Vom Schicksal der Revolution hängt auch das Schicksal der cubanischen Kultur ab. Darum: Die Verteidigung der Revolution ist gleichbedeutend mit der Verteidigung der Kultur.
Gert Caden [Einführung], in: Grafik aus dem neuen Cuba, Ausst.-Broschüre Museum für Deutsche Geschichte, Berlin-Ost 1961, Berlin 1961, o. S. – Zum Zitat des Aufsatztitels: deutsche Übersetzung »Wir sind der Welt ein Beispiel«, Titel des Plakats eines unbekannten kubanischen Künstlers im Dresdener Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1963-25.
1 Vgl. Marcus Kenzler, Der Blick in die Welt. Einflüsse Lateinamerikas auf die Bildende Kunst der DDR, Berlin 2012, S. 116–118.
Für die Auswirkung kulturpolitischer Aktivitäten auf die Sammeltätigkeit von Museen der DDR steht beispielhaft ein kleiner Bestand von knapp 70 Werken kubanischer Kunst im Dresdener Kupferstich-Kabinett. Sie fanden in den 1960er Jahren auf drei verschiedenen Wegen Eingang in die Sammlung. Angeregt durch die Vorbereitung der für ab Herbst 2020 geplanten Ausstellung Revolutionary Romances im Albertinum, die die künstlerischen Beziehungen zwischen der DDR und den Ländern des Globalen Südens untersuchen soll, rückt dieser Bestand nun in den Fokus. Dass ihm wenig Beachtung geschenkt wurde, zeigt sich auch aus konservatorischer Perspektive: Die meisten dieser Blätter waren bislang unter der Rubrik „nicht aufgelegt“ lose in Mappen oder als zusammengerollte Konvolute aufbewahrt.
Aus den Erwerbungsakten wird ersichtlich, dass die ersten beiden Zugänge wohl eher im Zusammenhang diplomatischer denn kunsthistorischer Erwägungen standen. Lea Grundig (1906–1977), damals Professorin für Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, brachte 1961 vermutlich von einer Kubareise zahlreiche grafische Blätter mit zurück nach Dresden, die sie dem Kupferstich-Kabinett schenkte.2 Es sind vorwiegend Werke, in denen die Revolution thematisiert wird. An Werner Schmidt (1930–2010), den damaligen Direktor des Kupferstich-Kabinetts, schrieb sie 1962:
Ich übersende Ihnen hier die Liste der kubanischen Grafiken, die ich Ihnen als Geschenk übergebe. Ich tue es mit großer Freude und hoffe, dass sie beitragen werden, unsere herzliche Verbindung zu dem revolutionären Kuba zu stärken und auch die Freundschaft zwischen unseren Völkern durch die Kunst zu festigen.3
Die Liste umfasst 65 Werke von 27 Künstler*innen. Werner Schmidt wählte jedoch lediglich zehn Arbeiten aus und antwortete Lea Grundig:
Sie werden wohl Verständnis dafür haben, dass wir nur die künstlerisch wichtigsten Blätter nach bestem Ermessen in unsere Sammlung aufnehmen können, um von der kubanischen Graphik eine Vorstellung von möglichst hohem Niveau bieten zu können.4
2 Der zeitliche Zusammenhang zwischen Lea Grundigs Reise und der Schenkung an das Kupferstich-Kabinett legt nahe, dass sie diese Blätter aus Kuba mitbrachte.
3 Lea Grundig an Werner Schmidt, 26.9.1962, Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), 02/KK 63, Bd. 1, o. Bl.
4 Werner Schmidt an Lea Grundig, 6. 2. 1963, ebd.
5 SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1963-21.
Unter dem inhaltlichen wie formalen Einfluss der Kunst Pablo Picassos der 1930er Jahre und besonders seines großformatigen Gemäldes Guernica von 1937 steht der zweite Holzschnitt, gefertigt von Umberto Peña Carriga (* 1937). Unter dem Titel Las Dictaduras en America findet sich eine allegorische Darstellung des Kampfes der Rebellen gegen den Diktator General Batista.
6 Vgl. Gerhard Pommeranz-Liedtke, Die Revolutionäre »Asociación
de Grabaderos de Cuba«, in: Kubanische revolutionäre Graphik, Dresden 1962, S. 5–28,
hier S. 12.
7 Anzunehmen ist, dass auch diese Schenkung durch Lea Grundig vermittelt wurde, die seit 1964 Vorsitzende des VBK war.
Ich halte es nicht für richtig, dass alle 30 Holzschnitte in unseren Besitz übergehen, da die Blätter nur gerollt in unserem Depot liegen würden und auch den Besuchern im Studiensaal kaum zugänglich gemacht werden können, weil [Unterlage-]Kartons von der Größe dieser Holzschnitte nicht existieren.8
8 Werner Schmidt an die Generaldirektion, 28.10.1965, Archiv der SKD, 02/KK 68, S. 103.
9 Werner Schmidt an die Generaldirektion, 9.11.1965, ebd., S. 106.
10 Von Juli bis September 1975 richtete die Gemäldegalerie Neue Meister Carmelo González Iglesias eine Einzelausstellung mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafik aus.
11 Christian Dittrich, Reisebericht, 6.11.1969, Archiv der SKD, 02/KK 204, o. Bl.
12 Christian Dittrich, Reiseantrag, 28.5.1969, ebd.
Im Rahmen seines Aufenthaltes vom 9. August bis zum 14. September 1969 begutachtete Dittrich vor allem die grafische Sammlung des Museums, präzisierte Zuschreibungen und Datierungen europäischer Werke und beriet bei der Systematik der Aufstellung und der Lagerung der Bestände. Darüber hinaus besuchte er zahlreiche andere Museen und Institutionen sowie Grafikwerkstätten und verschaffte sich durch Galerie- und Atelierbesuche eine Übersicht über die kubanische Gegenwartskunst. Mithilfe des Nationalen Kulturrates Kubas konnte Dittrich einige grafische Blätter erwerben, andere bekam er von Kunstschaffenden geschenkt. Diese 21 Grafiken wurden nach seiner Rückkehr Teil der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts.
Dittrichs Auswahl unterscheidet sich von den vorangegangenen Schenkungen durch eine größere formale und inhaltliche Vielfalt. Abstrakte und stark farbige Darstellungen sind ebenso darunter wie figurativ-realistische Lithografien und Holzschnitte in Schwarzweiß. Revolutionäre Motive fehlen in dieser Zusammenstellung gänzlich.
Zusätzlich brachte er zahlreiche Filmplakate mit zurück nach Dresden, hergestellt in Siebdrucktechnik. Es verwundert, dass man diese damals nicht inventarisierte, da Dittrich ihre formale Qualität, die an die Pop Art angelehnt war, hervorhob:
Mit Dittrichs Erwerbungen endete das Sammeln von kubanischer Kunst am Kupferstich-Kabinett, mit Ausnahme drei einzelner Blätter, die später in die Sammlung kamen.14 Bei dem letzten Zugang – der einzigen Zeichnung im Bestand – handelt es sich um ein Gastgeschenk an Erich Honecker anlässlich dessen Staatsbesuchs 1980 in Kuba. Das um 1976 entstandene Blatt von René Portocarrero (1912–1985) zeigt den Kopf einer jungen Frau im Profil, überwuchert von einem farbenprächtigen Blumenmeer. Nichts daran erinnert mehr an die politische Aufbruchstimmung der Grafik der 1960er Jahre.
13 Vgl. Christian Dittrich, Kubanische
Kunstnotizen. Im Museo Nacional, in der Experimentierwerkstatt für Graphik und in Künstlerateliers von Havanna zu Besuch, in: Dresdener Kunstblätter 15 (1971), Nr. 4, S. 122–125, Nr. 6, S. 170–177, hier S. 173. Die Filmplakate wurden im Zuge der Recherchen zu diesem Beitrag im Mai 2020 inventarisiert.
14 SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nrn. C 1981-231 (Zeichnung von René Portocarrero), A 1983-53 und A 1983-54 (Lithografien von Rafael Zarza).
Im Kontext dekolonialer Fragestellungen, die die Kunst des Globalen Südens in den Blick nehmen, gewinnen Bestände wie die vorgestellten an Relevanz, vielleicht sogar erstmalig. Kunst als kulturpolitische Botschafterin war in der DDR das, was unter den Auflagen der Politik gesammelt wurde, nicht aber, was bei freier Entscheidung unter qualitativen Gesichtspunkten ausgewählt worden wäre. Heute jedoch erzählen die kubanischen Bestände des Kupferstich-Kabinetts beispielhaft von den Einflüssen des Zeitgeschehens auf die Sammeltätigkeit: von politischen Rahmenbedingungen und persönlichen Beziehungen, von Kunst im staatlichen Auftrag und den ganz persönlichen »revolutionary romances«.
* Der Autor dankt Consuelo Dittrich für Gespräche und wichtige Hinweise.
Dieser Text ist zuerst in Ausgabe 3/2020 der Dresdener Kunstblätter erschienen.
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