Das sind Fragen, mit dem sich ein seit Oktober 2022 laufendes Forschungsprojekt am Albertinum in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste auseinandersetzt. In einer Kabinett-Ausstellung „Privater Kunsthandel nach 1945 in Dresden. Einblicke ins Forschungsprojekt“, die bis 21. April 2024 im Georg-Treu-Kabinett im Albertinum zu sehen ist, präsentiert das vom Zentrum für zwei Jahre geförderte Projekt nun einen ersten Stand nach einem Jahr Forschung.
Erste Untersuchungen zeigen, dass sich bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder ein privater Handel etablieren konnte. Gemälde, Grafiken, Antikmöbel, Porzellan und Münzen wurden angeboten und verkauft; Dresden galt als eine der wichtigsten Kunsthandelsstädte in der DDR. Auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwarben regelmäßig Kunstwerke bei hiesigen Händlern, mit denen die Institution ebenso im fachlichen Austausch stand.
Nach dem Führungswechsel in der SED (1971) und nach der Gründung der staatlichen Kunst und Antiquitäten GmbH (1973) wurde dieser Privathandel jedoch durch Behörden wie die Staatssicherheit zunehmend kontrolliert und eingeschränkt, zum Teil der Steuerhinterziehung bezichtigt und schließlich bis auf wenige Ausnahmen zerschlagen. Ein zentrales Anliegen des Projekts ist, diesen bisher meist vergessenen Firmen und Personen eine Sichtbarkeit und Neubewertung zu geben – Kunsthändler, wie beispielweise die folgenden:
Die 1924 von Heinrich Kühl (1886–1965) gegründete Galerie Kühl zählt zu den ältesten privaten Kunsthandlungen in Sachsen. Heinrich und sein Sohn Johannes (1922–1994), der ab 1965 die Leitung übernahm, konzentrierten sich auf die Kunst des 20. Jahrhunderts, im Wesentlichen auf Gemälde, Grafiken, Skulpturen und auf Asiatika. Sie bauten ihr Geschäft zur wichtigsten privaten Kunsthandlung in Dresden auf, mit der sie den Markt bis 1989 dominierten. Es verwundert daher nicht, dass im Bestand des Albertinum die meisten Ankäufe, die über den privaten Kunsthandel erfolgten, aus der Kunstausstellung Kühl stammen. Die Projektleiterin Claudia Maria Müller stellt eines davon hier nun vor:
Die in den 50er Jahren etablierte Kunsthandlung von Horst Kempe (1907–1991) gehörte zu den bekanntesten in Dresden und etablierte sich in der heutigen Hauptstraße 19. 1964 stieg Sohn Frank Kempe (* 1948) mit ins Geschäft ein.
Bei Kunstsammlern, -interessierten und Museen hatte „NOVA“ (so der Geschäftsname ab 1955) in Dresden einen guten Ruf erlangt. Eine besondere Beziehung entwickelte sich mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an die „NOVA“ Kunstobjekte von musealem Wert vermittelte und verkaufte. Hervorzuheben sind etwa Werke von Erich Heckel und Otto Dix für das Albertinum, die als großzügige Stiftung der Bautzener Künstlerin und Mäzenin Marianne Britze (1883–1980) über Kempe 1970 zur Gemäldegalerie kamen.
Mit dem seit 1933 am Bodensee lebenden Künstler Otto Dix verband Horst Kempe neben einer freundschaftlichen auch eine geschäftliche Beziehung. Er verkaufte einen Großteil der Lithografien, die Dix nach 1945 in der Druckwerkstatt der Hochschule für Bildende Künste Dresden gemeinsam mit dem vom Künstler sehr geschätzten Drucker Roland Ehrhardt anfertigte.
So entstand am 29. September 1962 in der Druckerei im Keller der Kunstakademie Dresden die Farblithografie „Contessa“. Diesen Prozess filmte der Dresdner Kameramann Ernst Hirsch (* 1936), wovon hier Ausschnitte gezeigt werden. Das anschließende Gespräch mit dem Kunsthändler Horst Kempe (1907–1991), der gute geschäftliche wie auch private Beziehungen zu Dix pflegte, ist zwar nicht im Film zu sehen, jedoch durch Fotos von Heinz Woost (1922–2016) belegt.
Der Kunsthändler Alphons Müller (1909–1972) führte von 1936 bis 1972 ein Geschäft in Dresden. Seine Firmenräume wie auch seine Wohnung wurden bei der Bombardierung Dresden im Februar 1945 zerstört. Ab 1946 führte er sein Geschäft in der Regerstraße 16, Dresden-Blasewitz, fort. Oft kamen zu ihm auch Wissenschaftler*innen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die einerseits nach Stücken für die Museen suchten, andererseits privat bei ihm einkauften.
1955 erwarb etwa die Gemäldegalerie aus der Kunsthandlung Alphons Müller beispielsweise das 1922 entstandene Gemälde „Begegnung im Park“ von Ferdinand Dorsch.
Durch einen Namenszug samt Adresse auf der Rückseite des Gemäldes ist anzunehmen, dass es sich in der Phase zwischen seiner Entstehung und der Aufnahme ins Inventar der Gemäldegalerie vermutlich eine unbekannte Zeit lang in Privatbesitz des Dresdner Kaufmanns Oskar Richard Söhndel (1880–1952) in der Fürstenstraße 24 befunden haben könnte.
Ein ebenfalls auf der Rückseite befindlicher Aufkleber der „Galerie Remmler & Co.“ in Leipzig, die zwischen 1919 und 1925 diese Bezeichnung trug, kann wiederum konkretisieren, woher das Kunstwerk zu Söhndel gekommen sein könnte und wann – wohl zwischen 1922 und 1925.
Solche Provenienzmerkmale geben Aufschluss über Eigentümer*innen, Besitzer*innen, Nutzungen und Entstehungszeiten der Werke. Bei der Beantwortung der Frage, welchen Weg ein Objekt seit seiner Entstehung bis heute genommen hat, können diese Aufkleber, Notizen oder Stempel helfen, die mitunter wechselvolle Geschichte eines Werkes zu rekonstruieren. Für die Provenienzforschung, wie sie seit 2008 im Daphne-Projekt der Staatliche Kunstsammlungen Dresden betrieben wird, sind aber auch schriftliche Quellen wie Briefe und Rechnungen unentbehrlich.
Von der Kunsthandlung Müller ist etwa ein umfangreicher Bestand an Firmenakten erhalten geblieben, die detailliert Einblick in die Struktur und Organisation des privaten Kunst- und Antiquitätenhandels in der DDR geben und damit eine wertvolle Quelle für das Projekt sind. Claudia Maria Müller stellt hier das Archiv vor und berichtet von ihrer eigenen Familiengeschichte:
Doch nicht immer lassen sich in schriftlichen Quellen alle Informationen herausfiltern. Um ein möglichst vielschichtiges Bild über die privaten Kunsthändler in Dresden zu erhalten, werden darüber hinaus im Projekt auch Zeitzeugeninterviews durchgeführt. Die Protagonisten wie Kunsthändler, Mitarbeiter, ihre Nachfahren, aber auch Mittlerpersonen, Zwischenhändler, Sammler, Käufer sowie Museumsmitarbeiter können bedeutende historische Zusammenhänge herstellen und aus verschiedenen Kontexten, Zeiten und über die einzelnen Schicksale berichten.
Durch die bisher geführten Zeitzeugeninterviews konnten bereits wichtige Materialien und Informationen für die Forschungen zum privaten Kunst- und Antiquitätenhandel nach 1945 gewonnen werden. Deshalb sind auch Sie eingeladen, eventuell vorhandene Zeitzeugnisse wie Korrespondenzen, Quittungen, Fotos von Kunsthandlungen, Erwerbungsgeschichten von Kunstwerken oder Erinnerungen mit dem Projekt zu teilen, damit diese in die wissenschaftlichen Untersuchungen einfließen können.
Wir hoffen, mit Zeitzeugen wie (ehemaligen) Kunsthändlern, ihren Nachfahren und Kunden in Kontakt treten zu können – vielleicht dank Ihrer Unterstützung.
Alle Geschichten, Beschreibungen, historische Korrespondenzen, Erinnerungen und Fotografien können per E-Mail gesendet werden oder an die Postanschrift:
Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Albertinum/Projekt „Privater Kunsthandel nach 1945 in Dresden“ | Postfach 120551 | 01006 Dresden
Telefonisch erreichen Sie das Projektteam unter +49 351 4914 9735 und +49 351 4914 9364
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