Frau Shiota, aktuell haben wir zwei Installationen von Ihnen in zwei sächsischen Schlössern aus dem 18. Jahrhundert ausgestellt, die sich im Gegensatz zu klassischen White Cubes als Kulisse kaum zurücknehmen, sondern stattdessen in eine Art Dialog mit den in ihnen ausgestellten Werken treten. Empfinden Sie solche Rekonfigurationen als reizvoll oder widerstreben sie Ihnen eher? Wie würden Sie insgesamt das Verhältnis zwischen dem Raum, den Ihre Installationen herstellen und dem, der sie jeweils aufnimmt, beschreiben?
Ich mag jeden Raum, der etwas Ungewöhnliches an sich hat. Historische Orte mag ich, weil sie mir Inspiration geben. Die Kurator*innen haben für die beiden Arbeiten sehr schöne Räume gewählt und ich denke, dass beide von diesen profitieren. Als Installationskünstlerin bin ich immer abhängig von den Räumen, die meine Installationen aufnehmen. Ohne Raum kann ich nichts produzieren und es wäre doch langweilig, wenn jedes Museum den immerselben White Cube anbieten würde. Ich habe schon in alten Kirchen gearbeitet und sogar in einer Höhle und alle Schwierigkeiten, die sich daraus ableiteten, haben mir immer zugleich die Chance gegeben, etwas Neues zu entwickeln. Ich liebe vor allem die übergroßen Räume, weil ich in ihnen meine ganze Energie ausleben kann.
Es handelt sich in beiden aktuell an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ausgestellten Fällen um hochkomplexe Gebilde, einmal aus einer Vielzahl an Fenstern und einmal ein labyrinthisches Gewebe aus schwarzem Faden. Wie dokumentieren Sie eigentlich den Auf- und Abbau dieser Installationen? Sind sie immer gänzlich identisch oder entstehen sie vielmehr jedes Mal zu einem gewissen Grad neu?
Ich dokumentiere meinen Arbeitsprozess nicht und wenn nur ich daran arbeiten würde, würde ich vor der Installation auch keine Skizzen machen. Ich würde einfach in den Raum spazieren und anfangen. Wenn ich meine Arbeiten wiederaufbaue, gestalte ich sie neu. Aber die beiden Arbeiten, die Sie erwähnen, sind Teil Ihrer Sammlung und so muss auch das Team des Museums sie neu aufbauen können, wenn ich nicht da bin. Meine Assistent*innen haben "Inside, Outside" schon dreimal mit dem Team der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden aufgebaut und das entsprechend dokumentiert. Dieses Mal hat Ihr Team die Installation alleine eingerichtet. Ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis. Es gibt also einen Bedarf an Dokumentation, aber darum kümmern sich für gewöhnlich die Museen.
Die Installation "Inside, Outside" im Wasserpalais in Pillnitz besteht aus alten Ostberliner Fenstern mit Holzrahmen – Alltagsobjekten also, die ihren Dienst getan haben und heute größtenteils durch weit weniger individuelle Kunststoffe ersetzt sind. Die in Wermsdorf besteht aus schwarzem Acrylfaden, einem industriellen Produkt, dessen Qualität gerade in seiner Kontinuität und Gleichheit besteht. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Seriellen?
Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Art des Fadens, den ich benutze, ist für mich nicht erheblich. Das ist für mich nur Material, das ich benutze um daraus meine Kunst herzustellen. Ich wollte einfach die Möglichkeit haben, in die Luft zu zeichnen, so hat das angefangen. Dafür braucht es gewisse Eigenschaften, aber von diesen abgesehen kann ich mit jeder Art von Faden arbeiten und es macht für mich dabei keinen Unterschied, ob es sich nun um Baumwolle, Acryl oder Wolle handelt. Diese Entscheidung wird meistens eher von den Institutionen getroffen und ist vor allem eine Angelegenheit des Brandschutzes und Budgets. Ich denke nicht, dass Picasso sich sonderlich für die kulturellen Implikationen des Farbmaterials interessiert hat, das er benutzte und so halte ich es auch. Mit den Fenstern ist das natürlich eine andere Geschichte. Die habe ich in Berlin gefunden. Über Wochen habe ich sie von verschiedenen Baustellen zusammengesammelt. Hier haben mich zuerst die Fenster selbst interessiert und dann wollte ich etwas aus ihnen machen.
Ich frage das auch, weil ich finde, dass die Verwendung der Alltagsgegenstände in Ihren Werken das bezeugt, was Walter Benjamin einmal die „Aura“ des Kunstwerks genannt und berühmtermaßen durch Serialität und Reproduzierbarkeit für überholt erklärt hat, eine „Ferne, so nah sie auch sein mag“. Mir scheint, als ginge es bei "Inside, Outside" gerade darum, wie das Ferne und Einzigartige sich eben doch in vermeintlich serielle Objekte einschreibt und in die Nähe gerückt ist: die Menschen, die durch sie hindurch gesehen haben, die Spuren, die sich auf den Rahmen zeigen, der Schmutz und die Brüche auf und im Glas, aus allem wuchert das Individuelle und Historische. Verstehen Sie Ihre Kunst als Widerstand gegen etwas, das verloren zu gehen droht?
Ich sehe die Fenster nicht als serielle Objekte. Jedes von ihnen ist anders und anhand dieser Vielfalt kann ich die Menschen dahinter entdecken. Als ich die Fenster gefunden habe, habe ich mich gefragt: Bin ich drinnen oder bin ich draußen? Wie kann man wissen, auf welcher Seite man sich befindet? Sie kommen aus ostberliner Häusern und die Leute, die hinter ihnen gewohnt haben, lebten in einer anderen Realität. Ich interessierte mich damals für Grenzen. Denn eine Grenze bedeutet eigentlich immer zwei Grenzen; jede Seite hat andere Regeln, wie sie überquert wird. In Zeiten von Covid ist das sehr deutlich geworden. Da gibt es eine Regel zum Verlassen Deutschlands und eine ganz andere zur Einreise, beispielsweise nach Japan.
Mich beschäftigen die vielen Schichten der Realität, die mich umgeben. Unsere Kultur hat Kleidung und Häuser erfunden, um uns gegen die Welt abzugrenzen. Als ich nach Deutschland kam, habe ich gelernt, dass meine Identität von dem abhängt, was mich umgibt. Also habe ich mich immer gefragt: Wo ist mein eigenes Selbst? Bin ich hinter dem Fenster oder bin ich draußen auf der Straße?
Im Zentrum des Fensterstrudels befindet sich ein Stuhl, auf dem man allerdings nicht sitzen kann, weil er ganz von Fenstern umgrenzt ist. Die Anordnung gleicht einem Panoptikum (gemeint ist die Gefängnisbauart, die als philosophisches Modell populär ist), allerdings ist die Perspektive verkehrt. Statt der allsehenden Position im Zentrum sind uns in der Bewegung durch den Strudel multiperspektivische, vielfach gerahmte und sich überlagernde Blicke auf das Zentrum gegeben. Angesichts der Geschichte Westberlins, des Überwachungsapparats der Stasi und der Isolation Ostberlins bei gleichzeitig so unmittelbarer Nähe zum Westen erhält das Ganze eine hochpolitische Dimension. Wessen Position entspricht eigentlich die des Stuhls im Fensterstrudel und welche unserer?
Die Objekte, die ich in meinen Arbeiten verwende, sind oft Platzhalter für Menschen. Wenn du einen Stuhl hinstellst, ist es sofort, als wäre noch jemand anderes im Raum. In früheren Arbeiten habe ich Häuser aus den Fenstern gebaut, aber das war mir irgendwann zu einfach. Ich wollte interessantere Räume kreieren und so habe ich die Spirale gewählt. Ich verstehe mich selbst nicht als politische Künstlerin. Ich mache Kunst aus meiner eigenen Erfahrung heraus. Es ist ein viel persönlicherer und intimerer Prozess. Ich habe auch keine Message, wenn ich Kunst mache, ich denke nicht an mein Publikum. Ich möchte etwas Schönes und Unbekanntes herstellen und ich habe natürlich meine Motive, dies auf eine bestimmte Weise zu tun. Aber ich bin auch nicht der Ansicht, dass ich sie zu sehr erklären müsste. Ein Stuhl ist ein vertrautes Objekt. Die Leute werden etwas empfinden, wenn sie meine Arbeit sehen und was auch immer das ist, es ist richtig.
Beide Installationen machen Raum als etwas Fragmentarisches erfahrbar, das nicht so sehr als Kontinuum, sondern in seiner Zerlegung auftritt. Damit gewinnt das Ganze eine traumartige, irreale Qualität. Es ist zu lesen, dass Sie durch einen Traum motiviert von der Malerei zur Skulptur gewechselt sind. Würden Sie sagen, es handelte sich dabei um einen Albtraum und sind Ihre jetzigen Installationen eigentlich auch realisierte Träume? Und falls dem so ist, schlafen Sie jetzt besser?
Ich schlafe sehr gut, danke. Diese Krise liegt nun 30 Jahre zurück. Ich habe immer Malerin sein wollen. Es gab in meinen frühen Teenager-Jahren in der Sonntagszeitung eine Serie zu berühmten Kunstwerken, hauptsächlich Gemälden, die ich damals bewundert und gesammelt habe. So schien es sehr klar, mit welchem Medium ich mich beschäftigen wollen würde. Doch nachdem ich eine Weile Malerei studiert hatte, fühlte es sich an, als könnte ich keine echte Verbindung zu diesem Medium herstellen. Als wäre jedes Gemälde, das ich malte, das Werk von jemand anderem, doch ich wollte meine eigene Kunst machen. Natürlich hatte auch das schulische Umfeld dazu beigetragen. Ich hatte das Gefühl nicht mehr malen zu können und suchte nach einem neuen Weg mich auszudrücken. Die Antwort kam mir in einem Traum. Ich träumte, dass ich innerhalb eines Gemäldes war und als ich am nächsten Tag aufwachte, entwickelte ich die Performance "Becoming Painting", in der ich mich mit rotem Lack bedeckte und versuchte eins mit der Malerei zu werden. Meine aktuellen Arbeiten sind dagegen nicht durch Träume inspiriert. Sie sind von meinen Fragen, Gedanken und dem Leben insgesamt inspiriert. Ich habe begonnen Faden zu verwenden, weil ich in die Luft zeichnen wollte. In gewisser Weise steigt man damit in den Raum des Gemäldes ein und so lebt auch der Traum weiter.
Die Installation „Zweite Haut“ in Wermsdorf, die im Zuge der Ausstellung „Raumschiff Hubertusburg“ zu sehen ist, besteht aus einem dichten schwarzen Fadengewebe, das nicht nur den Raum zerlegt, sondern zugleich tragende Funktion hat, als würde nicht das „Raumschiff“ den Kosmos durchfliegen, sondern von ihm getragen werden. Alles ist miteinander verknüpft. In unserer gelernten Vorstellung begegnet uns Raum dagegen eher mathematisch als dreidimensionale Leere, die wir frei befüllen und durchqueren können. Haben wir eine falsche Vorstellung davon, was Raum eigentlich ist und verstehen Sie auch Raum ganz prinzipiell als eine zweite Haut, die uns umgibt und trägt?
Unsere Kleidung ist unsere zweite Haut und unsere Häuser sind unsere dritte. Sie sind nach meinem Verständnis Grenzen, die wir nutzen, um uns vor der Welt zu schützen. Die Idee bezieht sich also eher auf Fragen der Identität als auf Schwerelosigkeit oder Raum. Aber Ihre Beobachtung ist ebenso richtig in dem Sinne, dass meinen Geweben ein gewisser Sinn von Unendlichkeit innewohnt. Dass eine Installation fertig ist, weiß ich, wenn ich das Ende nicht mehr sehen kann. Ich mag diese Simultanität von Ausdehnung und Detail. Ich denke, das ist es, was die Menschen an den Weltraum erinnert, wenn sie meine Arbeit sehen.
In der Benutzung roter, schwarzer und weißer Fäden in Ihren Arbeiten folgen Sie einer sehr klaren Farbsymbolik. Schwarz ist dabei mit dem Kosmos und dem Nachthimmel assoziiert, weshalb „Zweite Haut“ auch so hervorragend in die Ausstellung „Raumschiff Hubertusburg“ passt. Hat auch die Farbe der Rahmen von „Inside, Outside“ symbolischen Charakter?
Meine Farbsymbolik ist ein wenig daraus geboren worden, dass ich in Interviews nach ihren Bedeutungen gefragt worden bin. Ich habe diese Zuschreibungen nicht erfunden. Es sind sehr verbreitete Assoziationen zu diesen drei Farben. Ich entscheide auch nicht vorher, welche Farbe ich nutze, weil ich sie später in einem bestimmten Deutungszusammenhang verstanden wissen will. Es gibt Arbeiten mit roten und weißen und schwarzen Kleidern. Sie befassen sich alle mit denselben Ideen. Ob man das nun Weltraum, Nachthimmel, Identität, Verbundenheit, Zugehörigkeit, Familie oder Neuanfang nennt, die zugrundeliegenden Fragen sind immer: Wer sind wir, was machen wir hier und wohin gehen wir, wenn wir sterben?
Wir freuen uns, bei der Ausräumung dieses alten Missverständnisses helfen zu können.
Die Materialien der beiden Werke (Fenster=“windows“/Fäden=“threads“) sind allgegenwärtige Metaphern des Digitalen. Könnten Sie sich vorstellen, auch digital zu arbeiten und virtuelle Räume zu gestalten, die dann beispielsweise mit VR-Brillen besucht werden können?
Nein, aktuell kann ich mir das gar nicht vorstellen. Nach meinem Gefühl würde der Installation dann die Sichtbarkeit der Arbeit fehlen, die in sie eingeflossen ist.
Letzte Frage: Woran arbeiten Sie gerade?
Gerade bin ich in Japan, wo ich letzte Woche drei Ausstellungen aufgebaut habe. Außerdem arbeite ich an Ideen zu Installationen für Ausstellungen, die im zweiten Halbjahr 2023 eröffnen werden. Aktuell verfolge ich das Interesse, mit Wasser zu arbeiten und mehr Bewegung in meine Installationen zu bringen.
Darauf sind wir natürlich gespannt und danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Die Fragen stellten das Team der Schenkung Sammlung Hoffmann und der Digitalkurator der SKD, Jacob Franke.
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