Im Mai 1965 lobte das polnische Lifestyle-Magazin Ty i Ja die Einbauküche: „Eine Tendenz der modernen Wohnarchitektur ist die Integration einer ganzen Wohnung mit dem, was wir die Küche zu nennen pflegten. Die Küche ist Stück für Stück in ein Labor transformiert worden; sie hat immer mehr Vorrichtungen in unterschiedlichen Stilen für jeden Geschmack integriert. Warum sollten wir – von den verbleibenden Herausforderungen wie der Belüftung einmal abgesehen – nicht darüber nachdenken, die Küche in den gewöhnlichen Wohnraum einzuschließen? Eine Transformation zur Nische, zu einer Erweiterung des Wohnbereichs statt der Sphäre einer unterjochten Hausfrau. Weitere Indikatoren zur Emanzipation dieses bisher isolierten Raumes sind die Tatsache, dass inzwischen auch Männer in der Küche arbeiten, ebenso wie die Absenz von Bediensteten.“ Schon drei Jahre zuvor hatte das Magazin argumentiert, dass „eine Küche kein schambehafteter Ort“ sei. In der zeitgenössischen Sozialstruktur werde durch sie deutlich, dass das Vorhandensein einer Dienerschaft zum Relikt geworden sei und dass die Küche sich stattdessen zu einem Familienbereich und hausfraulichen Arbeitsplatz entwickelt habe.
Die Befreiung der Küche, wie sie in diesem Zitat begriffen wird, ist eine dreifache. Erstens meint sie eine wortwörtliche soziale Emanzipation: das Verschwinden der Bediensteten. In der Volksrepublik Polen, in der Ty i Ja erschien, gab es selbstverständlich keinen Platz für die bourgeoise und aristokratische Gepflogenheit, Hauspersonal zu beschäftigen; aber diese Tendenz breitete sich nicht allein dort, sondern in ganz Europa aus und sie war auch alles andere als neu. In seinem Buch „Home: A Short History of an Idea” erklärt Witold Rybczyński, warum die Küche bereits im 17. Jahrhundert in niederländischen Wohnhäusern zu einem zentralen Ort wurde, als die Anzahl der Bediensteten abnahm und sich die Küche zunehmend zu einem Arbeitsplatz der Hausfrau entwickelte. Während in anderen europäischen Ländern zu jener Zeit die Kochbereiche vom Rest der Wohnung getrennt waren, sodas Bewohner*innen kaum Notiz von ihnen nahmen, war ihre Rolle in niederländischen Wohnhäusern weit entscheidender und so kümmerten sich die niederländischen Hausfrauen mit besonderer Zuwendung um sie. Das ist leicht verständlich: So lange wie die Küche ausschließlich Ort der Dienerschaft war, hatte niemand, der etwas zu sagen hatte, ein Interesse an ihrer Optimierung. Sobald aber die Hausfrau diesen Raum für sich einnahm, wurde er mit Pflege bedacht, großzügige Investitionen wurden vorgenommen und sein Anschluss an den Rest des Heims wurde vorangetrieben.
Zwischen den Weltkriegen hatte der Einzug moderner, kompakter Küchen mit einer klaren Verbindung zum Wohnraum in Europa dann viel mit den progressiven sozialen Ideen und dem Verschwinden der Hausbediensteten zu tun. Die Architektin Barbara Brukalska entwickelte etwa „Küchen-Labore“ für ein soziales Wohnprojekt, die Warschauer Wohngenossenschaft (Warszawskiej Spódzielni Mieszkaniowej – WSM). Sieht man sich ihre Entwurfszeichnungen genauer an, so sieht man eine elegante Dame mit Pixie-Kurzhaarschnitt. Es handelt sich definitiv nicht um eine Haushälterin, sondern eine moderne, arbeitende Frau, die einen Job jenseits der häuslichen Aufgaben hat, vielleicht die Architektin selbst. Die Architekt*innen der Warschauer Wohngenossenschaft sahen auch gar keine Räume für Dienstpersonal in den von ihnen designten fortschrittlich-modernen, aber bescheidenen Apartments vor. Nichtsdestotrotz gaben die bürgerlichen Bewohner ihre Gewohnheiten nicht sofort auf und unterhielten weiterhin Bedienstete.
Da es aber keine Räume für sie gab, mussten sie in Kellern, Dachböden oder Müllcontainern leben und schliefen mitunter in den Badewannen. Das sukzessive Verschwinden des Haushaltspersonals war trotzdem eine Tatsache und von großem Einfluss auf das moderne Küchendesign. Der Designhistoriker Adrien Forty kommentierte die Idee, dass die Erfindung von Haushaltsgeräten eine Reaktion auf den Rückgang der Bedienstetenklasse war. Er bemerkte, dass dieser Gedanke so oft wiederholt worden sei, dass er zu einem weitläufig anerkannten Faktum geworden sei, der sowohl Hausfrauen als auch Herstellern von Haushaltsgeräten zugutekam.
Die Emanzipation der Küche bedeutete auch eine Emanzipation der Frau. Ursprünglich allerdings fichten die Ideen von komfortablen, arbeitssparenden Küchen die traditionellen Geschlechter-Rollen nicht an. Die Amerikanerin Christine Frederick war eine Pionierin der systematischen Organisation der Küche. Inspiriert von Frederick Taylors Ideen, mit denen sie durch ihren Mann bekannt war, arbeitete sie eine präzise Methodologie für zeit- und energie-sparendes Küchendesign aus. Ihr Erarbeitungsprozess basierte dabei auf wissenschaftlichen Befunden. In ihrer Atelier-Küche führte sie Experimente zum Einsparen von Zubereitungsschritten durch und untersuchte hunderte Küchengeräte. Ihre sorgfältigen Kalkulationen der Zeit, die für verschiedene Aufgaben erforderlich war, resultierte in einer deutlichen Rationalisierung der Küchenarbeit. Die Zeitersparnis in der Hausarbeit konnte so zugunsten der Familie eingesetzt werden. Fredericks Buch The New Housekeeping (1912) war außerordentlich einflussreich. Es wurde in sechs Sprachen übersetzt und vielfach von der europäischen Design-Avant-Garde zitiert. Die Ästhetik ihrer Küche war allerdings, wie ihre Motivation, noch immer recht konservativ.
Im Rahmen des Funktionalismus und der Sozialfürsorge wurden in Europa schließlich moderne, hygiene-orientierte Küchenlabore entwickelt. Die Küche von Barbara Brukaska in der Warschauer Wohngenossenschaft ist ein gutes Beispiel dafür, da sie als Teil des utopischen Programms der Arbeiterwohnungen entwickelt wurde, schließlich aber auch bei wohlhabenderen Bewohner*innen Verwendung fand. In Deutschland wurden neue Küchen entwickelt, um Frauen von den Lästigkeiten der Küchenarbeit zu befreien und ihnen die Möglichkeit zu geben, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Die erfolgreichste Verwirklichung des Küchenlabors war die "Frankfurter Küche" von Margarete Schütte-Lihotzky, einer begeisterten Leserin der Werke von Christine Frederick und Enthusiastin der Haushaltstechnik. Diese Küche wurde für ein von Ernst May entworfenes soziales Wohnprojekt in Frankfurt entwickelt und schließlich in zehntausend Wohnungen eingebaut. Die Motivation der Architektin war hier eindeutig dem Fortschritt verschrieben. Sie befand, dass "der Kampf der Frauen um wirtschaftliche Unabhängigkeit und persönliche Entfaltung die Rationalisierung der Hausarbeit zu einer absoluten Notwendigkeit machte". Schütte-Lihotzky gelang es, haushaltstechnische Prinzipien mit einer hochmodernen Ästhetik zu verbinden und sie legte damit den Grundstein für alle späteren kompakten Einbauküchen. Die wissenschaftliche Anmutung dieser Küchen bedeutete nicht, dass sich ihre Architekten vor stilistischen Entscheidungen drückten. Adrian Forty bemerkte, dass das Bürgertum des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zunehmend auf Sauberkeit bedacht war, was den außerordentlichen Erfolg hygienischer Räume, weißer und glatter, fugenloser, leicht zu reinigender Oberflächen erklärt. Entgegen dieser Tendenz entschieden sich einige der einflussreichsten Designerinnen dafür, in ihren Küchen Farbe zu verwenden. Die Frankfurter Küche gab es in mehreren Varianten, und einige von ihnen enthielten Einrichtungsgegenstände in schlichten, kalten Farben wie Blau- und Grüntönen. Viel farbenfroher war eine kompakte Küche, die Charlotte Perriand und Le Corbusier für dessen Unité d'Habitation in Marseille entwarfen. Die flachen Platten, die für das Mobiliar verwendeten wurden, waren in knalligen Grundfarben gehalten und bildeten eine abstrakte geometrische Komposition.
Diese Vorstöße in die wissenschaftliche Haushaltsführung wurde in Kitchen Stories, einem Film von Bent Hamer, veranschaulicht. Die Eröffnungsszenen zeigen ein Labor, in dem die Probanden und ihre Leistungen akribisch getaktet werden, um die Küchengestaltung zu optimieren. Dann wird ein Forscher ins Feld geschickt mit dem Auftrag, einen einzelnen Probanden dokumentierend zu verfolgen. Und hier beginnt der lustige Teil: Das Küchenlabor wurde eindeutig für Frauen konzipiert. Dennoch argumentiert die Designhistorikerin Penny Sparke, dass Architekten wie Brukalska oder Schütte-Lihotzky mit ihrem funktionalistischen und modernen Look und ihrem wissenschaftlichen Ansatz tatsächlich Vertreter einer "männlichen" Ästhetik waren.
Ein „weiblicherer“ Blick kann dagegen in der amerikanischen Küche der Nachkriegszeit gefunden werden: eine stereotype Hausgöttin auf Stöckelschuhen, umgeben von stromlinienförmigen Haushaltsgeräten. Diese geräumige Küche war auch als Mittelpunkt des Familienlebens geeignet, wie ein Journalist im Time Magazine 1954 feststellte: "Seit dem Krieg werden praktisch ganze Häuser um farbenfrohe, arbeitssparende Küchen herum entworfen, die auch als Allzweckwohnraum für die Familie dienen können". Dieser Farbenreichtum wurde durch den Einsatz neuer Materialien, insbesondere von Kunststoff, gefördert. Die Fülle an verschiedenen Farben und Formen des Tupperware-Geschirrs ist ein gutes Beispiel für diese Kunststoffrevolution. Modernität und Fortschritt bedeuteten nicht nur, dass der Mensch zum Mond fliegen konnte, sondern auch, dass die amerikanische Hausfrau nach den Gadgets ihrer Träume streben konnte. Im Jahr 1956 veröffentlichte General Motors einen Werbefilm mit dem Titel Design for Dreaming. Die Hauptfigur, eine schlanke Tänzerin, wird zu einer spektakulären Autoschau und einer noch spektakuläreren Schau der "Küche der Zukunft" mitgenommen, die die Zeit der Dame nicht durch wissenschaftliche Technik, sondern durch die Mechanisierung durch einen maskierten Mann rettet.
Die Dame ist hocherfreut, dass sie nun so viel Zeit für Unterhaltung hat. In der Tat waren die amerikanischen Nachkriegsküchen alles andere als kompakt und demonstrierten stattdessen Überfluss und Wohlstand. Sie waren auch der Schauplatz der Aktivitäten berufstätiger Hausfrauen, der Ort, an dem Frauen ihren Tag damit verbringen konnten, sich um ihre Familie und ihr Heim zu kümmern und mit ihren Nachbarinnen zu plaudern, die ebenfalls nicht arbeiteten. Zumindest ist dies das Bild, das die Popkultur heraufbeschwört, in der frustrierte Frauen ihre müßigen Stunden in ihren schönen Küchen verbringen, entweder kettenrauchend (Mad Men) oder ihre Flucht planend (The Hours).
Ähnlich verstand der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, die Rolle der Frau in der amerikanischen „Wunderküche“. Sie wurde zu einem seltsamen Schlachtfeld im Wettbewerb des Kalten Krieges. 1959, nachdem die UdSSR ihren ersten künstlichen Satelliten, Sputnik 1, ins All geschossen hatte, organisierten die Vereinigten Staaten die Amerikanische Nationalausstellung in Moskau. Die Amerikaner waren sich der Tatsache bewusst, dass sie den Wettbewerb im Kalten Krieg an den Fronten von Militär und Raumfahrt verloren hatten, und beschlossen daher, ihren Feind bei der Qualität des täglichen Lebens zu übertreffen. Die Ausstellung zeigte daher eine Fülle von amerikanischen Konsumgütern mit einer spektakulären „Wunderküche“ als einer der Hauptattraktionen. Dies war der Schauplatz des berühmten Gesprächs zwischen den beiden Führern der Supermächte, Chruschtschow und Richard Nixon, das als „kitchen debate“ bekannt wurde. Nixon war sehr stolz auf diese Demonstration von Wohlstand und Innovation, Chruschtschow wusste allerdings zu kontern. Er warf der amerikanischen Kultur vor, die Frauen in den „goldenen Käfigen“ ihrer riesigen Küchen zu halten, während die sowjetischen Arbeiterinnen kompakte Arbeitsküchen erhielten, die ihnen Zeit sparten und schließlich zu ihrer Emanzipation beitrugen. „Die Amerikaner tun mir leid“, sagte Chruschtschow, „wenn ich mir Ihre Ausstellung ansehe. Besteht Ihr Leben wirklich nur aus Küchen?“ Der abgebrühte sowjetische Führer stellte die kleinen, bescheidenen Küchen in den kleinen und minderwertigen Massenunterkünften als Instrumente der Befreiung dar. Er ging jedoch nicht ganz so weit wie zuvor Lenin, der in den 1920er Jahren vorgeschlagen hatte, Küchen generell abzuschaffen und durch kollektive Mahlzeiten zu ersetzen. In Chruschtschows Küche war diejenige, die kochte, immer noch eine Frau, eine berufstätige Frau, die folglich zwei Jobs hatte: einen außerhalb des Hauses und einen in ihrer Küche.
Die wirkliche Emanzipation der Küche könnte letztendlich in der Erschließung des Raums selbst auszumachen sein, die dank der Einführung sauberer Brennstoffe (Gas und Strom) in Westeuropa und den USA nach dem Ersten Weltkrieg möglich wurde. Der Autor des eingangs zitierten Artikels schlug vor, die Küche mit dem Rest des Hauses zu verbinden. Dieser Raum sollte das Herz des Familienlebens werden. Nach dem Krieg wurde das Essen in der Küche zu einer weit verbreiteten Gewohnheit. In kleinen Wohnungen gab es keinen Platz für einen großen Tisch und ein separates Esszimmer. Die geringe Größe der Wohnungen verhinderte, dass die Bewohner in der Küche schliefen, eine Gewohnheit, die vor der Einführung effizienter Zentralheizungen üblich war, da die Küche der wärmste Raum im Haus war. In den folgenden Jahrzehnten, als Ästhetik und Raffinesse der Küchen es erlaubten, wurden sie direkt mit den Wohnräumen verbunden. Das Kochen und Anrichten von Speisen war damit sichtbar und wurde zu einer sozialen, ja sogar zu einer performativen Tätigkeit. Was könnte der nächste Schritt in der Emanzipation der Küche sein? Muss eine emanzipierte Küche unbedingt eine Einbauküche sein? Oder könnte sie sich von dem gegebenen Raum befreien und an einen anderen Ort, sogar außerhalb des Hauses, verlegt werden?
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