Das internationale Symposium widmete sich dem komplexen Spannungsfeld von Reisemöglichkeiten und Reiseverboten, die Künstler*innen im Kontext des Staatssozialismus, besonders in der DDR, betrafen. Während „Künstlerreisen“ bis in die 1930er Jahre einen bekannten kunsthistorischen Topos darstellen, ist die Mobilität von Künstler*innen nach dem Zweiten Weltkrieg bisher wenig erforscht. Welche Bedeutung hatte also das Reisen für künstlerische Praktiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Wie gingen Künstler*innen, die in Staaten ohne allgemeine Reisefreiheit, wie der DDR, lebten, mit den Einschränkungen um? Inwieweit wurde das Reisethema in der bildenden Kunst verhandelt?
Zur Eröffnung sprach die Direktorin des Albertinums Hilke Wagner Grußworte und resümierte die Auseinandersetzung des Albertinums mit dem Thema der globalen Kunstgeschichten der DDR in den letzten Jahren.
In der darauf folgenden Einführung stellten Prof. Dr. Kerstin Schankweiler, Jule Lagoda und Nora Kaschuba ihr aktuelles Forschungsprojekt „Affektive Archive – Auslandsreisen von Künstler*innen zur Zeit der DDR“ vor. Das Projekt untersucht die strukturellen Bedingungen, unter denen Künstler*innen aus und in die DDR reisen konnten bzw. daran gehindert wurden – sowohl innerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft als auch ins „nicht-sozialistische Ausland“. Im Fokus stehen dabei die individuellen Erfahrungen von Künstler*innen und der Niederschlag ihrer Beschäftigung mit dem Reisen in der Kunst.
Anhand des Symposiumsprogramms wurde auch das Verständnis von Reisen und Mobilität diskutiert, das bereits im Titel „Reise(un)freiheit“ anklingt: Es ging nicht nur um Reisen, die von Künstler*innen tatsächlich angetreten wurden, sondern auch um reisende Ausstellungen und Objekte und nicht zuletzt um politische Reiseverbote, Proteste gegen Einschränkungen und Reisen, die nur imaginiert werden konnten.
Jérôme Bazins Vortrag setzte sich mit der Bedeutung des Reisens für den ostdeutschen Maler Axel Wunsch und den polnischen Fotografen Wojciech Zamecznik auseinander. Er fragte dabei vor allem nach Wahrnehmungen von Nähe und Distanz während des Reisens und überlegte, wie sich Realismus und Exotisierung in Reisewerken zueinander verhalten können. Wo sind in Bildern Prozesse des othering and brothering zu beobachten? Inwieweit bezeichneten die Künstler ihre Reisen retrospektiv selbst als prägend für ihre Arbeit?
Im zweiten Vortrag des Tages gab Silke Wagler einen Überblick über Werke mit Reisebezug im Bestand des Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, aufbauend auf eine Ausstellung im Schaudepot des Kunstfonds 2008. Im Bestand befinden sich vor allem Werke, die im Zusammenhang mit Reisen innerhalb des „Ostblocks“ oder in sozialistisch orientierte außereuropäische Staaten entstanden. Werke von Reisen ins sogenannte „kapitalistische Ausland“ fanden zu DDR-Zeiten hingegen nur selten Eingang in öffentliche Sammlungen. In ihrem Vortrag zeigte Wagler eine Fülle von Reisebildern, beleuchtete aber gleichzeitig die schwierigen politischen und bürokratischen Hürden, die Künstler*innen in der DDR bei der Beantragung einer Reise im Weg standen.
An diesen Punkt knüpfte auch der Beitrag von Karl-Siegbert Rehberg an, der vor allem die Reisepolitik des VBK unter der Präsidentschaft von Willi Sitte untersuchte. Rehberg diskutierte Sittes Rolle als „Türöffner“ für eine breitere Vergabe von Studienreisen durch den Verband ab Mitte der 1970er Jahre. Die Ausweitung der Reisemöglichkeiten hing außerdem mit einem gesteigerten Interesse „westlicher“ Sammler und Galeristen, insbesondere Peter Ludwig in der BRD und Emilio Bertonati in Italien, an Kunst aus der DDR zusammen. Karl-Siegbert Rehberg nahm auch Sittes eigene häufige Reisetätigkeit vor allem nach Westdeutschland und Italien in den Blick.
Zum Abschluss des ersten Symposiumstages wurde in der Galerie der Kustodie der TU Dresden im Görges-Bau die Ausstellung „Reise(un)freiheit – Werke von Annemirl Bauer“ eröffnet.
Die Arbeiten von Annemirl Bauer (1939-1989) spiegeln die Komplexität des Reisethemas wider. Einerseits konnte die Künstlerin vor und nach dem Mauerbau Reisen in Ost- und Westeuropa unternehmen, die sie in ihrer künstlerischen Praxis und ihrer feministischen Weltanschauung stark beeinflussten. Andererseits wurden ihr durch das SED-Regime viele Reisen verboten, sie erlitt Repressionen durch die Staatssicherheit und wurde nach einem öffentlichen Protest gegen die Grenzpolitik der SED aus dem VBK ausgeschlossen. Die eindrucksvolle Eingabe, in der Annemirl Bauer ihre Kritik an der „Eingrenzung eines ganzen Volkes“ ausdrückte, wurde am Eröffnungsabend von ihrer Tochter verlesen. Amrei Bauer betreut den umfangreichen Nachlass ihrer Mutter, aus dem auch die Leihgaben für die Ausstellung stammen.
Der Begleittext zur Ausstellung kann auf der Forschungsplattform „Art in Networks“ gelesen werden.
Die Ausstellung wurde im Projekt „Affektive Archive – Auslandsreisen von Künstler*innen zur Zeit der DDR“ von Prof. Dr. Kerstin Schankweiler, Jule Lagoda und Nora Kaschuba kuratiert, in Zusammenarbeit mit Gwendolin Kremer (Kustodie der TU Dresden) und Amrei Bauer (Annemirl Bauer Haus und Archiv / Niederwerbig).
Der zweite Symposiumstag begann mit einem Rundgang durch die Ausstellung „Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR“ im gastgebenden Albertinum, geführt durch die Kurator*innen Mathias Wagner und Pauline Hohn. Neben anderen Themen, wie internationaler Solidarität oder Völkerfreundschaft, widmete die Ausstellung Reisen von Künstler*innen ein eigenes Kapitel. Darin ging es unter anderem um Aufenthalte von Lea Grundig in China oder Gert Caden in Kuba, in deren Zusammenhang Grafiken und Porträts entstanden, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in den „Bruderländern“ aufzeigten. Auch zeitgenössische Positionen wie die Videoarbeit „Geschmortes Herz“ über das DDR-Kreuzfahrtschiff MS Völkerfreundschaft von Sonya Schönberger (2022) wurden vorgestellt.
Am Nachmittag richtete sich der Fokus der Symposiumsbeiträge auf Reisen internationaler Künstler*innen in die DDR. Kristian Handberg beleuchtete Aufenthalte und Ausstellungen dänischer Künstler*innen etwa anlässlich der Weltfestspiele der Jugend oder der Ostseebiennalen. Er zeigte, dass für figurativ-realistisch arbeitende Künstler*innen die DDR ein wichtiger Ausstellungsort war, da ihre Arbeiten in Dänemark angesichts der Dominanz abstrakter Kunstströmungen nur wenig rezipiert wurden.
Der Vortrag von Sasha Artamonova, Doktorandin in Kunstgeschichte an der Northwestern University/EHESS, wurde nicht aufgezeichnet, da er auf noch unveröffentlichter Forschung für Ihre Doktorarbeit basiert. Ihre Präsentation “The Art of Socialist ‘Friendship’: Charles White’s sojourns in East Germany” beschäftigte sich mit den wiederholten Besuchen des US-amerikanischen Künstlers Charles White in der DDR.
Die Reise des irakischen Fotografen Latif Al-Ani nach Ost-Berlin 1965 war wiederum Ausgangspunkt der von Philipp Farra konzipierten und durch Olga Hohmann umgesetzten Lecture Performance „Tales and Places I (Aleppo, Schönebeck, Berlin, Beirut)“. Mit Polyluxen projizierte Fotografien Al-Anis aus dem Pergamonmuseum wurden mit einer Bildfolge aus Philipp Farras eigenen Familienfotoalben überlagert. Als Sohn eines ostdeutschen-libanesischen Paares reflektierte Farras Erzählung die Biographie seiner Eltern und seine eigene Kindheit und künstlerische Entwicklung nach der „Wende“.
Hala Ghoname knüpfte in ihrem Vortrag geografisch an die Beziehungen der DDR zu arabischen Staaten an, in dem sie die arabischsprachige Zeitschrift Al-Majallah in den Blick nahm, die die DDR als kulturpolitisches „soft power-Instrument“ herausgab. Entwicklungen der bildenden Kunst waren eine wichtige Rubrik in Al-Majallah, die darüber hinaus regelmäßig von Reisen ostdeutscher Künstler*innen in arabische Länder und umgekehrt berichtete.
Abschließend fassten Elke Neumann und Mathias Wagner ihre Eindrücke des Symposiums in einem Schlusskommentar zusammen. Beide betonten noch einmal die Vielfalt von künstlerischen Reiseformen, die von physisch reisenden Personen über reisende Werke, Objekte und Ideen bis hin zum Nichtreisendürfen reichten. Damit zusammen hängt auch die Vielzahl der Faktoren, die Reisen von Künstler*innen im Kontext des Kalten Krieges beeinflussten, etwa innen- wie außenpolitische Dynamiken, Generationenunterschiede zwischen den Künstler*innen oder Unterschiede zwischen organisierten Gruppenfahrten und individuellen Studienreisen.
Gleichzeitig wurde deutlich, dass das Reisethema noch viele Fragen birgt, die in zukünftiger Forschung oder auch in Ausstellungen beachtet werden sollten. Inwieweit dienten Reisen als Anlass für Reflexion über den sozialistischen Realismus bzw. eine internationale figurative Bildsprache? Wie wurde das Spannungsfeld zwischen politischen Erwartungen und der tatsächlichen Gestaltung von Reisen durch Künstler*innen verhandelt? Und greift die kunsthistorische Analysekategorie der „Künstlerreise“ noch in Bezug auf Mobilitäten von Künstler*innen während und nach dem Kalten Krieg?
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