Zucker und Wasser an, als die Blattlaus überhaupt benötigt. Diese Mischung wird als durchsichtig-klebrige Flüssigkeit ausgeschieden: der Honigtau. Dieser wiederum stellt eine wichtige Nahrungsquelle für Ameisen und Honigbienen dar. Und da die Ameisen den Honigtau als Nahrungsquelle so sehr lieben, leben sie in einer Art Lebensgemeinschaft mit den Blattläusen, betrillern und ‚melken‘ sie und halten ihnen die natürlichen Fressfeinde vom Leib. Zumindest versuchen sie es.

Aber nicht nur der Honigtau ist eine wichtige Nahrungsquelle: Marienkäfer, Florfliegen, Schwebfliegen, Schlupfwespen, Schnecken, verschiedene Vogelarten - es gibt eine Vielzahl an Tieren, die sich von den Blattläusen selber ernähren. Auch wenn die Blattläuse aus menschlicher Sicht oft als Schädlinge gelten, sie bilden ein wichtiges Glied in der Nahrungskette.

Schauen wir uns die Marienkäfer als Blattlaus-liebende Fressfeinde an, denn sie sind maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Befall nach ihrem Einzug ins Japanische Palais massiv reduziert hat: Die kleinen Larven der Marienkäfer fressen 600-800 Blattläuse, bevor sie sich zum Käfer entpuppen. Ab dann fressen sie 50 - 150 Blattläuse am Tag. Das ist eine ganze Menge.

Blattläuse können auch Krankheiten und Viren von einer Pflanze auf die andere übertragen und so einzelne Pflanzen stark schädigen oder sogar töten. In diesem Jahr waren die Wetterbedingungen für die Blattläuse besonders günstig, denn das Jahr startete mit ein paar milden Wochen, in denen die Läuse schlüpfen konnten. Durch den darauffolgenden Kälteeinbruch hielten die Marienkäfer noch etwas länger Winterschlaf als gewöhnlich. So konnten sich die Blattläuse noch eine ganze Weile ungehindert vermehren. Im Japanischen Palais hat der Holunder besonders stark gelitten und muss sich noch vom Befall-Peak im Mai und Juni erholen. Im Grunde reicht es abzuwarten, bis die Nützlinge von alleine kommen.

Wem die Blattlauskolonien im Garten trotzdem zu viel werden, kann mit einem kräftigen Wasserstrahl versuchen, die Läuse abzuspülen. Es gibt auch verschiedene ökologische Hausmittelchen, die helfen können. Besonders sinnvoll ist es aber, auf eine hohe Pflanzenvielfalt mit ökologischem Wert zu setzen, um auch einer Vielfalt an Nützlingen genug Nahrungsquellen zu bieten. Und ganz einfach: Je gesünder die Pflanze, desto resistenter ist sie gegen Stress. Demnach sollte man dafür sorgen, dass sie gut mit Nährstoffen (im Japanischen Palais setzen wir auf Wurmkompost) und Wasser versorgt sind. Dann regelt sich der Kreislauf von selbst, man kann sich als Gärtner*in zurücklehnen und das spannende Schauspiel beobachten.

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